Ampel will Staatsleistungen an Kirchen abschaffen – und stößt auf Hindernisse

Die neu formierte Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag die Ablösung der Staatsleistungen an Kirchen angestoßen. Nun regt sich Widerstand, aber auch Zustimmung ist zu vernehmen. Kirchenrechtler Thomas Schüller vermutet Probleme bei der Umsetzung.
Von Johannes Schwarz
Der Würzburger St.-Kilians-Dom

Jahr für Jahr zahlt der Staat hohe Geldsummen an die Kirchen. 2020 waren es 550 Millionen Euro, die die Bundesländer der katholischen und evangelischen Kirche überwiesen: Die sogenannten „Staatsleistungen“.

Der Grund dafür reicht bis ins 19. Jahrhundert hinein. Damals enteignete der Staat die Kirchen, insbesondere gingen Immobilien von Kirchen an den Staat. Mit den Staatsleistungen entschädigt der Staat die Kirchen für diese Enteignungen – und zwar nicht einmalig, sondern bislang dauerhaft.

„Die Staatsleistungen basieren auf einklagbaren Rechtstiteln, sind also keine Privilegien“, sagt der in Münster lehrende Kirchenrechtler Thomas Schüller gegenüber PRO. Warum fließen dann immer noch Millionensummen an die Kirchen? Schließlich haben schon die Weimarer Reichsverfassung von 1919 und auch das Grundgesetz von 1949 dem Staat einen klaren Auftrag gegeben, die Staatsleistungen „abzulösen“, also zu ersetzen.

Die neue Regierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP will laut Koalitionsvertrag die Staatsleistungen ablösen. Dort heißt es: „Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“. Erste Einschätzungen von Experten, Kirchen und den Bundesländern zeigen Zustimmung und Widerspruch.

Bayern zurückhaltend – Rheinland-Pfalz dafür

Die bayerische Landesregierung sieht den Bund und die Ampelkoalition in der Verantwortung, die Gespräche zu beginnen. Die Initiative des Bundes sei abzuwarten, wie ein Sprecher der Landesregierung sagte. Bayern habe wenig Interesse, dass die Staatsleistungen abgelöst werden sollen. Um die dauerhaften Staatsleistungen abzulösen, wäre eine hohe Einmalzahlung fällig.

Im Fall Bayerns könnte das eine Summe von 1,88 Milliarden Euro sein, die der Freistaat an die Kirchen zahlen müsste. Der Sprecher der Landesregierung gab „zu bedenken, dass ein Ablösungsgesetz des Bundes bereits insofern für den Freistaat Bayern nur begrenzte Bedeutung hätte, als eine solche Regelung lediglich eine einseitige, staatlicherseits durch Gesetz vorgenommene Ablösung beträfe“. Vergangenes Jahr hatte die Opposition im Deutschen Bundestag (FDP, Grüne und Linke) einen Vorschlag gemacht, wie die Staatsleistungen abgelöst werden können. Ebenfalls zurückhaltend wie Bayern zeigten sich 2020 die Bundesländer Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.

Kirchenrechtler Schüller sieht in den Ablösezahlungen „ein fiskalisches Problem der Bundesländer“. Im Klartext: Sie können oder wollen sich die Summen nicht leisten. Durch die Corona-Pandemie seien die Haushalte schon stark belastet. Wenn in Zukunft auch Ablösezahlungen hinzukämen, „kämen zum Teil kaum realisierbare Probleme auf die Haushalte zu“. Die aktuellen jährlichen Zahlungen seien wesentlich einfacher zu stemmen – daher sei die Begeisterung einiger Bundesländer hinsichtlich der geplanten Loslösung der Leistungen gedämpft, so Schüller.

Rheinland-Pfalz, ebenfalls von einer Ampel-Koalition regiert, zeigte sich in den vergangenen Tagen gesprächsbereit. Dem Wunsch der neuen Bundesregierung wolle Rheinland-Pfalz nachkommen, so eine Sprecherin der Landesregierung. Außerdem hieß es: „Die Landesregierung begrüßt die im Koalitionsvertrag festgehaltene Absicht, einen fairen Rahmen für eine Ablösung der Staatsleistungen zusammen und im Einvernehmen mit den Ländern und den Kirchen finden zu wollen.“ Sollte die Bundesregierung ihre im Koalitionsvertrag festgelegte Absicht realisieren, „schließen sich die Verhandlungen der Bundesländer mit den Kirchen an“, erläutert Thomas Schüller. Weiter geht der Kirchenrechtler davon aus, dass „dieser Prozess noch längere Zeit brauche“, da von Bundesland zu Bundesland „verschiedene Lösungen hinsichtlich der konkreten Ablösung gefunden werden“ müssen.

Ursprung schon 1803

Die meisten der Staatsleistungen an die katholischen Bistümer und die evangelischen Landeskirchen gehen auf das Jahr 1803 zurück. Zahlreiche Kirchengüter wurden damals enteignet und verstaatlicht. Profitiert hatten seinerzeit die deutschen Reichsfürsten, die für Gebietsverluste an Frankreich entschädigt wurden. Die Enteignung war letztlich rechtswidrig und so verpflichteten sich die Fürsten den Kirchen regelmäßig Zahlungen zu leisten.

