Die vier Staffeln der Dokumentation „Shiny Happy People: Geheimnisse der Duggar-Familie“ beleuchtete vor zwei Jahren auf interessante Weise die Hintergründe der christlichen Reality-TV-Show um die Duggar-Familie. Diese amerikanische Serie zeigt das Leben der gläubigen Familie von Michelle und Jim Bob Duggar, die 19 Kinder haben. Doch interessant ist die Serie vor allem deshalb, weil sie die Strukturen hinter der evangelikalen Kultur aufzeigt, unter anderem die Organisation „Institut in Basic Life Principles“, die auch hinter der Serie steckt.
US-Präsident Donald Trump verdankt seine Rückkehr ins Weiße Haus auch dem Rückhalt bei den Evangelikalen. Im Wahlkampf suchte er bewusst die Nähe zu deren Vertretern. Die Reality-TV- Serie „19 Kids and Counting“ lief sieben Jahre lang auf dem Kabelsender TLC. Die Familie Duggar bestand aus gläubigen Baptisten, die Wert auf Reinheit, Bescheidenheit und Glauben an Gott legten. 2015 wurde öffentlich, dass der älteste Sohn der Duggars, Josh, fünf Mädchen sexuell belästigt haben soll, darunter einige seiner Schwestern. Josh entschuldigte sich für „unentschuldbares Verhalten“, TLC setzte die Serie 2015 ab.
Schon damals beleuchtete die Serie das „Institute in Basic Life Principles“ des Predigers Bill Gotthard. Dazu gehörten sieben Prinzipien, die man als guter Christ befolgen müsse. Eine der wichtigsten davon war Gehorsam. Es wird klar, dass es Gotthard weniger um Jesus geht als um Gesetze und Regeln. Prediger wie Michael Pearl, die Gotthardt nahestanden, lehrten, man müsse Kinder schlagen und so ihren Willen brechen, man müsse sie wie Tiere behandeln, war er überzeugt. Die Serie deckte ein System aus Gesetzlichkeit, Ausbeutung und Unterdrückung auf. Schon damals warnten die Serienmacher, hier werde eine „Armee“ aus jungen Menschen herangezogen, um Amerika umzugestalten. Nichts anderes als die Demokratie sei in Gefahr.
Republikanische Politiker kapern evangelikale Strömung
Einflussreiche Prediger und Politiker nutzen diese evangelikale Bewegung immer mehr, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Somit ist „Shiny Happy People“ ein wichtiger Baustein, um die aktuelle Entwicklung in Amerika zu verstehen. Hier ist vor allem die vierte und letzte Folge der ersten Staffel interessant. Gotthardt ist zu sehen, wie er predigt: „Wir befinden uns in einem Kulturkrieg. Gott muss diesen Krieg gewinnen.“ Schon die Kinder sollten für diesen Krieg trainiert werden. Und das in jeder Hinsicht wortwörtlich: In Trainingscamps, die sich kaum von Armee-Schulen unterschieden.
Die im Film vorgestellte „Joshua Generation“ ist eine 2003 gegründete amerikanische christlich-fundamentalistische Jugendorganisation mit dem Ziel, junge Menschen im Sinne konservativer christlicher Werte in Politik und Gesellschaft zu befördern. Über Praktika und Festanstellungen sollen sie an die Schaltstellen der Politik gebracht werden. Es geht dabei um die Themen Home-Schooling, Abtreibung sowie das Ende der Rechte von LGBTQ-Menschen – um die christliche Botschaft geht es weniger. Vielmehr spielt Macht und politischer Einfluss eine Rolle. Christliche Influencer beteiligen sich in den sozialen Medien an der Verbreitung dieser politischen Ideen. Es geht dabei um spezielle kulturelle Aspekte wie die Unterwerfung der Frau, die Verurteilung von Homosexualität und Drohungen darüber, wer in die Hölle kommt.
Die Serie löste viele Reaktionen aus. Es meldeten sich zahlreiche ehemalige Mitglieder der christlichen Jugendorganisation „Teen Manie Ministries“. Diese wenig bekannte fundamentalistische Gruppierung verpasste in den 90er-Jahren tausenden Kindern und Jugendlichen in den USA eine Gehirnwäsche und steht im Mittelpunkt der zweiten Staffel. Teil der Bewegung sind drei Elemente. Erstens: Konzertveranstaltungen unter dem Namen „Acquire the fire“, eine Art „Coachella für christliche Jugendgruppen“ mit teuren Bühnen- und Pyro-Shows. Zweitens: Missionsreisen, bei denen Jugendliche in fremde Länder geschickt wurden, um zu evangelisieren. Drittens: die „Honor Academy“, ein christliches Ausbildungslager für Jugendliche.
