Bettina Tietjen: „Gott ist mein ständiger Begleiter“

Die NDR-Moderatorin Bettina Tietjen wuchs in einer streng christlichen Freikirche in Wuppertal-Elberfeld auf. Von einem „Trauma“ will die 63-Jährige nicht sprechen, aber diese intensive Begegnung mit dem Glauben habe nicht nur Positives hinterlassen.
Von Jörn Schumacher
Bettina Tietjen

In einem Schreibtisch im Keller ihres Hauses entdeckte Bettina Tietjen vor einigen Jahren ihre Tagebücher aus der Zeit ihrer Kindheit und Jugend. „Es war äußerst interessant, wieder etwas über mein jugendliches Ich zu erfahren“, sagt Tietjen im Interview mit PRO. Sie veröffentlichte Auszüge daraus in ihrem Buch „Früher war ich auch mal jung“, erschienen im vergangenen Jahr im Verlag Piper. Auch die freikirchliche Gemeinde, die damals das Leben ihrer Familie bestimmte, ist darin ein Thema.

„Der Glaube ist wichtiger für mich geworden. Ich entdecke in der Bibel viele Dinge, die einem sehr weiterhelfen.“ Das schreibt die 16-jährige Tietjen im Jahr 1976 in ihr Tagebuch. Ihr Vater sei mit 18 in den Krieg gegangen und habe traumatische Erlebnisse gehabt. Später sei er „auf der Suche nach etwas gewesen, das ihm Trost und Halt spenden konnte“, schreibt Tietjen.

Er sei zwar der Evangelischen Kirche verbunden gewesen, doch das habe ihm nicht gereicht. Die ersehnte Geborgenheit habe er erst in einer kleinen freikirchlichen Vereinigung in Wuppertal gefunden. Und seine Familie habe er in das Gemeindeleben integriert. So auch die junge Bettina, die heute sagen kann, vieles Schöne von diesem Glauben ins Heute mitgenommen zu haben, so seltsam vieles auch gewesen sei.

Die Mitglieder dieser „Christlichen Versammlung“, die einander „Brüder und Schwestern“ nannten, hätten sich sehr an der Bibel orientiert, sagt Tietjen. „Und zwar streng an einzelnen Formulierungen, und auch nur aus einer einzigen Übersetzung, nämlich der Elberfelder. Alles, was dort steht, wird so gemacht! Das war teilweise sehr naiv.“

Die Frauen mussten Röcke tragen, durften ihre Haare nicht schneiden und keinen Schmuck tragen, berichtet Tietjen in ihrem Buch. „Sie durften sich nicht schminken und hatten im Gottesdienst ihren Mund zu halten. Der Gemeindesaal war total schmucklos, Frauen und Männer saßen getrennt und beim Gebet mussten die Frauen ihren Kopf mit einem Tuch bedecken.“ Die kirchlichen Feiertage inklusive Weihnachten wurden offiziell ignoriert, weil davon nichts in der Bibel steht.

In den Familien habe es keine Fernseher, keine nicht-religiösen Bücher, keine unchristliche Musik, und kaum Kontakt zu Nicht-Mitgliedern gegeben. Ab dem Alter von vier Jahren seien Tietjen und ihre Schwester zur Sonntagsschule gegangen und in den Werten der Gemeinde erzogen worden. Das tägliche Lesen der Losungen und in der Bibel sowie das Tischgebet inklusive.

Bekannter Theologe in der Familie Bettina Tietjens

Tietjen wurde 1960 als Bettina Schniewind geboren. Sie studierte Germanistik, Romanistik und Kunstgeschichte in Münster und Paris. Danach arbeitete sie bei der Rundfunkanstalt RIAS Berlin, der Deutschen Welle, beim WDR und für diverse Printmedien. Seit 1993 ist sie beim NDR-Fernsehen Gastgeberin mehrerer Talksendungen, seit 2020 ist sie außerdem in der Sendereihe „Tietjen campt“ mit ihrem Wohnmobil in Norddeutschland unterwegs. Besonders bekannt ist sie als langjährige Moderatorin der NDR-Talksendung „DAS!“. Ihre Bücher „Unter Tränen gelacht“ und „Tietjen auf Tour“ waren Spiegel-Bestseller.

Der Glaube sei schon früh in die Familie gelegt worden, erzählt die Moderatorin. Der Bruder ihres Großvaters war Julius Schniewind, ein bekannter evangelischer Theologe der Bekennenden Kirche. Im Teenager-Alter sei der Glaube indes immer mit schlechtem Gewissen verbunden gewesen, sagt Tietjen gegenüber PRO, und sie habe mit ihren Freundinnen geradezu ein Doppelleben geführt. „Man hatte ja schon ein schlechtes Gewissen, wenn man eine Hose angezogen hat“, so Tietjen.

