Der Verleger und Journalist Jakob Augstein sieht das Christentum als eine „genuin politische Religion“. Auch wenn sich aus dem Christentum keine unmittelbare politische Doktrin ableiten lasse, könne die Kirche politisch nicht neutral sein, sagte Augstein laut Redetext am Freitag beim Neujahrsempfang des evangelischen Kirchenkreises Duisburg zum Thema „Wie politisch soll Kirche sein?“. „Aus der Selbsterniedrigung Gottes ergibt sich die politische Orientierung nach unten sozusagen von selbst – also der politische Kampf für die soziale Gerechtigkeit und für den Schutz der Rechtlosen.“
Die Bibel lasse sich als „Buch der Anklage gegen das Unrecht und des Aufruhrs gegen die Unterdrückung“ lesen, sagte der Herausgeber der linken Wochenzeitung „Der Freitag“. Vor allem im Alten Testament zeige sich Gott als „Gott der Armen und Unterdrückten, nicht als einer der Herrscher und Unterdrücker“.
Kirche findet Gründe, Krieg zu führen
Es sei aber „nicht die Aufgabe der Kirche, dem Staat im Namen Gottes To-do-Listen weiterzureichen“, betonte Augstein in Duisburger Salvatorkirche. Die Kirche müsse keine Antworten bereithalten, mit welcher Politik genau das Klima zu schützen ist oder mit welcher Politik der Frieden gewahrt werden soll: „Die Kirche mahnt, kritisiert, segnet – aber sie regiert nicht.“
Notwendig sei „eine Kirche, die an ihren unwandelbaren Werten festhält, die standhaft ist, und nicht eine, die sich anpasst“, sagte der Publizist. In diesem Zusammenhang kritisierte er die Anfang des Monats veröffentlichte neue Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als „Katastrophe“. In dem Papier „verdammt die Kirche den Krieg, wie es sich gehört – aber dann findet sie ganz viele Gründe, ihn zu führen“, kritisierte er. Sie rechtfertige den Besitz von Atomwaffen und rede sogar einem Präventivkrieg das Wort.
„Wir brauchen die evangelische Kirche nicht, um die Bemühungen um die Aufrüstung zu fördern“, sagte Augstein. „Das macht der Rest der Welt schon sehr erfolgreich.“ Die Kirche müsse sich vielmehr für diplomatische Initiativen zur Beendigung von Kriegen einsetzen.