Wer ist Peter Thiel? Den 57-Jährigen mit wenigen Sätzen zu erfassen, ist fast unmöglich. Geboren wurde er 1967 in Frankfurt am Main, als er ein Jahr alt war, wanderte seine Eltern in die USA aus. Sein Vater war als Ingenieur für Bergbauunternehmen tätig, die Familie lebte unter anderem in Südafrika und Namibia. Thiel, der noch immer ein bisschen Deutsch spricht, bezeichnet seine Familie als „sehr christlich“, er komme „aus einem evangelikalen Elternhaus“.
Schon als Jugendlicher galt Peter Thiel als hochintelligent, er war schon früh einer der besten Schachspieler Amerikas. Thiel studierte an der Universität Stanford, doch schon bald eckte er mit seiner konservativen, libertären Weltsicht im „woken“ Mindset der Universität an. Gemeinsam mit Elon Musk und anderen gründete er „Paypal“, das sie für 1,5 Milliarden Dollar an ebay verkauften. Thiel investierte sein Geld unter anderem in Facebook, Airbnb, LinkedIn, Yelp, Spotify, SpaceX und OpenAI (ChatGPT) und wurde dadurch sagenhaft reich.
Thiel lässt sich nicht in irgendeine Schublade einordnen. Ein homosexueller Evangelikaler, ein Konservativer, der die Legalisierung von Marihuana fordert. Anders als sendungsbewusste und durch die Medien bekannte Tech-Bosse agiert Thiel lieber im Hintergrund. „Deutschlandfunk“ nennt ihn „den vielleicht geheimnisvollsten Tech-Milliardär der USA“.
Im Jahr 2003 gründete Thiel die Firma „Palantir Technologies“, die digitale Daten von Datenbanken, Satellitenbildern, Kommunikation und wohl auch die Nutzung Sozialer Medien zu Profilen einzelner Personen bündelt. Heute ist Palantir im amerikanischen Verteidigungsministerium und im Nachrichtendienst im Einsatz, auch die Polizei in Bayern und Nordrhein-Westfalen nutzen Palantir. Die CDU-Regierung erwägt die Einführung auch für die Bundespolizei. Der Name der Firma geht zurück auf die Trilogie „Der Herr der Ringe“: Unter anderem der dunkle Herrscher Sauron kann mit dem Palantir-Stein über große Entfernungen kommunizieren und Ereignisse beobachten. Schon vor Jahren war bekannt, dass Palantir dabei half, Einwanderer in den USA ausfindig zu machen, damit sie abgeschoben werden können.
Palantir scheint das perfekte Werkzeug für die Weltherrschaft zu sein. Immerhin funktioniert fast alles nur noch digital, wir alle hinterlassen permanent Spuren im Internet. Thiel investierte ebenfalls in die Firma „Anduril“ (benannt nach einem Schwert in „Der Herr der Ringe“), die Kampfdrohnen produziert. Die Sorge, dass sich Künstliche Intelligenz, modernste Militärtechnologie und eine totalitäre Regierung unter Donald Trump verbinden könnten, kommt auf.
Demokratie hinderlich für den Fortschritt
Thiel zeichnet sich durch eine extrem libertäre Weltsicht aus. Seine Intelligenz, sein perfektes Gespür für den richtigen Schachzug zur richtigen Zeit paart er mit einer religiösen Sicht, die eine Mischung aus christlichem Konservatismus, Science Fiction, Technikglaube und Politik ist. Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass Peter Thiel an einer neuen Weltordnung arbeitet, in der Demokratie abgeschafft werden soll, weil sie hinderlich ist. In den vergangenen Jahren ließ Thiel in Vorträgen und Interviews durchblicken, welches religiöse Konzept er vor Augen hat. Bereits seit über zehn Jahren versucht er, wichtige Positionen der US-Politik zu beeinflussen, und das ebenfalls sehr erfolgreich.
Wie Thiels Visionen für die Zukunft aussehen, kann man in sehr gut produzierten sechs Teilen des Podcasts „Die Peter Thiel Story“ des Deutschlandfunks nachverfolgen. Auch wenn diese Produktion etwas reißerisch sein mag, mit permanent im Hintergrund spielender dramatischer Musik, so wird hier doch eines offenbar: Thiel geht es nicht nur um die Generierung von immer mehr Geld. Ihm geht es um die Umgestaltung der Welt in biblischen Dimensionen.
