Männer, entspannt euch!

Die Diskussion um Geschlechterrollen scheint die männliche Identität erschüttert zu haben. Wann ist ein Mann ein Mann? PRO fragt Rüdiger Jope: Chefredakteur der christlichen Männerzeitschrift MOVO. Ein Gespräch über Selbstwert, Glaube und Sexualität.
Von Christian Biefel
Rüdiger Jope, Portrait

PRO: Herr Jope, in der westlichen Gesellschaft gibt es viele Unklarheiten darüber, wie ein Mann heute zu sein hat. Warum ist das so?

Rüdiger Jope: Wir Männer sind auf der Suche nach Vorbildern. Jahrhunderte lang waren wir die Tonangeber, die Ernährer der Familie, die, die zur Arbeit gingen. Selbstverständlich gehen heute auch Frauen zur Arbeit und übernehmen dort Verantwortung. Die Frage, die für die Männer bleibt, ist: Was verleiht mir in dieser Situation Wert? Was gibt mir Identität, wenn es die Arbeit, die Jagd, das Machthaben oder das Adrenalin nicht mehr ist? Ich nehme ein verunsichertes Mannsein wahr. Mannsein wird auf der einen Seite hinterfragt, mit den Fingerspitzen angefasst. Mannsein ist nicht mehr ein biologischer Fakt, sondern nur ein soziales Konstrukt. Dem gegenüber steht ein toxisches, krankhaftes oder unerlöstes Mannsein. Das ist vor allem bei dem ganzen „Gockelgehabe“ in Führungsetagen oder der Politik zu spüren.

Oft hat man den Eindruck, dass der Mann erst wertgeschätzt wird, wenn er etwas erreicht hat. Ist dieser Fokus auf Leistung hilfreich für die männliche Identität?

Ich glaube das es sogar schädlich ist. Ein persönliches Beispiel: Zeugnistag. Ich war zu der Zeit noch ein kleiner Junge. Mein Zeugnis war ganz passabel, aber nicht super gut. Als mein Vater es zu Gesicht bekam, schaute er mich an und sagte vorwurfsvoll: „Jopes sind immer die Besten.“ Dieser Satz hat sich sehr in mein Identitätsverständnis eingegraben. Ich wurde sehr ehrgeizig. Viele Jahre später studierten meine Frau und ich zusammen Theologie. Eines Tages saßen wir im Hörsaal und unser Professor gab uns eine Klausur zurück. Auf meiner Klausur stand die Note zwei. Das Blatt meiner Frau war mit der Note eins gekrönt. Unser Professor, leicht süffisant grinsend, nahezu beiläufig, konnte sich einen Spruch nicht verkneifen: „Wenn das jetzt bei Jopes nicht einen Ehekrach gibt.“ Der Ehekrach kam – und zwar gewaltig. Ich war so wütend, dass ich ihr das Wasser, das sich in meinem Glas befand, ins Gesicht schüttete. Ab diesem Moment wusste ich, ich laufe auf einem falschen Pfad. Ich muss meine Vaterverletzung aufarbeiten. Ich musste lernen, mein Wert liegt nicht in der Leistung.

Wie wichtig ist Sexualität für den Selbstwert des Mannes?

In der Sexualität steckt eine große Kraft. Sie hat etwas Erfüllendes, begeisterndes, mitreißendes. Doch wenn Männer ihren Selbstwert nur aus ihrer Potenz ziehen, kriselt es spätestens in der Lebensmitte bzw. in der Rush-Hour des Lebens. Denn da schläft sie schon auf dem Sofa während der Tageschau ein. Sie muss eingeplant werden zwischen den vielen To-dos, dem Schulbrote schmieren, Auto volltanken, Mülleimer rausstellen, Brot kaufen.

„Wir hatten fünf Fehlgeburten und mein Bruder ist mit 15 Jahren an Krebs gestorben. Diese Erlebnisse haben mir gezeigt, du darfst weinen, du darfst Gefühle zeigen.“

Weinen Männer zu wenig? Zeigen Männer zu wenig Schwäche?
Zäh wie Leder, hart wie Krupp-Stahl. Ich glaube, dass meine Großeltern das gelebt haben und in die Generation unserer Eltern übertragen haben. Ich habe keine Erinnerung daran, ob mir mein Vater jemals gesagt hat, Männer weinen nicht. Es wurde allerdings gelebt. Ich kann mich bei meinen Großeltern oder bei meinem Vater nicht erinnern, dass sie jemals Emotionen nach außen getragen haben. Ich selber habe den Zugang zu meinen Emotionen erst nach und nach finden müssen. Wir hatten fünf Fehlgeburten und mein Bruder ist mit 15 Jahren an Krebs gestorben. Diese Erlebnisse haben mir gezeigt: Du darfst weinen, du darfst Gefühle zeigen. Vor allem das Schreiben hat mir in diesen Zeiten sehr geholfen. Ich fand dadurch einen Zugang zu meinen Gefühlen und konnte ihnen einen Ausdruck verleihen. Ich bin der festen Überzeugung, Männer müssen den Zugang zu ihren Emotionen finden.

