Abhängigkeit von sozialen Medien wächst rasant

Etwa 680.000 12- bis 17-Jährige in Deutschland sind süchtig nach Computerspielen und sozialen Medien. Das hat eine gemeinsame Studie der DAK und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen herausgefunden. In der Pandemie hat sich die Zahl verdoppelt.
Von Johannes Blöcher-Weil
Vor allem WhatsApp steht bei den jungen Menschen hoch im Kurs, was die sozialen Netzwerke betrifft.

WhatsApp, Instagram oder Snapchat beherrschen die Lebenswelt junger Menschen. Die Krankenkasse DAK und das Deutsche Zentrum für Suchtfragen in Hamburg-Eppendorf haben in einer repräsentativen Umfrage das Suchtverhalten von 12- bis 17-Jährigen untersucht. Seit 2019 ist die Zahl derjenigen, die ein Suchtverhalten bei Social Media aufweisen, von 3,2 auf 6,7 Prozent und im Bereich Computerspiele von 2,7 auf 6,3 Prozent angestiegen.

Eine „Abhängigkeit“ ist laut den Autoren dann gegeben, wenn mindestens fünf von neun Standardfragen mit „ja“ beantwortet werden. Zu den Standardfragen gehören unter anderem, ob durch die Beschäftigung mit sozialen Medien wichtige Kontakte gefährdet oder bereits verloren sind und ob die jungen Menschen nicht mit sozialen Medien aufhören können, obwohl sie vernünftigerweise besser hätten aufhören sollen.

Ein Drittel mehr Bildschirmzeit

Insgesamt verbringen die Kinder und Jugendlichen auch ein Drittel mehr Zeit vor den Geräten und Bildschirmen als 2019. Die Nutzungszeiten beim Gaming lagen mit 115 Minuten an Werktagen knapp 34 Prozent höher als im September 2019. Um 35,5 Prozent – von 121 auf 164 Minuten – ist die Nutzung bei den sozialen Medien gestiegen.

Im Juni 2022 streamten die Befragten an einem durchschnittlichen Werktag 107 Minuten Videos und Serien. Dies ist im Vergleich zu 2021 (170 Minuten) ein deutlich niedrigerer Wert. Im Bereich Streaming zeigten 2,4 Prozent der Befragtem und damit 126.000 Betroffene ein „pathologisches“ Nutzungsverhalten.

Erstmals wurden auch durch die Nutzung entstandene körperliche Probleme abgefragt. Ein Drittel der Befragten klagte nach mehrstündigem Sitzen vor dem Bildschirm oder dem Handy über Nackenschmerzen, 23,4 Prozent beschwerten sich über trockene und juckende Augen und etwa jeder Sechste gab an, Schmerzen im Unterarm oder der Hand zu haben.

„Riskante Mediennutzung ist Alltag“

5,1 Prozent aller Befragten zeigen eine problematische Nutzung von Gaming und Social Media. Etwas mehr als ein Prozent nutzt darüber hinaus auch Streaming-Angebote problematisch. Damit sind 58.000 der Befragten von allen Problemkreisen betroffen. Beim Thema Gaming sind 68,4 Prozent der Betroffenen Jungen, bei den sozialen Medien stellen die Jungs mit etwas mehr als 52 Prozent die Mehrheit derjenigen dar, die die sozialen Medien problematisch nutzen. Im Blick auf das Alter zeigt sich eine höhere Abhängigkeit bei älteren Jugendlichen.

Für den Präsidenten des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Thomas Fischbach ist eine riskante Mediennutzung bei vielen Kindern und Jugendlichen Alltag. Deswegen gehe es darum, die Prävention zu stärken, die Früherkennung von Mediensucht zu verbessern.

DAK-Vorstandschef Andreas Storm empfiehlt, den negativen Trend möglichst schnell zu stoppen: „Wenn jetzt nicht schnell gehandelt wird, rutschen immer Kinder und Jugendliche in die Mediensucht und der negative Trend kann nicht mehr gestoppt werden. So würden Familien zerstört und die Zukunft vieler junger Menschen bedroht.“ Es brauche mehr Hilfsangebote und zudem neue Akzente in der Bildungs- und Familienpolitik. Kinder und Jugendliche müssten die Risiken der Nutzung einschätzen und reflektieren lernen, damit sie die Medien konstruktiv nutzen können.

Der ärztliche Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters, Rainer Thomasius, betont, dass exzessive Mediennutzung zu einem Kontrollverlust mit weitreichenden Folgen und einem „Stillstand in der psychosozialen Reifung“ führen könne: „Die Ergebnisse unserer Studie machen einmal mehr deutlich, wie wichtig Präventions- und Therapieangebote für Kinder und Eltern sind.“

„Anlaufstellen bieten“

Viele Jugendliche würden über die digitalen Medien ihre Kontakte aufrechterhalten, Langeweile bekämpfen oder Informationen beschaffen. Bei manchen Nutzern diene es auch dazu, „Gefühle von Einsamkeit, sozialer Isolation und Kontrollverlust, aber auch Stress und andere negative Gefühle zu kompensieren. Diese Nutzerinnen und Nutzer sind besonders gefährdet, eine Sucht zu entwickeln“.

Um eine Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche mit problematischem Mediennutzungsverhalten zu bieten, wurde die Online-Anlaufstelle Mediensucht entwickelt. Dort erhalten Betroffene und deren Angehörige Informationen und Hilfestellungen rund um die Themen Gaming-, Social-Media- und Streaming-Sucht.

Der aktuellen Studie liegt eine repräsentative Gruppe von 10- bis 21-Jährigen aus rund 1.200 Familien zugrunde. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat diese in den letzten drei Jahren in fünf Wellen zu ihrem Umgang mit digitalen Medien befragt.

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