Eigener Staat ohne einschränkende Gesetze
Eines der größten Probleme für Thiel sind die staatlichen Reglementierungen. Eine Demokratie sei träge, und ein Staat, der seine Bürger vor Gefahren schützen will, bremse alle technische Innovation aus. Daher würde Thiel am liebsten einen eigenen Staat errichten. Er versuchte, kleine künstliche Inseln zu erschaffen, die im Meer schwimmen und auf denen alle lästigen, den Fortschritt behindernden Gesetze abgeschafft wurden. Hier sollen Forscher an Biochemie und Genetik experimentieren können, an lebensverlängernder Medizin und an Waffensystemen und Robotern. Es gibt keine Ethikkommission, keine Bauvorschriften, keine Sozialhilfe und keinen Mindestlohn. Ein Staat müsste geführt werden wie ein modernes Unternehmen des Silicon Valley wie Apple, ist Thiel überzeugt. Und statt eines gewählten Präsidenten gäbe es einen CEO. Von einem Diktator wäre der kaum mehr zu unterscheiden.
Beeinflusst wurde Thiel durch den Autoren Curtis Yarvin, der eine „dunkle Aufklärung“ (Dark Enlightment) ersonnen hat. Der Atheist Yarvin versteht Demokratie als ineffizient und verschwenderisch und lehnt freie Wahlen ab. Er präferiert ein monarchistisches und absolutistisches Regime. (Ganz nebenbei ist Yarvin Rassist, der etwa an Intelligenzunterschiede zwischen ethnischen Gruppen glaubt; Afroamerikaner seien dümmer als weiße Amerikaner und zudem besser für Sklaverei geeignet als andere). Im Jahr 2016 behauptete Yarvin, er habe Thiel „gecoacht“.
„Er ist der Grund, warum all die anderen Tech-Bosse dort sitzen. Er ist der Strippenzieher hinter der ideologischen Zeitenwende, die die USA gerade erleben.“
„Die Peter Thiel Story“ (DLF)
In Trump sah er bereits bei der Wahl 2016 offenbar einen geeigneten Kandidaten, der als „CEO Amerikas“ funktionieren könnte. Lange hielt man selbst unter Republikanern einen Wahlsieg für extrem unwahrscheinlich. Doch Thiel investierte.
Trump gewann die Wahl. Und auf einmal saß er am Hebel der Macht, unmittelbar neben Trump. Das politische Ziel: die Behörden abschaffen und Reglementierungen eindämmen. Was später erst in Trumps zweiter Präsidentschaft Elon Musk mit seiner neu geschaffenen Behörde DOGE umsetzte, war von Thiel schon viele Jahre vorher vorbereitet. Thiel überreichte Trump bereits 2016 eine Liste mit 150 Personen, die bereit waren, den althergebrachten amerikanischen Staat zu zerschlagen und zu erneuern. Das war damals sogar Trump zu viel, er gab nur etwa einem Dutzend der vorgeschlagenen Personen Ämter. Heute ist Thiels politisches Ideal Realität, und die Welt schaut zu, wie in Trumps zweiter Amtszeit alte Werte zerschlagen und umgekrempelt werden und nicht mehr Gerechtigkeit und der Schutz der Schwachen im Vordergrund stehen, sondern Profit und Egoismus. Steuerfreiheit für Reiche, Beschneidung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, ein Ende von Political Correctness und Wokeness, stattdessen grenzenlose Freiheit.