Wie ist man „richtig“ schwach?

Ganz wichtig ist, zuzugeben und zu sagen: „Ich bin gerade überfordert. Ich weiß nicht, wie es weitergeht.“ Das ist unsere Verantwortung als Männer. Der erste Ansatz ist, dass wir lernen müssen zu reden: über uns, über das, was uns bewegt. Auch über unsere Schwächen und das Versagen.

König David spricht in der Bibel viel von seinem Versagen. Er wird ein „Mann nach dem Herzen Gottes“ genannt. Was bedeutet für Sie, ein Mann nach dem Herzen Gottes zu sein?

Ein Mann nach dem Herzen Gottes ist jemand, der zu sich stehen kann, der versöhnt ist, der Liebe und Empathie ausstrahlt, der über Gefühle redet, der zu Freundschaft fähig ist, der vielleicht auch mit seinen weiblichen Anteilen wuchert und der solidarisch ist. Mit seinem eigenen Charakter unterwegs sein. Sich aufmachen und sich verändern lassen. Mose ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Seine Kindheit ist bestimmt von einem Trauma. Aus dieser Verletzung und Unreife heraus erschlägt Mose den Ägypter und flieht anschließend. In der Zeit danach erlebt er einen Reifeprozess. Er muss sich mit seiner positiven sowie negativen Männlichkeit im Alltag auseinandersetzen – es ist wie ein Nachreifungsprozess. Der Mose, der die Frauen am Brunnen verteidigt, ist ein anderer als der, der den Ägypter erschlagen hat.

Küche, Kinder, Kirche für die Frau und der Mann bringt das Geld nach Hause – was ist Ihr Rollenverständnis in einer Partnerschaft?

Ich stehe für ein Modell ein, was nicht auf Unterordnung, sondern auf Gleichwertigkeit setzt. Nicht auf Verachtung, sondern Achtung. Nicht auf oben und unten. Nicht auf Gegeneinander, sondern Miteinander – auch in dieser ganzen Diskussion um Männerquote, Frauenquote, oder wer macht was im Haushalt. Wir brauchen nicht mehr Spaltung, sondern müssen eins werden. Miteinander reden und kommunizieren. Jedes Paar muss hier seinen ganz eigenen Weg finden. Ich bin überzeugt: Männer können in der Küche und mit Kindern viel gewinnen!

„Ich gehe ab und zu in einen Yoga-Gottesdienst. Vorher hatte ich viele Vorurteile. Heute komme ich montags ins Büro und denken mir – okay -der Rücken fühlt sich aber gut an.

Wie sieht das konkret aus?

Als unser erstes Kind nach 15 Jahren Ehe geboren wurde, war mir klar: Ich will ganz Papa und ganz Mann sein. Meine Frau und ich haben uns deshalb eine Pastorenstelle geteilt. Somit waren wir beide nur mit 50 Prozent in der Arbeit eingespannt und die restliche Zeit für Kinder und Haushalt verfügbar. Ganz praktisch sah das so aus: In der Früh ging meine Frau ins Büro und ich war für das Kind und den Haushalt zuständig, putzen und kochen inklusive. Beim Treppenhausputzen wurde ich dann schon auch mal von der Vierjährigen, die unter uns wohnte, gefragt: Ist die Mama von Anna krank? Nachmittags ging ich dann ins Büro und meine Frau übernahm den Konterpart.

Was gibt Ihnen als Mann Selbstwert?

Dass ich mich als Mann nicht klein machen muss, sondern zu meiner göttlichen Würde stehen darf. Ich berufe mich auf ein Bibelwort, wenn ich zu Gott sage: „Du hast mich bei meinem Namen gerufen – bei meinem Sein gerufen -, ich bin dein.“ (vgl. Jeremia 43,1; d. Red.). Ich darf ein Mensch sein, dem Jesus jeden Morgen zuspricht: „Hey, du bist mein geliebter Sohn, ein geliebter Mann, mit allen Ecken und Kanten, Fehlern, Schwächen und Stärken.“ Aus dieser königlichen Würde heraus können wir uns auf den Weg machen. Als Verantwortungsträger an der Arbeit, für das Land, für die Familie und die Gruppe, zu der ich gehöre.

Gibt es etwas, was Sie den Männern da draußen noch mitgeben wollen?

Hey Männer, lasst euch mal nicht in Schablonen pressen. Es gibt nicht das eine Erfolgsmodell für männliche Identität, auch wenn manche Netzwerke, Gemeinden oder Anbieter das suggerieren. Ich wünsche uns Männern eine gewisse Entspanntheit, auch über seinen Tellerrand hinauszublicken. Sich einfach auf Dinge einlassen, die einem vielleicht fremd vorkommen. Ich gehe ab und zu in einen Yoga-Gottesdienst. Vorher hatte ich dem gegenüber sehr viele Vorurteile. Heute komme ich montags ins Büro und denken mir: Okay, der Rücken fühlt sich aber gut an.
  



Vielen Dank für das Gespräch!

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