Ehemalige berichten, dass diese Jugendkirche ihr einziger Halt im Leben war; um dort zu bestehen, waren sie bereit, sehr viel Leid und Drill auf sich zu nehmen. Säkulare Kultur war strengstens verboten, eine christliche Parallelkultur mit Rockmusik wurde erschaffen. April Ajoy, Autorin des Buches „Star-Spangled Jesus“, sagt: „Die säkulare Kultur wurde wie ein Tor gesehen: Wenn man seine Tür nur ein kleines bisschen öffnete, konnte der Teufel eindringen.“ Gegründet wurde „Teen Mania“ 1986 von Ron Luce. Bei seinen Shows war man nicht ganz sicher, ob die Gänsehaut vom Heiligen Geist kam oder vom ohrenbetäubenden Feuerwerk. Luce sprach immer häufiger von einem Krieg und dass man eine Armee Gottes gründen müsse.
Der einflussreiche christliche Radiomoderator James Dobson, der eine Sendung namens „Focus on the family“ hatte, propagierte eine glückliche Familie und dass man seine Kinder schlagen sollte, um sie zu erziehen. Dobson sprach aber zugleich wiederholt von einem „Krieg“ der Kulturen, in dem sich Amerika befinde. Die Feinde: Hollywood, Rockmusik und das Fernsehen. Doch dieser Kampf wurde zunehmend ein Kampf um die politische Vorherrschaft in Amerika.
Das Wichtigste: Gehorsam statt selbst Denken
Bei der „Honor Academy“ wurde mit der Zeit nicht nur die Sprache immer militärischer. Dave Hasz, Geschäftsführer der Akademie, führte militärischen Drill für die „Soldaten Christi“ ein. Die Jugendlichen mussten um 4 Uhr aufstehen und zunächst Sport machen, danach für die Organisation arbeiten, etwa am Telefon Tickets für die Konzerte verkaufen – ohne Bezahlung. Dabei waren alle Jugendlichen nur deswegen auf der „Akademie“, weil sie selbst viel Geld für ihren Aufenthalt dort bezahlten. Unter den Anweisungen „Töte dein Ego“ oder: „Mach deinen Körper zu deinem Sklaven“ wurden Tausende Jugendliche ausgenutzt – unter christlichen Vorzeichen. Das Wichtigste bei allem: Gehorsam.
Der Campus wurde eines Tages aufgeteilt, berichten Ehemalige: Die eine Hälfte verkleidete sich als Eingeborene irgendeines Stammes; die andere musste sie bekehren. Kulturelle Kompetenz oder Sensibilität habe es auf der Akademie nicht gegeben. Menschen anderer Kulturen seien als Objekte angesehen worden, die man für die eigene Sache gewinnen musste.
Besonders der letzte Teil der zweiten Staffel zeigt die immer absurder werdenden Ausmaße des „christlichen“ Drills. Die Teenager mussten stundenlang ein großes Holzkreuz durch die Gegend tragen, durch schlammige Tunnel kriechen, die unter Wasser standen, Autoreifen schleppen und Parolen brüllen wie „Ich bin ein starker Mann Gottes!“ Der Journalist Sharlet sagt: „Das Christentum wurde auf ein Wort reduziert: Kämpfe!“ Echte Soldaten in voller Montur und mit Waffen erschienen auf den Bühnen der vormals christlichen Veranstaltungen. Es ging nicht mehr um Jesus, sondern gegen Homosexualität. Nicht mehr um Gott, sondern um das, was die republikanischen Politiker für eine amerikanische christliche Kultur halten.
Am Ende steht die erschütternde Erkenntnis: „Teen Mania“ ging zwar 2015 pleite, und einige Teilnehmer schafften den Weg heraus. Doch die meisten schafften den Absprung nicht. „Rons Armee ist noch da draußen“, sagt Sharlet. Das Königreich, das sie errichten wollten, sei noch immer nicht umgesetzt. Damit gelingt der Serie der Sprung in die Gegenwart. So wird etwa der ultrarechte Trump-Unterstützer Jack Posobiec auf einer Veranstaltung konservativer Politiker gezeigt, wie er sagt: „Wir wollten die Demokratie am 6. Januar stürzen, das hat nicht geklappt. Aber wir werden sie loswerden und ersetzen. Denn alle Ehre gebührt nicht einer Regierung, sondern Gott.“
Das Ziel dieser auf christlichen Drill eingestellten „Purity“-Generation ist demnach die Abschaffung der Trennung von Kirche und Staat – exakt das Gegenteil dessen, was die tiefgläubigen Gründerväter der USA im 18. Jahrhundert nach der Unterdrückung ihres Glaubens in den europäischen Staaten erreichen wollten. Unter dem Stichwort „Convention of States“ soll erreicht werden, dass die Verfassung der USA geändert wird: Man brauche die Stimmen von mindestens 34 Staaten, um eine Versammlung zur Änderung der Verfassung einzuberufen. Der christliche Radiomoderator James Dobson gibt offen zu: So könnte man die Stimme des Volkes umgehen, denn das Volk sei zu schlecht informiert, um zu verstehen, worum es eigentlich geht. Die ehemalige „Teen Mania“-Teilnehmerin Dani Rocca-Herbert sagt zum Schluss der Doku-Reihe: „Die evangelikale Kultur ist stark binär geprägt. Es gibt keine Abstufungen. Du musst eine Seite wählen.“ Sie sei heute immer noch Christin, sagt sie. „Aber auf die Jesus-Art.“