Filmkritik

Auf Netflix: Krimi mit theologischer Tiefe

Selten sind Glaube und Kirche so gekonnt in einem Krimi verwoben worden wie in dem kleinen Meisterwerk „Wake Up Dead Man“ aus der Reihe „Knives Out“ mit Daniel Craig. Man könnte sagen: Pater Brown trifft auf den Humor der Coen-Brüder.
Von Jörn Schumacher

„Wake Up Dead Man“ ist der dritte Teil des Krimi-Epos „Knives Out“. Seit dem 12. Dezember ist er auf Netflix zu sehen, und jeder, der „Whodunit“-Krimis (etwa: Wer hats getan-Krimis) mag, wird hier voll auf seine Kosten kommen.

Wie in den ersten beiden „Knives Out“-Filmen spielt auch hier Daniel Craig („James Bond“) den genialen Detektiv Benoit Blanc. Und auch hier sind alle Rollen mit Stars besetzt, von Josh Brolin („No Country for Old Men“) über Glenn Close („101 Dalmatiner“) bis hin zu Andrew Scott (bekannt als Professor Moriarty in der „Sherlock“-Reihe). Wie immer hat Regisseur Rian Johnson auf schöne Kameraeinstellungen und ein unterhaltsames Erzähltempo gesetzt, und wieder spielt trockener Humor eine große Rolle. Der erinnert hier manchmal an die Coen-Brüder; und tatsächlich gibt es für Fans einige kleine Querverweise auf die Regie-Vorbilder.

Foto: Cr. John Wilson/Netflix © 2025
(v.l.) Josh O’Connor und Daniel Craig in „Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery“

Vor allem sticht dieser „Knives Out“-Teil dadurch hervor, dass er eine erstaunliche Tiefe in Fragen des Glaubens aufweist. Im Zentrum steht der junge Priester Jud Duplenticy (Josh O’Connor). Er war früher Boxer, nach einem Bekehrungserlebnis wurde er Priester. Der Film hat kaum begonnen, da startet eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Frage, die den gesamten Film durchzieht: Was ist der Zweck von Kirche? Steht bei vielen Geistlichen das Ego im Zentrum, und nicht Gott?

Duplenticy wurde strafversetzt in eine kleine Gemeinde im Norden des Bundesstaates New York. Sein Vorgesetzter (Jeffrey Wright, bekannt als Felix Leiter aus der James-Bond-Reihe) warnt ihn vor dem Priester, der dort das Sagen hat: „Jefferson Wicks hat nicht mehr alle Perlen auf seinem Rosenkranz!“ Als Duplenticy dort ankommt, erkennt er, dass das noch untertrieben ist.

„Jung, dumm und von Christus erfüllt“

Wicks ist ein selbstsüchtiger Pater, der die Gemeindemitglieder so fest im Griff hat, dass er einen Personenkult um sich aufrichten konnte. In seinen Predigten geht es vor allem um den Druck, den er über das schlechte Gewissen ausübt. Diesem geistlichen Missbrauch stellt der junge Duplenticy entgegen: „Das ist nicht die wahre Kirche!“

In diesem Film geht es vordergründig um einen Mordfall. Doch im Hintergrund geht es auch um den Kampf gegen eine missbräuchliche Kirche. Duplenticy gründet einen Gebetskreis und erzählt dort offen seine Bekehrungsgeschichte. (Er hatte im Ring einen Mann getötet. Doch er fand bei Gott Vergebung. „Das war der Tag, an dem ich zu Christus fand.“) Gott habe ihn nicht wie durch ein Wunder verwandelt, „aber er stützt mich jeden Tag.“ Und genau das sollte die Kirche auch tun. „Diese Kirche soll uns Halt geben.“

Foto: Cr. Frank Ockenfels/Netflix © 2025
(v.l.) Mila Kunis, Daryl McCormack, Jeremy Renner, Kerry Washington, Josh O’Connor, Daniel Craig, Josh Brolin, Glenn Close, Andrew Scott and Cailee Spaeny, der Cast von „Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery“