Auf einmal gestalten private Unternehmer die Weltpolitik mit. Elon Musk hat mit „Starlink“ durchaus Einfluss auf den Ausgang von Kriegen – wenn er etwa der Ukraine ihr Navigations-Satellitennetz abschaltet, können ihre Waffenlenksysteme nicht mehr eingesetzt werden. Die Tech-Bosse wurden nicht demokratisch gewählt, sind aber teilweise mindestens so mächtig wie Politiker. Thiels System „Palantir“ übernimmt als privater Anbieter hoheitliche staatliche Aufgaben, die Strafverfolgung. Elon Musk soll sogar bei Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj teilgenommen haben. Als Trump am 20. Januar 2025 sein Amt antrat, stand unmittelbar hinter ihm die Tech-Elite Amerikas – Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Tim Cook, Elon Musk. Peter Thiel war nicht dabei. „Aber“, wie es im Podcast „Die Peter Thiel Story“ heißt: „Er ist der Grund, warum all die anderen Tech-Bosse dort sitzen. Er ist der Strippenzieher hinter der ideologischen Zeitenwende, die die USA gerade erleben.“
Den Tod abschaffen
Der Deutsche Wolfgang Palaver war in Thiels Studienzeiten Gastdozent an der Universität Stanford, die beiden freundeten sich an. Heute ist Palaver emeritierter Professor für katholische Theologie in Innsbruck, und noch immer hat er Kontakt zu Thiel. „Bis heute hat Thiel ein Faible für obskure theologische Konzepte“, sagt Palaver. Er interessiere sich für „erzkatholische Fachthemen“. Im Laufe der Jahre kombinierte Thiel dies mit seinen libertären Business-Überzeugungen.

Der Glaube an den technischen Fortschritt brachte Thiel dazu, in Technologien zu investieren, die das menschliche Leben verlängern sollen. Bereits 2006 beriet sich Thiel mit David Gobal von der „Methusalem-Foundation“, die Teil der so genannten „Longevity“-Bewegung ist. Der Tod wird hier, wie in Tech-Unternehmen des Silicon Valley üblich, als ein Problem angesehen, das es zu lösen gilt. Neben Genetik spielen hier die Gefriertrocknung von Menschen eine Rolle, um sie später wieder aufzuwecken, sowie Transfusionen von Blut junger Menschen. Es heißt, Thiel selbst gebe Unsummen dafür aus, das Blut von 18-Jährigen zu bekommen. Als er 2018 darauf angesprochen wurde, sagte Thiel lediglich: „So viel kann ich sagen, ich bin kein Vampir.“
Kostenpflichtige App, um zu beten
Vor kurzem machte eine App weltweit Schlagzeilen, weil viele prominente Stars dafür Werbung machten. Die christliche App mit dem Namen „Hallow“ („heilig“) stand 2024 zeitweise auf Platz 1 der Download-Charts von Apple – noch vor der Billig-Shopping-App Temu und Instagram. Über 23 Millionen Downloads verzeichnete die App weltweit. Sogar während des Super Bowls lief Werbung für „Hallow“ – der teuerste Werbeslot überhaupt. „Hallow“ ist eine Plattform für katholisches Leben: Der Nutzer kann Gebete aufrufen, Rosenkränze beten, Morgenroutinen („Mönchsminute“), Meditationen durchführen und Lektionen in Demut machen – für stolze 9,99 Euro im Monat oder 69,99 Euro im Jahr.
Peter Thiel investierte gemeinsam mit dem jetzigen US-Vize-Präsidenten JD Vance erstaunliche 40 Millionen Dollar in die App und deren Vermarktung. Namhafte katholische Stars traten in Videos der App auf, darunter Gwen Stefani, Mark Wahlberg und Jonathan Roumie, der Jesus-Darsteller aus der Serie „The Chosen“. Im deutschsprachigen Raum konnten unter anderem der Rennfahrer Ferdinand von Habsburg gewonnen werden, bei der App mitzumachen, ebenso machen Christfluencer wie die ehemalige „Miss Germany“, Kira Geiss, Jana Highholder und Johannes Hartl vom Gebetshaus in Augsburg mit. Der rechte Ex-Fox-News-Moderator Tucker Carlson vermutet, die App könnte die Welt grundlegender verändern als jeder Politiker. Ein Medienethiker sieht die App als Vehikel für das post-liberale Amerika.
