Atheist und Theologe werben für neue Kirchen ohne Gott

Treffen sich ein Theologe und ein Atheist und sprechen über Kirchen ohne Gott. Was wie der Anfang eines schlechten Witzes klingt, war Thema auf der Digitalmesse „Republica“ – inklusive eines Seitenhiebes gegen Freikirchen.
Von Martin Schlorke
Lünebürger-Reidenbach und Knüwer

Die beiden großen Kirchen haben massiv mit Mitgliederschwund zu kämpfen. Dass diese Entwicklung trotz weltweiter Krisen wie dem Ukraine-Krieg oder dem Klimawandel anhält, verwundert den bekennenden Atheisten Thomas Knüwer und den Theologen Wolfgang Lünebürger-Reidenbach. Auf der Digitalmesse „Republica“ sagte Knüwer deswegen mit Blick auf die vielerorts leeren Kirchen: „Eigentlich müssten Kirchen voll sein“. Stattdessen erlebten wir eine Zeit, in der neue Kirche ohne Gott entstünden: Die Churchaissance.

Churchaissance setzt sich aus „Church“ (Kirche) und Renaissance (Wiedergeburt) zusammen. Gemeint ist aber nicht die Entstehung neuer Kirchen. Vielmehr beschreibt Churchaissance das Phänomen, dass neue Formen der Gemeinschaft entstehen. Diese ähneln Kirchen, kommen jedoch völlig ohne Gott aus. Beispiele dieser neuen Kirchen seien Fußballvereine, Musikbands oder politische Bewegungen, erklärten Knüwer und Lünebürger-Reidenbach.

In dem rund 30-minütigen Vortrag referierten der Atheist und der Theologe über Gemeinsamkeiten zwischen Kirchen und dem Fußballverein Preußen Münster oder Konzerten von Taylor Swift. Etwa, dass beide ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln. Oder dass beide Rituale ausüben oder Erkennungsmerkmale, wie etwa Symbole nutzen.

Während also die Fußball-Stadien voll sind und bei Taylor-Swift-Konzerten die Nachfrage größer ist, als Tickets verfügbar sind, blieben Kirchen leer. Als mögliche Erklärung für ihre Beobachtung liefern Knüwer und Lünebürger-Reidenbach mehrere Gründe. So verändere Churchaissance die angeborene (Religions-)Zugehörigkeit. Den Verein könne schließlich jeder frei wählen – ähnlich wie in Freikirchen, erklärt der Theologe. Das sei attraktiv. In Amtskirche werde man dagegen oft hineingeboren. Weiterhin könne jeder die neuen Kirchen mitgestalten, etwa wenn Fußball-Fans Choreografien entwerfen. Die Hierarchie sei bei den neuen Kirchen, anders als bei den beiden großen Amtskirchen, von unten nach oben – auch das sei attraktiv.

Kritik an Freikirchen

Die Wissenschaft beschreibt dieses Mitmachen als Ikea-Effekt. Menschen, die an der Schöpfung eines Produkts oder an der Mitgestaltung einer Gruppe beteiligt sind, entwickeln ein höheres Zugehörigkeitsgefühl. Dieser Effekt sei ein Treiber der Churchaissance, erklärte Knüwer.

Für Knüwer und Lünebürger-Reidenbach steht indes fest, dass diese Entwicklung eine positive ist. Denn die Churchaissance sei Teil einer größeren Bewegung, die das Ende der Mehrheitsgesellschaft markiere. Oder religiös gesprochen: Wer Gemeinschaft oder Hoffnung sucht, findet diese längst nicht nur bei den beiden großen Kirchen, sondern bei Taylor Swift oder Preußen Münster. Deswegen warben Atheist und Theologe abschließend dafür, dass die „Repulica“-Besucher sich Gemeinschaften suchen, in denen sie sich wohlfühlen und einbringen können. Einen Tipp, wie diese neuen gottlosen Kirchen in Bezug auf Werbung sein sollten, hatte Lünebürger-Reidenbach auch noch: Mehr Volkskirche, weniger Freikirche, denn für seine Kirche ohne Gott solle man nicht missionieren.

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