Vor 50 Jahren: Der „Bloody Sunday“ erschüttert die Welt

Er steht für einen Jahrzehnte langen, blutigen Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten: Am „Blutsonntag“, dem „Bloody Sunday“, wurden vor 50 Jahren 13 friedliche irische Demonstranten von britischen Soldaten niedergeschossen. Er war Auslöser für viele weitere Tote auf beiden Seiten.
Von Jörn Schumacher
Derry, Wandegmälde Blutsonntag

Als am 30. Januar 1972 Katholiken in der nordirischen Stadt Derry einen Marsch abhalten wollten, sollte eigentlich alles friedlich bleiben. Doch britische Fallschirmjäger, die den Zug begleiten sollten, erschossen 13 katholische Demonstranten, ein weiterer starb später an seinen Verletzungen. Dieser Tag sollte als „Bloody Sunday“ in die Geschichte eingehen, er war einer der blutigen Höhepunkte des Nordirlandkonfliktes. Mehrere Lieder wurden über diesen unseligen Tag geschrieben, eines der bekanntesten ist das der irischen Rockgruppe U2, das 1983 erschien, aber auch John Lennon und Paul McCartney schrieben jeweils ein Lied über das Thema.

Der Konflikt, der in Großbritannien auch „the Troubles“ genannt wird, dauerte von 1968 bis 1998, und in jener Zeit waren Gewalt und Unruhen in Nordirland alltäglich. Protestanten kämpften gegen Katholiken. Während die meisten Protestanten, die „Unionisten“, Teil des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland bleiben wollen, wollen die Katholiken, die „Republikaner“, ein vom Vereinigten Königreich losgelöstes Irland. Der Konflikt geht zurück bis auf die englische Eroberung Irlands ab dem 12. Jahrhundert. Dabei stehen die Begriffe „katholisch“ und „protestantisch“ nicht nur für eine unterschiedliche religiöse Geisteshaltung der beiden Gruppen, sondern auch für soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede. Dem typischen katholischen Iren (assoziiert mit arm und bäuerlich) steht hierbei der typische englische, protestantische Siedler (kolonialisierend, wohlhabend) gegenüber. Mit dem „Good Friday Agreement“ 1998 beruhigte sich der Konflikt.

Die Ereignisse am „Bloody Sunday“

Die Kundgebung in Derry am 30. Januar 1972 war zwar verboten, lief aber zunächst friedlich ab. Zwischen 5.000 und 20.000 Menschen beteiligten sich an dem Protestmarsch – wie viele es genau waren, dazu gehen die Schätzungen auseinander. Er richtete sich gegen die Regierung in London und ihr Vorgehen, vermeintliche Sympathisanten der paramilitärischen Organisation „Irisch-Republikanische Armee“ (IRA) ohne Gerichtsverfahren festzunehmen. Im Verlauf des Protestes erschossen britische Fallschirmjäger 13 Demonstranten mit der Begründung, dass diese zuerst geschossen hätten.

Der „Bloody Sunday“ trug wesentlich zur Eskalation des Nordirlandkonflikts bei. Eine erste Untersuchung noch im selben Jahr entlastete das Militär, was wiederum weitere Gewalt auslöste. Die IRA verübte als Racheakt am 22. Februar 1972 einen Bombenanschlag auf das Hauptquartier der Fallschirmjäger in der Garnison Aldershot, südlich von London. Der Anschlag traf keine Soldaten, sondern tötete sechs Zivilisten und einen katholischen Militärgeistlichen.

Hinterbliebene der Opfer des „Bloody Sunday“ forderten immer wieder eine objektive Untersuchung der Ereignisse von 1972. Erst im Januar 1998 kündigte der damalige Premierminister Tony Blair eine Revision des Falles an. Über zwölf Jahre lang wurden die Geschehnisse von damals erneut untersucht. Der abschließende Bericht, der 15. Juni 2010 veröffentlicht wurde, kam zu dem Ergebnis: Die Schüsse des Militärs seien eindeutig unbegründet gewesen, die Schuld liege bei den britischen Soldaten, die erschossenen Demonstranten hätten keine Gefahr dargestellt. Kein britischer Soldat war verletzt worden, doch mindestens fünf irische Demonstranten wurden von hinten erschossen, also offenbar auf der Flucht. Selbst nach dem Befehl zur Feuereinstellung hatten die britischen Soldaten noch etwa 100 Schüsse abgefeuert, stellten die Ermittler fest. Anlässlich der Vorstellung des 5.000 Seiten umfassenden Berichtes, 38 Jahre nach dem „Bloody Sunday“, bat der britische Premierminister David Cameron am 15. Juni 2010 im Namen der Regierung um Verzeihung für die Taten der britischen Soldaten.

Am 22. September 2011 beschloss die britische Regierung, die Hinterbliebenen der Opfer des „Bloody Sunday“ zu entschädigen, allerdings blieb unklar, wer die Entschädigungen erhalten und wie hoch sie ausfallen sollte. Einige Hinterbliebene lehnten Entschädigungen grundsätzlich ab, solange nicht alle eingesetzten Soldaten angeklagt würden. Im November 2015 wurde einer der Soldaten im Alter von 65 Jahren wegen des dringenden Tatverdachts festgenommen. Im März 2019 gab die zuständige Generalstaatsanwaltschaft bekannt, gegen einen weiteren Soldaten Anklage wegen Mordes in zwei Fällen sowie versuchten Mordes in vier Fällen zu erheben. Für 16 weitere Soldaten und zwei offizielle IRA-Männer gäbe es dagegen nicht genügend Beweise für eine Anklage. Bis heute wurde niemand verurteilt.

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