Ihre Mutter indes habe sich um manche Gesetze der Gemeinde nicht gekümmert. Sie habe ihre Haare kurz getragen, deswegen durfte sie aber auch nicht am Abendmahl teilnehmen. „Dem Gott, an den ich glaube, ist es egal, wie lang meine Haare sind“, zitiert Tietjen ihre Mutter.

Bettina Tietjen

Bettina Tietjen, Jahrgang 1960, hat Germanistik, Romanistik und Kunstgeschichte studiert. Sie war für mehrere öffentlich-rechtliche Rundfunksender und Printmedien tätig. Seit 30 Jahren ist sie Gastgeberin in der NDR-Talkshow „DAS“ und sie moderiert einmal im Monat in der „NDR Talkshow“. In der Sendereihe „Tietjen campt“ trifft sie sich mit Prominenten auf Campingplätzen in Norddeutschland. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt „Früher war ich auch mal jung“.

Einmal im Jahr seien die Ältesten aus der Gemeinde zu Besuch in die Familie gekommen, um den rechten Glauben zu kontrollieren. Ihnen sei wichtig gewesen, dass es bei jedem Gemeindemitglied einen Moment im Leben gab, in dem es seine Sünden Gott bekannt hatte. „Sie waren sicher: Man merkt das, wenn man ab dann errettet ist“, so Tietjen.

„Bei mir gab es so einen Moment aber nicht, ich wusste nicht genau, wovon sie redeten. Damit sie einen in Ruhe lassen, habe ich dann irgendwann gesagt: Ja, ich bin errettet.“ Sonst wäre man immer „etwas mitleidig und zugleich vorwurfsvoll“ angeschaut worden. „Aus heutiger Sicht ist es eigentlich unverantwortlich, wenn junge Menschen so unter Druck gesetzt werden“, sagt Tietjen. „Letztendlich wird da eine Angst erzeugt, die einen dabei hält. Angst, dass, wenn man nicht so lebt, man nicht in den Himmel kommt.“

Mit Gott im Dialog

Die Bibel von damals, in der sie sich unzählige Notizen machte, gibt es heute noch. „Die Bibel war für mich damals fast genauso wichtig wie meine Lieblingsautoren“, schreibt sie in ihrem Buch. Bei einem Aufenthalt in Paris habe sie einmal alles in ihrem Zimmer mit einer lila Lackfarbe angemalt, auch ihre Bibel. Die positiven Seiten des Glaubens, die ihr damals mitgegeben wurden, entdeckte sie als Erwachsene wieder neu, so Tietjen. Sie sei also keineswegs „traumatisiert“ aus dieser Zeit hervorgegangen.

Ihre eigenen zwei Kinder, die mittlerweile erwachsen sind, habe sie christlich erzogen, jeden Abend und vor dem Essen habe sie mit ihnen gebetet. „Ich finde es wichtig, dass Kinder daran glauben, dass es einen Gott gibt, der auf uns aufpasst und einen Blick auf unser Leben hat, und dass es ein moralisches Gerüst für unser Leben geben sollte, aber auch eine Dankbarkeit ihm gegenüber und eine Demut.“ Beide Kinder seien konfirmiert worden, sagt Tietjen.

Die TV-Moderatorin sei all die Jahre über weiter Mitglied in der Evangelischen Kirche geblieben. „Sehr viele Menschen gerade in der heutigen Zeit suchen Halt und Orientierung und haben Angst. Da ist der Glaube eine tröstliche Antwort. Das gilt natürlich nicht nur für das Christentum, sondern für alle Religionen – sofern sie nicht zu Machtzwecken missbraucht werden.“

Angesprochen auf ihren Lieblings-Bibelvers, nennt die Moderatorin Psalm 139, Vers 9: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.“ Und: Psalm 90, Vers 12: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Tietjen, die seit zehn Jahren Schirmherrin eines Hospizes des Deutschen Roten Kreuzes in Hamburg ist, ist das Thema Sterben und Tod wichtig, weil man im Gedanken an den Tod das Leben noch viel mehr zu schätzen wisse. Ihr komme es bei der ehrenamtlichen Arbeit darauf an, Menschen die Berührungsängste beim Thema Tod zu nehmen.

Auch wenn sie an einen Himmel und eine Hölle nicht – oder nicht mehr – glauben möchte: „Ich glaube, dass die Seele nach dem Tod in einer anderen Form weiterlebt.“ Eine persönliche Form des Glaubens habe sie in jedem Fall aus der Zeit ihrer intensiven Begegnung mit der christlichen Gemeinde mitgenommen. Etwa ihr Werte-Fundament, ebenso wie eine spirituelle Orientierung. „Ich bin im Dialog mit Gott, ich bete regelmäßig, das gehört einfach zu meinem Leben dazu. Gott ist mein ständiger Begleiter.“

Dieser Text ist zuerst in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Abonnieren Sie PRO kostenlos hier.

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