Nach altem Recht wurden diese Staatsleistungen, die neben finanziellen Zahlungen auch Sachmittel umfassten, in das spätere Recht übermittelt, meist in vereinfachter und pauschalisierter Form. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hatte sich vorgenommen, dass diese Zahlungen „abgelöst“ sollen. Jedoch geschah dies nicht, sodass das Grundgesetz 1949 ebenfalls die Ablösung der Leistungen vorsah. Bisher kam es jedoch nicht dazu, „weil weder in der Weimarer Zeit noch in Geltung des Grundgesetzes das deutsche Parlament ein Ablösegesetz verabschiedet hat“, erklärt Schüller. Mit der neuen Ampelkoalition soll nun ein neuer Anlauf unternommen werden, die Zahlungen zu beenden. Von den aktuell jährlichen etwa 550 Millionen Euro gehen 60 Prozent an die evangelische Kirche.

Für die Kirchen selbst würden sich unterschiedliche Folgen ergeben. Schüller rechnet damit, dass „vor allem die evangelischen Landeskirchen in den sogenannten ‚neuen‘ Bundesländern“ bei einem Wegfall der Leistungen „sehr belastet“ werden, trotz der Ablösezahlungen. Die katholischen Bistümer in Nordrhein-Westfalen hingegen könnten die Ablösung der Zahlungen „besser verkraften“. Letztlich müssten Kirchen „dort, wo die Staatsleistungen beträchtlich sind“ neue „Einnahmequellen generieren“. Die Kirchen zeigten sich dennoch bisher offen gegenüber den Vorschlägen, die staatlichen Leistungen abzulösen. Für die Säkularisierung sei das Ablösen der staatlichen Leistungen nicht sonderlich prägend, dort seien „andere Entwicklungen wesentlich entscheidender“, betont Schüller, jedoch könne die Glaubwürdigkeit der Kirche besonders bei nicht kirchlich gebundenen Bürgern gestärkt werden.

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8 Antworten

  1. Wenn man weiss, dass an unmittelbaren Transferleistungen jährlich rund 3,9 Mrd. Euro in die staatliche Sportförderung fließen, dann sind die Zahlungen an die Kirchen doch „Peanuts“ und das Thema doch eher aufgrund bestimmter Ideologie auf der Tagesordnung …

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    1. Jede andere staatliche Förderung ist rechtsstaatlicher und gemeinschaftsfördernder als Staatsleistungen an Kirchen! Jeder (Sport-)Verein, jede Unternehmung muss sich an staatliches Arbeitsrecht halten, nur die Kirche nicht. Kirchen weigern sich, staatliches Arbeitsrecht anzuerkennen (religiöse Tendenzbetriebe). Wer zum Beispiel in Einrichtungen der katholischen Kirche arbeitet, riskiert die Kündigung bei Homosexualität, Wiederverheiratung Geschiedener, Schwangerschaftsabbruch, etc.. Das ist gesellschaftsfern! Kirchen sollen ihre gesellschaftsfernen Regelungen behalten dürfen, aber auf eigene Kosten bzw. der säkulare Staat ist weder einer Kirche, noch einer Religion, sondern der gesamten, heute säkularen und zukünftig mehrheitlich konfessionsfreien Gesellschaft verpflichtet und diese gilt es zu fördern.

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  2. Danke für den Hinweis, Herr Kay. Diese Frage habe ich mir schon immer gestellt. Warum wird diese Zahl in den Berichterstattungen nie als Vergleich genannt?

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  3. Kann der Staat nicht einfach die damals rechtswidrig enteigneten Güter – abzüglich der bisher gezahlten Summen – den Kirchen zurückgeben? ;-))

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  4. Ich kenne keine Institution, die über Jahrhunderte Entschädigung erhielte.
    Wer vertrieben oder ausgebommt wurde: Entschädigung lächerlich.
    Der Staat sollte seine Beisshemmung gegenüber Kirchen ablegen:
    Das finge an mit der Einziehung der ‚Kirchensteuer‘ durch das Finanzamt.
    Was die katholische Kirche wert ist ist täglich sichtbar.
    Ich kenne keinen Verein bei dem die Mitgliedschaft nur durch persönliches Erscheinen beendet werden kann!!

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  5. Es gibt unendlich viel Einsatz der Kirchen für Obdachlose, Unterstützung für Frauen die Gewalt erlebten, für Suchtkranke, Flüchtlinge und andere Menschen am Rande der Gesellschaft. Ein ANtrieb aus lebendigem Glauben ist ein nicht zu unterschätzender Fels in der Brandung einer wackelnden orientierungslosen Gesellschaft die den Menschen und nicht den Schöpfer des Menschen auf den Thron stellt. Armes Deutschland. Die Kirchen sollen weiter unterstützt werden, gern zahle ich dafür mehr Steuern und jetzt weiß ich, wen ich garantiert nicht mehr wähle. Danke für diesen Beitrag.

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