Qualitätsjournalismus unter Druck

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschreibt am Beispiel des „Spiegel“ die Zwangslage der Branche zwischen Informationsflut und ökonomischen Zwängen.
Von Norbert Schäfer
Bernhard Pörksen äußerte auf der Republica Kritik am Journalismus

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen untersucht am Beispiel des „Spiegel“, wie hochwertiger Journalismus in einer Zeit digitaler Umbrüche und wachsender Plattformmacht US-amerikanischer Tech-Giganten immer stärker unter Druck gerät. Pörksen identifiziert dabei in einem „Spiegel“-Gastbeitrag vier Misslichkeiten.

Als erstes Dilemma beschreibt Pörksen den Konflikt zwischen Interessantheit und Relevanz. Redaktionen sähen heute in Echtzeit, welche Artikel Leser fesseln und Abos bringen. Die Gefahr bestehe, sich in den Redaktionen zu sehr nach Klickzahlen zu richten. „Echtzeitquoten und die Sofortsichtbarkeit der Publikumsreaktionen“ könnten in Redaktionen dazu führen, „dass man sich ganz in Richtung des Gefälligen umorientiert, das Widerspenstige und unvermeidlich Komplexe planiert“. Der „Spiegel“ versuche, trotz ökonomischen Drucks, an aufwendigen Recherchen festzuhalten – selbst wenn diese weniger Resonanz erzeugten.

„Be first, but first be right.“

Für seine Analyse hat Pörksen eigenen Angaben zufolge beim „Spiegel“ mit der Chefredaktion und Redakteuren diskutiert, war im Newsroom und in Redaktionen, hat interne Papiere ausgewertet und selber ausprobiert, „wie man Eil- und Push-Meldungen absetzt und eine Überschrift gezielt optimiert, sodass sie von Google leicht gefunden wird“.

Die zweite Bedrängnis, die Pörksen identifiziert, betrifft Geschwindigkeit und Genauigkeit. In Zeiten von Eilmeldungen und Sozialer Medien drohen vorschnelle Fehler. Der „Spiegel“ setzte deshalb auf Prinzipien wie das Vieraugenprinzip oder die Bestätigung durch zwei Quellen, um Schnelligkeit und Sorgfalt miteinander in Einklang zu bringen. Die Redaktion orientiere sich an der Maxime „Be first, but first be right.“

Das dritte Dilemma zeige sich im Spannungsfeld von traditioneller Magazin-Identität und neuen Leserbedürfnissen. Während die „Zeit“ auf Nähe, persönliche Ansprache und Vielfalt setze, wirke der „Spiegel“ oft noch streng und distanziert. Zwar gebe es neue Formate wie Newsletter oder Videos, doch insgesamt vollziehe sich die Öffnung hin zu mehr Nahbarkeit noch zögerlich.

Die vierte Misere schließlich betrifft Ökonomie und Autonomie. Plattformen wie Google oder Meta kontrollieren Informationsflüsse und Werbemärkte. „Der seriöse Journalismus ist in einen ruinösen, gesellschaftspolitisch weitgehend unverstandenen Kampf um Autonomie verstrickt“, schreibt Pörksen, und weiter: „Und er muss, um überhaupt zu überleben, in einer oft boulevardesken, sich permanent verändernden Aufmerksamkeitslotterie mitspielen, deren Regeln von ein paar Bigtech-Giganten nach Belieben variiert werden.“

Um unabhängig zu bleiben, setzte das Nachrichtenmagazin auf Digitalabos, zusätzliche Magazine und Lifestyle-Angebote. Diese Strategie berge Chancen, aber auch die Gefahr, im Unterhaltungsangebot an journalistischer Schärfe zu verlieren.

Pörksens Fazit: Qualitätsjournalismus steckt in einem ruinösen Kampf und wird bedroht von der Logik der Plattformen der „Bigtech-Unternehmer“ – den „Feudalherren der neuen Zeit“ – und der Aufmerksamkeitsökonomie.

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