PRO: Frau Preisler, seit nunmehr zwei Jahren sind sie auf sogenannten pro-palästinensischen Demonstrationen unterwegs – bewaffnet mit Pappschild und Blumen, um auf das Schicksal der israelischen Geiseln und auf sexualisierte Gewalt der Hamas aufmerksam zu machen. Was treibt Sie an?
Karoline Preisler: Antisemitismus bekämpfe ich schon immer. In jüngster Zeit habe ich festgestellt, dass sich die Kommunikation verändert hat. Die Menschen, die auf diese Versammlung gehen, nehmen ihren Protest selbst mit ihren Handykameras ziemlich professionell auf und stellen Videos ins Netz. Es geht also längst nicht mehr nur um den Protest auf der Straße. Vielmehr wird dieser auch in die sozialen Netzwerke hineingetragen. Entsprechend muss sich auch der Gegenprotest verändern. Wenn ich also mit meinen Pappschildern auf den Demos auftrete, werden meine Botschaften zwangsläufig auf den entsprechenden Videos und Bildern der Demo mittransportiert. Dort, wo antisemitische Verschwörungserzählungen verbreitet werden, ist solche Gegenrede zwingend erforderlich.
Auf Ihren Pappschildern steht beispielsweise „Vergewaltigung ist kein Widerstand“. Diese Botschaft ist eindeutig. Aber was bezwecken Sie mit den Blumen?
Wer Blumen trägt, ist mit friedlichen Absichten unterwegs. Sie sind ein Zeichen meiner Friedfertigkeit. Und anders als Worte provozieren sie nicht. Auf den Demos werde ich häufig angegangen und geschubst. Das Schild in der einen, die Blumen in der anderen Hand halten mich davon ab, zurück zu schubsen. Manchmal verschenke ich einzelne Blumen an meine Gesprächspartner vor Ort.
Dennoch triggern Sie die Leute.
Mein Ziel ist nicht, eine heftige Gegenreaktion hervorzurufen. Vielmehr will ich mit den Menschen auf den Demos ins Gespräch kommen. Ich will Antisemitismus, Verschwörungserzählungen und Fake News nicht unwidersprochen lassen. Wenn ich mit meinen Schildern auf den Videos über die Demos zu sehen bin, kann aktiv etwas tun.
Feierabend 🙌. #b1204
— Karoline Preisler (@PreislerKa) April 12, 2025
Ich gehe jetzt zu meinen Lieben. Die Geiseln haben dieses Glück nicht. Sie alle müssen endlich nach Hause kommen. #UntilTheLastHostage pic.twitter.com/zfr0gU9LmD
Auch Medien haben vielfach Falschinformationen über den Krieg im Gazastreifen verbreitet, etwa bei Todeszahlen oder dem angeblichen israelischen Angriff auf das Al-Ahli-Arab-Krankenhaus.
Ich bin dankbar für unsere Medienvielfalt in Deutschland, auch weil sie eine Art Ergänzung zu unseren öffentlich-rechtlichen Medien ist. Und ich würde mir wünschen, dass unsere seriösen Medien mittlerweile klüger geworden sind und nicht mehr ungeprüft Zahlen der Hamas übernehmen. Durch falsche Zahlen, beispielsweise von Todesopfern, entsteht ein verzerrtes Bild mit zwei Mechanismen. Zum einen werden die tatsächlichen Opfer zu wenig beklagt. Zum anderen verlieren die Medien durch das Verbreiten von Falschinformationen an Reputation.
Kürzlich musste das ZDF zugeben, dass ein Mitarbeiter einer langjährigen Partnerfirma im Gazastreifen Hamas-Mitglied war. Nachdem er bei einem israelischen Angriff getötet wurde, war zunächst die Empörung des Senders groß.
Es ist beklagenswert, wenn Menschen sterben. Es ändert aber den Kontext, ob ein unabhängiger Journalist ums Leben kommt oder ein etabliertes Hamas-Mitglied. Wenn Israel dämonisiert wird, wenn doppelte Standards angelegt werden oder das Land delegitimiert wird, liegt Antisemitismus vor. Im Falle der Berichterstattung über den Tod dieses Hamas-Mitgliedes vor Bekanntwerden seiner Mitgliedschaft waren alle drei Merkmale erfüllt. Das heißt, die Berichterstattung war antisemitisch.
Wie kann so etwas verhindert werden? Felix Klein, der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, schlug kürzlich eben solche Beauftragte für große Medienhäuser vor.