Dass der gläubige Katholik JD Vance in die explizit katholische App investiert, ist kein Zufall. Der bekennende Katholik ist ein alter Bekannter von Thiel. Von 2016 an arbeitete der studierte Jurist zunächst in einer von Thiel gegründeten Investmentfirma. Thiel sah Potenzial in dem damals 36-Jährigen und unterstützte ihn mit 15 Millionen Dollar im Wahlkampf für einen Senatorenplatz für den Bundesstaat Ohio – eine der größten Einzelspenden in der amerikanischen Politik überhaupt. Vance machte Wahlkampf mit der rechtsextremistischen Abgeordneten Marjorie Taylor Greene. Vance wurde Senator und keine drei Jahre später Vizepräsident der USA. Er wuchs in einer armen Familie auf dem Land auf, die von Alkoholabhängigkeit und einer Abhängigkeit von Sozialhilfe geprägt war. Später ging er zur Armee. Politiker wollte er eigentlich nie werden. Ohne Thiel wäre Vance wahrscheinlich niemals Vizepräsident der USA geworden.
Vance und Thiel, die sich noch aus dem Studium kennen, investierten bereits 2021 in die Video-Plattform für Rechte, „Rumble“. Die ist inzwischen ein Teil der Medienplattform „Truth Social“ von Donald Trump. Einer der populärsten Kanäle ist „Newsmax“, so etwas wie ein Nachrichtenkanal für alle, denen „Fox News“ noch zu links ist. Laut einem Bericht des „Guardian“ besteht rund ein Viertel der Inhaltsersteller aus Personen, deren Kanäle bei anderen Plattformen gelöscht oder demonetarisiert wurden, denen also die Möglichkeit gestrichen wurde, Werbeeinnahmen zu generieren. Hier kommt Russell Brand zu Wort, britischer Schauspieler und Komiker, der unter anderem während der COVID-Pandemie vor dem Impfen warnte, oder der ehemalige Trump-Berater Rudy Giuliani, der Frauenhasser Andrew Tate, der mehrere Frauen vergewaltigt und einen Menschenhändlerring betrieben haben soll. Auf „Rumble“ wird unter anderem weiter Trumps Lüge verbreitet, ihm sei 2020 die Wahl gestohlen worden.
Thiel warnt vor dem Antichristen und der Apokalypse
Im Sommer 2024 lud Thiel seinen alten Freund, den Theologen Palaver zu sich nach Hause ein, um über ein spezielles Thema zu sprechen, das ihn seit längerem interessierte: der Antichrist und die Apokalypse. Für Thiel ist beides sehr real, und er sprach in letzter Zeit häufiger darüber. Etwa im November 2024 im Podcast „Uncommon Knowledge“ der zur Stanford University gehörenden „Hoover Institution“. In Matthäus 24,35 heißt es: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen. Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“ Thiel ist indes überzeugt: es geschehe noch in diesem Jahrhundert. Das zeige der Fortschritt der modernen Technologie, den wir erleben. Gleichzeitig betont Thiel in so gut wie jedem Interview, dass ihm der technologische Fortschritt nicht schnell genug geht. Die Lebenserwartung sei immer noch niedrig, die Bruttoinlandsprodukte der Staaten stiegen nicht, ebenso die Lebensqualität. In den 60er Jahren habe man sich die Zukunft vorgestellt mit fliegenden Autos, Überschallflugzeugen, Raumfähren und blühenden Landschaften in der Wüste.
Der Grund für die Stagnation? Für Thiel sind das die staatlichen Reglementierungen. Immer wieder ist die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) Ziel von Thiels scharfer Kritik. Die verhindere zu viele Drogen und bremse die Forschung an einer Heilung für Alzheimer aus. Er vergleicht das mit Computerspielen, die man auch nicht regulieren sollte. „Wenn man Computerspiele reguliert, spielen alle Menschen nur noch Pong“ – so, als gäbe es nur diese beiden Extreme – Verbot oder völlige Freiheit und als wäre die Regierung stets der Spielverderber, der den Spaß (Drogen oder Computerspiele) verbieten wolle. „Als John F. Kennedy auf Amphetaminen direkt mit Chruschtschow sprach, hat doch alles geklappt!“ Thiel spottet: In den vergangenen Jahren habe man großen Fortschritt auf dem Gebiet der Bits und Bytes gemacht, und zwar nur deshalb, weil die Regierung Bits und Bytes noch nicht reglementiert habe.
