Der Jurist Oliver Tolmein fordert vom Gesetzgeber rechtliche Rahmenbedingungen für den assistierten Suizid. „Wir brauchen Regelungen, die verhindern, dass hier ein schnell wachsender, kaum kontrollierbarer Markt für Suizidassistenz entsteht“, sagte der Hamburger Fachanwalt für Medizinrecht dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020, das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufzuheben, sei der Suizid enttabuisiert worden, jetzt werde er vermarktet.
Seitdem habe sich die Zahl der assistierten Suizide mindestens verzehnfacht. Mittlerweile gebe es schon eine GmbH, die Suizidbeihilfe für 8.950 Euro bundesweit anbiete, erläuterte Tolmein, der auch an der Universität Göttingen Medizinrecht lehrt. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeige für München, dass etwa ein Drittel der Patienten, die mithilfe einer Suizidassistenz gestorben seien, unter Depressionen, kognitiven Einschränkungen oder Demenz litten.
„Gesetzgeber darf unregulierten Zustand nicht akzeptieren“
In fast zwei Dritteln der Münchner Fälle sei der Gutachter zugleich der assistierende Arzt und auch der Leichenschauer gewesen. Das widerspreche den Anforderungen, mit denen die Freiverantwortlichkeit eines Suizids festgestellt werden sollte, stellte der Jurist am Rande einer Tagung zum assistierten Suizid in Osnabrück klar: „Das kann der Gesetzgeber nicht akzeptieren. Und es spricht auch nichts dafür, dass das Bundesverfassungsgericht so einen gänzlich unregulierten Zustand gewollt hat.“
Das Bundesverfassungsgericht hatte den Strafgesetzbuch-Paragrafen 217 für verfassungswidrig erklärt und Bürgern ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben zuerkannt. Es hatte den Gesetzgeber zudem aufgefordert, Sterbehilfe neu zu regeln. Das ist bislang nicht gelungen, weil sich für die vorgelegten Gesetzentwürfe keine ausreichenden Mehrheiten fanden. Beim assistierten Suizid setzt etwa ein Arzt ein tödlich wirkendes Medikament ein. Der Patient muss dieses selbst einnehmen oder bei einer ärztlich gelegten Infusion den Zugang selbst öffnen.
Verunsicherung in der Bevölkerung über Suizidbeihilfe
Auch das Osnabrücker Hospiz drängt als Organisator der Tagung auf Rahmenbedingungen, die die Menschen vor dem Missbrauch der Suizidbeihilfe schützen. Geklärt werden müsse etwa, ob der Personenkreis, der beim Suizid assistieren dürfe, eingeschränkt werden sollte, sagte Geschäftsführerin Doris Homölle. Derzeit könne das nahezu jeder, wenn vorher ein Mediziner den Suizidwunsch begutachtet habe. Sie plädierte zudem für Beratungsstellen und die Einhaltung von Fristen.
Die große Zahl der Nachfragen seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeige die Verunsicherung der Bevölkerung. „Die Menschen fragen uns, ob wir Suizidbeihilfe leisten, ob wir sie beraten können oder welche Regeln sie beachten müssen“, zählte Homölle auf. Die Geschäftsführerin stellte klar, dass Hospize keine Suizidbeihilfe leisteten. „Wir lindern am Lebensende der Menschen und begleiten sie im Sterben. Aber wir verkürzen das Leben nicht.“
Die Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) sieht hingegen keine Notwendigkeit für weitere gesetzliche Regeln. Die bestehenden Strafgesetze seien ausreichend, um Verstöße zu ahnden, teilte der Verein auf Anfrage mit. Die DGHS vermittelt als einer der größten Anbieter in Deutschland Suizidbeihilfe durch Ärzte.
Haben Sie suizidale Gedanken oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de