Dieser Kampf des jungen, tiefgläubigen Priesters gegen den machtsüchtigen alten Wicks durchzieht fortan den Film. „Christus kam um zu heilen, nicht um zu kämpfen“, ist dem ehemaligen Boxer klar. Aber auch: „Verlorenen Menschen die Liebe Christi nahebringen, das hat die Welt bitter nötig.“ Duplenticy geht die Aufgabe an „wie Daniel in der Löwengrube“ oder „wie David gegen Goliath“, wie er sagt. „Jung, dumm und von Christus erfüllt.“ Der Filmtitel „Wake Up Dead Man“ ist eine Anlehnung an ein Wort Jesu. Er sagte dies etwa zur Witwe von Nain, deren Sohn gestorben war und den Jesus vom Tod auferweckte (Lukas 7) oder bei der Auferweckung des Lazarus. Das Zitat wird im Fim ganz konkret, der fragt: Ist die Auferstehung von den Toten wirklich möglich?

Gekonnt teilt Johnson zudem immer wieder Seitenhiebe gegen den amerikanischen christlichen Nationalismus und MAGA-Christen aus. Was ist Kirche eigentlich in Zeiten von „marxistischen Feministenhuren“, die Wicks überall sieht? Er hat Angst davor, Macht abzugeben an einen woken Zeitgeist. „Unsere Kirche wird verdrängt von der verderbten Moderne, die uns den Platz als rechtmäßige Anführerin einer christlichen Glaubensnation verwehrt“, predigt er. Worte, die genau so wohl auch in eine Kirche christlicher Nationalisten passen würde.

Vorbild Pater Brown

Detektiv Blanc ist nach eigener Aussage Atheist – „stolzer Ketzer“, der nur „vor dem Altar der Vernunft kniet“. Sein Kurz-Verriss der katholischen Kirche ist dann aber geradezu ein rhetorisches Kleinod. Den Austausch zwischen dem atheistischen Detektiv und dem „von Christus erfüllten“ Priester hat man so wohl noch in keinem Krimi gesehen. Da sind nicht nur die detektivischen Lösungsansätze des Falls raffiniert, auch theologisch geht es hier in die Tiefe.

„Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery“ ist vielleicht der beste Kriminalfilm, der in einer Kirche spielt und von der Kirche handelt. Trotz seiner 140 Minuten ist er zugleich grandiose Unterhaltung. Die Tiefe, mit der Fragen des Glaubens in eine Kriminalgeschichte verwoben wurde, erinnert an die legendären Pater-Brown-Geschichten. Und tatsächlich wurde Regisseur Johnson nach eigener Aussage von den Kriminalgeschichten des Briten G. K. Chesterton inspiriert. „Es gibt eine lange Tradition von Kriminalromanen mit kirchlichem Bezug“, sagte er vorab der Presse.„Agatha Christies ‚Mord im Pfarrhaus‘ ist ein Klassiker, aber meine größte Inspiration für diesen Film waren G. K. Chestertons Pater-Brown-Krimis. Themen wie Schuld, Geheimnis, Moral und die Fehlbarkeit des Menschen passen perfekt in eine Kirche, mit einem Mann Gottes im Mittelpunkt.“

Glücklicherweise ist sein Film mehr geworden als eine Slapstick-Komödie um alberne Priester. Am Ende steht auch die Frage, worum es bei Glauben und Kirche geht, im Mittelpunkt. Die Antwort: Um Macht, Reichtum und das eigene Ego sollte es sich Haus Gottes wohl eher nicht drehen. Und Tom Waits singt dazu passend: „The world is not my home I’m just a-passing through.“ Die Welt ist nicht meine Heimat, ich bin nur auf der Durchreise.

„Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery“, 144 Minuten, Regie: Rian Johnson, FSK 12, ab 12. Dezember bei Netflix

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