Schon durch eine angemessene Wortwahl, in Kombination mit guter Recherche, können Sachverhalte besser dargestellt werden. Ob solche Beauftragte in Medienhäusern realistisch sind, weiß ich nicht. Wo sollen die alle herkommen?
Karoline Preisler
Karoline Preisler, Jahrgang 1971, ist Mutter von vier Kindern. Die Juristin ist seit 2013 Mitglied der FDP. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie durch ihr „Corona-Tagebuch“ bekannt. Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 besucht Preisler Anti-Israel-Demonstrationen, um dort auf die israelischen Opfer von sexualisierter Gewalt und auf die Geiseln aufmerksam zu machen. Im November erschien im Ariella-Verlag ihr Buch „Streit und Straßenkampf“, in dem sie von ihrem Engagement für Meinungsfreiheit und gewaltfreie Auseinandersetzung berichtet.
Für Ihr Engagement wurden Sie kürzlich mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden ausgezeichnet. Im Rahmen der Preisverleihung sagten Sie, dass Sie mit einer „protestantischen Nüchternheit“ auf israelfeindliche Demos gehen. Was meinen Sie damit?
Ich habe als Kind gelernt, für seinen Nächsten verantwortlich zu sein. Diese Verantwortung erfordert neben einem Wertekompass auch das Streben danach, ein guter Mensch zu sein. Und manchmal braucht man den Mut, um zu sagen, was notwendig ist. Wir können Juden nicht zumuten, allein gegen Antisemitismus zu kämpfen. Gerade Christen sind dazu aufgerufen, Menschen beizustehen und nüchtern zu erkennen, wo Hilfe Not tut.
Sie sind in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen. Haben vor der Widervereinigung in der Kirche gearbeitet und sind selbst von der Stasi bespitzelt worden. Welche Bedeutung hat der christliche Glaube für Sie?
Ich bin gut geerdet und gut gehimmelt.
Das müssen Sie erklären.
Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und unser Grundgesetz geben uns eine gute Grundlage zum Leben. Dadurch bleibt wenig übrig, was einem fehlt. Man ist gut geerdet. Meinen Glaubenfrei leben zu dürfen, also gehimmelt zu sein, ist für mich ein Segen. Das war in der DDR für mich und für viele andere nicht möglich. Und auch heute dürfen wir das nicht als selbstverständlich ansehen und müssen uns gegen Bestrebungen wehren, die die Religionsfreiheit verzerren.
„Ich bin gut geerdet und gut gehimmelt.“
Sie erwähnten gerade das Grundgesetz. In dessen Präambel ist von „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ die Rede. Ist das angesichts einer zunehmend entkirchlichten Gesellschaft noch zeitgemäß?
Ich finde es allein schon aus historischen Gründen sinnvoll, denn die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben dieses aus den Erfahrungen des Holocausts sowie dem höchst unchristlichen und antisemitischen Verhalten der Nationalsozialisten geschrieben.
Zugleich bin ich überzeugt, dass Säkularität, also die Trennung von Religion und Staat, uns auch guttut. Mein Glaube ist meine private Angelegenheit, die ich niemandem aufnötigen möchte. Zudem wird unsere Gesellschaft immer interreligiöser. Auch von anderen Religionen fordere ich deshalb, dass sie Privatangelegenheiten bleiben und mir nichts aufzwingen.
Der Kampf gegen Antisemitismus wird im Grundgesetz nicht explizit erwähnt. Sollte das geändert werden?
Mit dem Grundgesetz haben wir eine sehr gute und abschließende Regelung in Bezug auf die Würde des Menschen. Bei Gesetzen, die ja die Vorgaben des Grundgesetzes umsetzen sollen, sehe ich allerdings Nachholbedarf.
Zum Beispiel?
Ich bin der Auffassung, dass wir fremden Menschen keinen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland geben sollten, wenn diese Antisemiten sind. Menschen, die nach Deutschland kommen, sollten unsere Staatsräson als Selbstverständlichkeit sehen und Antisemitismus ablehnen. Außerdem sollten wir gewisse Symbole, die seit einigen Jahren in der antisemitischen Szene und auf Demonstrationen zu sehen sind, als verfassungsfeindlich einstufen.
Auf diesen Demos werden Sie angefeindet, angespuckt und geschlagen. Bestärkt Sie das in Ihrem Engagement oder weckt das nicht vielmehr Zweifel?