Das Sinnbild für dieses Horrorszenario einer überreglementierten, „woken“ Welt ist für ihn die Aktivistin Greta Thunberg, die wolle angeblich, dass „alle Menschen auf diesem Planeten mit dem Fahrrad fahren“, so Thiel. Es gibt bei dem Tech-Visionär nur zwei Extreme: Entweder keine Technologie (dann geht die Zivilisation unter), oder völlige Freiheit für die Forschung.
„Die christliche Intuition, die ich habe, ist: Ich will nicht den Antichristen, ich will kein Armageddon. Ich möchte einen schmalen Weg genau dazwischen finden, auf dem wir beides vermeiden.“
Peter Thiel
Thiel verweist auf den „Russischen Kosmismus“ im 19. und 20. Jahrhundert, der unter anderem vom Buch „Also sprach Zarathustra“ von Friedrich Nietzsche beeinflusst wurde. Er sagte im Podcast „Uncommon Knowledge“: Man ging damals davon aus, eines Tages dank Technologie sogar tote Menschen auferwecken zu können. Aus der Parole „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“ hätten die Anhänger „Tote aller Länder, vereinigt euch“ gemacht.
Thiels These: Die Technik müsse ein Versprechen einlösen, das seit jeher eigentlich das Christentum machte: die körperliche Auferstehung vom Tod. Jesus erstand laut Bibel körperlich von den Toten auf, doch es wird auch betont, dass er in einem „neuen Körper“ auferstand. In einem irdischen Körper hätte Jesus bei der Himmelfahrt auch schwer oberhalb der Troposphäre überlebt. Der auferstandene Jesus konnte laut Neuem Testament durch Türen gehen (Joh 20,19). Hier ist also von einer Kraft die Rede, die alles Menschliche übersteigt. Paulus war überzeugt, dass der Mensch nach der Auferstehung gleichsam einen „geistlichen Leib“ bekommen würde (1. Kor 15,44) – nach irdischem Verständnis zwei Begriffe, die ganz offenbar in Widerspruch zueinander stehen und nur im Glauben an Gottes Allmacht aufgelöst werden können. Thiel ist jedoch überzeugt, dass technischer Fortschritt diese Macht, den Tod zu überwinden, übernehmen könnte.
Ein Denker, auf den sich Thiel häufig beruft, ist René Girard (1923–2015), der Professor für Französische Literatur an der Stanford University und Theologe war. Der Podcast zitiert Aussagen des Philosophen, verkürzt ihn dabei aber, ebenso wie die dazugehörenden Bibelstellen. „Nur wenige (im Original sagt Girard: „nur wenige Christen“) sprechen noch von der Apokalypse, und sie haben meist eine völlig mythologische Vorstellung davon. Seltsamerweise erkennen sie nicht, dass die Gewalt, die wir selbst anhäufen und die über unseren Köpfen schwebt, völlig ausreicht, um das Schlimmste auszulösen.“
Thiel stimmt zu: Die Apokalypse komme wohl eher durch Menschen und ihre mächtig gewordenen Technologie zustande. Erstaunlicherweise sagt dies derselbe Mann, der in Militär-Technologie investiert und in KI, die diese steuert. Thiel spricht außerdem von den „Risiken eines totalitären Eine-Welt-Systems“. Der selbe Mann, der Trump unterstützt, der alles dafür tut, seine totalitäre Macht weiter auszubauen. Thiel betont: Alle hätten Angst vor Armageddon, aber niemand vor dem Antichristen. Für ihn sei mit diesem Begriff eine mächtige Weltregierung gemeint – also etwa die EU oder die UN. Denn die wiegten die Menschen im falschen Versprechen von Sicherheit. „Die christliche Intuition, die ich habe, ist: Ich will nicht den Antichristen, ich will kein Armageddon. Ich möchte einen schmalen Weg genau dazwischen finden, auf dem wir beides vermeiden“, sagt Thiel.
Die USA, der Aufhalter des Antichristen
Um den Antichristen (also das Eine-Welt-System) zu verhindern, müsse man ihm etwas entgegensetzen. Thiel verweist auf 2. Thessalonicher 2,6. Dort schreibt Paulus über den Antichristen: „Und jetzt wisst ihr, was ihn noch aufhält, bis er offenbart wird zu seiner Zeit. Denn das Geheimnis des Frevels ist bereits wirksam; nur muss der, der es jetzt aufhält, erst hinweggetan werden; und dann wird der Frevler offenbart werden.“ Derjenige, der den Antichristen aufhält (griechisch: Katechon), sei laut Thiel eine irdische Macht. Mit dem britischen Kardinal John Henry Newman (1801–1890) gesprochen, seien das die Gesellschaft und die Regierung. Thiel nennt als Beispiele „die gute Seite des Römischen Imperiums“ oder „Metternich“.
Thiel unterstützt Trump und dessen „America First“-Agenda, weil er ein Ende der Globalisierung und des globalen Handels möchte. „Lieber die Freiheit in den USA erhalten, als schlafwandlerisch ins Armageddon laufen“, so Thiel. Denn vielleicht sind ja die USA ja dieser Katechon, dieser Aufhalter, der sich gegen die regulatorischen Greta Thunbergs dieser Welt, die EU und die UN stemmt.
Gott spielen
Thiel sprach ausführlicher über seine Endzeitvorstellung im Podcast von Ross Douthat, Kolumnist der „New York Times“. Schon in der Frühen Neuzeit habe man den Menschen wie eine Maschine gesehen, und Maschinen könne man optimieren, so Thiel. „Unsterblichkeit war eines der Projekte, um die es ging“, so Thiel. „Vielleicht war das anti-christlich, vielleicht war es eine Konkurrenz zum Christentum.“ Er selbst habe mit seinen Mitbegründern von Paypal eine „freezing Party“ veranstaltet, wo Verträge zum Einfrieren des Körpers verkauft wurden, berichtet Thiel.
An Thiel sind mehrere Dinge paradox. Er habe seine Hoffnung in Trump gesetzt, weil er für einen Aufschwung in Forschung und Technik sorgen könnte, sagte Thiel. Ironischerweise ist es nun aber ausgerechnet Trump, der staatliche Fördergelder für Wissenschaft und Forschung drastisch kürzt. Thiel wünscht sich Freiheit im digitalen Austausch. Doch die Regierung, die er unterstützt, scannt Handys an den Grenze auf regierungs- und Trump-kritische Postings; Thiels eigene Firma „Palantir“ überwacht den digitalen Informationsaustausch. So viel Thiel auch vom Antichristen spricht, so wenig spricht er von Christus. Er spricht viel von der Offenbarung, doch nie textnah, sondern nur als dem, was er darunter versteht. „Wenn der Antichrist käme, dann würde er wahrscheinlich die ganze Zeit über Armageddon sprechen“, sagt Thiel. Und er selbst spricht seit vielen Jahren viel über Armageddon.
Podcast-Moderator Douthat spricht Thiel auf eines dieser Paradoxa an: „Sie haben in KI-Firmen investiert, Sie haben in Palantir investiert, in Militär-Technologie, in Überwachungstechnologie, in Kriegstechnologie. (…) Vielleicht ist dieser Antichrist genau derjenige, der diese Technologie nutzt, die Sie derzeit schaffen?“ Thiel antwortet: „Nein, das mache ich nicht.“ Fragen nach seinem persönlichen Glauben weicht Thiel in Interviews aus. Auf Douthats Frage „Glauben Sie, dass Gott in der Geschichte die Kontrolle in der Hand hat?“ sagt Thiel nach längerem Stottern: „Ich glaube, es gibt immer Raum für menschliche Freiheit und Entscheidung.“ Außerdem sage die Bibel, dass Jesus „ohne Grund“ gestorben sei. Er könne dazu verschiedene Bibelverse zitieren. „Ich nehme Johannes 15,25, wo Christus sagt: ‚Sie haben mich ohne Grund gehasst.‘ Die Menschen haben ihn ohne Grund hingerichtet.“ Das steht freilich so nicht in der Bibel; die nennt durchaus einen Grund für Jesu Kreuzigung.