Das bestärkt mich nicht, denn es sind bittere Erfahrungen. Allerdings erlebe ich nicht nur Gewalt, sondern auch gute Gespräche. Mutmachend sind viele positive Rückmeldungen, die ich für meinen Einsatz bekomme. Außerdem gibt es mittlerweile deutschlandweit viele Nachahmerinnen, die ähnliches tun – sogar im europäischen Ausland. Wir haben eine neue Form des Protests entwickelt. Eine feminine, ruhige und friedliche Art, um zum Ausdruck zu bringen, dass wir uns ein besseres Leben für Juden, für alle Minderheiten und auch für Frauen wünschen.
Sie führen gute Gespräche auf israelfeindlichen Demos?
Natürlich überzeuge ich dort niemanden, aber es ist wichtig, überhaupt ins Gespräch zu kommen. Beim Thema Nahost gibt es tiefe Gräben. Ich will Gesprächsfäden wieder aufnehmen. Denn irgendwann wird hoffentlich Frieden im Nahen Osten sein. Doch die Menschen, die gegen Israel demonstriert haben, werden weiterhin hier sein und ihr Gedankengut verbreiten.
Das erinnert mich sehr an die Corona-Proteste. Wut und Frust auf die Politik wegen bestimmter Entscheidungen sind auch nicht einfach nach Auslaufen der Maßnahmen verschwunden.
Ich glaube, die Enttäuschung nach der Pandemie sitzt bei ganz vielen Menschen tief. Und ich kann das nachvollziehen. Vieles war damals eben nicht schwarz oder weiß. Auch ich habe Maßnahmen als unverhältnismäßig kritisiert oder bemängelt, dass es zu wenig Debatte gab. Und ich bin enttäuscht, dass von keiner der beiden Bundesregierungen, die während er Pandemie im Amt waren, eine Bitte um Entschuldigung und das Angebot einer Evaluation zu hören waren.
Aber was bedeutet das für antisemitische Proteste heute? In Bezug auf Antisemitismus gibt es schließlich schwarz-weiß.
Absolut. Aber auf den Demos laufen auch gemäßigte Teilnehmer mit, die Gewalt und Antisemitismus ablehnen. Ihnen werfe ich die Teilnahme an israelfeindlichen, antisemitischen Veranstaltungen vor. Aber das macht sie nicht automatisch zu Antisemiten. Es entwertet nur jedes berechtigte Anliegen.
Frau Preisler, zwei Jahre haben Sie auf das Schicksal der israelischen Geiseln aufmerksam gemacht. Wie haben sie deren Freilassung am 13. Oktober erlebt?
Für mich war das ein sehr beeindruckender Tag, den ich nie vergessen werde. Allerdings befinden sich noch immer die Leichname von Meny Godard, Ran Gvili, Dror Or und Sudthisak Rinthalak im Gazastreifen. Ich hoffe, dass die toten Körper zu ihren Familien heimkehren und bestattet werden können. (Zum Zeitpunkt des Interviews befanden sich noch immer die Leichname der vier Geiseln im Gazastreifen. Aktuell halten die Terroristen noch den Leichnam von Ran Gvili zuürck, Anm. d. Red.). Das ist aus religiöser Sicht, aber auch für die Hinterbliebenen wichtig. In meinen Augen ist die Entführung lebender oder toter Menschen Gotteslästerung und haram im islamischen Sinne.
Unter den Entführten waren auch mehrere deutsche Staatsbürger. Wie bewerten Sie das Bemühen der Bundesregierung um die Freilassung der Geiseln?
Ich finde es schockierend, dass unsere Regierung so wenig für die entführten deutschen Staatsbürger gemacht hat. Und denken Sie nur an Sonja Nientiet, die seit 2018 von somalischen Terroristen entführt ist. Ich wünsche mir, dass in jeder Weihnachtsansprache des Kanzlers an sie erinnert und alles für ihre Freilassung getan wird – eben genau dieses Engagement, das auch bei den deutschen Geiseln im Gazastreifen gefehlt hat. Aber ich weiß auch, dass jeder Mensch Macht zur Veränderung hat. Deswegen werde ich auch zukünftig für die Menschen, die von Islamisten gefangen gehalten werden, sichtbar eintreten.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Preisler.
Dieser Artikel erschien zuerst in Ausgabe 6/2025 des Christlichen Medienmagazins PRO. Sie können das Magazin hier kostenlos abonnieren.