Glaube an Gott? „Das ist eine knifflige Frage“
Als Thiel vor elf Jahren zu Gast bei einer Podiumsdiskussion der christlichen Organisation „Veritas Forum“ mit dem Theologen N.T. Wright war, sagte Thiel zu Beginn, er sei bei evangelikalen Christen aufgewachsen. Gegen Ende des Panels fragte eine Zuhörerin Thiel dann, was seinen persönlichen Glauben an Gott ausmache. Thiel antwortet wie so häufig verklausuliert. „Es war immer eine sehr trinitarische Annahme in einer christlichen Weltsicht, die irgendwie beziehungsbezogen ist, und dieses Bild von Gott als der höchste Introvertierte, der völlig mit sich selbst zufrieden ist, der unbewegte Beweger bei Aristoteles ist ein etwas anderes Bild, ist es immer wert, steht im Kontrast zum großen Introvertierten, zum unbewegten Beweger, mit dieser Idee von Gott, der die Hoffnungen und das Leid seiner Geschöpfe teilt.“ Der Theologe Wright hatte die Antwort nicht verstanden und fragte nach: „Der christliche Gott ist ein Introvertierter?“ Thiel antwortet: „Kein völlig Introvertierter.“ Doch auch der Moderator (der Journalist Douthat) scheint sich mit Thiels Antwort nicht zufrieden zu geben und hakt nach: „Glauben Sie an Gott?“ Thiel stammelt zunächst, dann sagt er: „Das ist eine knifflige Frage. Denn dann fragt man: Wer ist Gott? Die Frage, wer Gott ist, ist wichtiger als die Frage, ob Gott existiert.“
N.T. Wright möchte von Thiel wissen, welche Rolle er einem Entrepreneur, wie er selbst einer ist, in einer Gesellschaft zuordnet – abgesehen vom bloßen Geldverdienen. Thiel: „Die meisten Gründer sind so eine Art König. Keine Demokratie, keine Republik.“ Auch hier sieht Thiel Parallelen zu Christus: „Christus war ein König.“ Allerdings dürfte der Königsbegriff Jesu im Neuen Testament kein irdischer sein; Jesus wurde nicht als König geboren, lebte nicht als König und starb alles andere als als König. Sein Anspruch, König zu sein, bezieht sich auf ein „Reich nicht von dieser Welt“.
„Das Verlängern der Lebenszeit auf unbestimmte Länge und das Christentum sind gut miteinander vereinbar“, findet Thiel im Verlauf des Gesprächs. Für ihn sei der Tod wie eine Krankheit heilbar, ist er überzeugt. Nur stehe die Regierung mit ihren Regulierungen im Weg. Sein Gesprächspartner N.T. Wright verweist auf die tatsächliche Vorstellung des Christentums nach einer realen Auferstehung und einem neuen Himmel. Ihn erinnere die Vorstellung von einer Pille gegen den Tod eher an den Apfel im Garten Eden, fügt der Theologe hinzu. Versuche das Silicon Valley da nicht eine Ersatz-Religion zu etablieren? Doch Thiel beharrt darauf, die Aussage, der Tod sei ein natürlicher Teil des Lebens, ein „Mythos“ sei.
Thiel gibt zu: „Ich stehe Metaphysik immer skeptisch gegenüber.“ Transhumanismus und Christentum seien sich „sehr ähnlich“, behauptet er. Beim Transhumanismus handelt es sich um die Ansicht, man könne den Menschen durch technische Hilfsmittel immer weiter verbessern, bis hin dazu, dass Teile des Menschen durch Technik ersetzt wird. Der Schweizer Theologe Oliver Dürr hat in seinem Buch „Transhumanismus – Traum oder Alptraum?“ 2023 festgestellt, dass der Tod in diesem Sinne quasi „der Endgegner der menschlichen Freiheit“ sei. „Da Transhumanisten, ihrem Weltbild geschuldet, sich nicht auf eine Würde der menschlichen Person berufen können, der deshalb auch unveräußerliche Rechte zukämen, haben sie kaum Ressourcen, um einer machtpolitischen Vereinnahmung des Einzelnen und einer sozialdarwinistischen Logik zu widerstehen.“
Macht den Menschen zu Gott
Es sei auch kein Zufall, dass gerade bei den Menschenexperimenten in den Konzentrationslagern des 20. Jahrhunderts „im Namen der Wissenschaft“ die selbe Logik vom „zu verbessernden Menschen“ auftritt, so der Theologe. In einer Kultur der bewussten Optimierung werde „das Normale, das Durchschnittliche und natürlich Gewachsene als mangelhaft empfunden“, so Dürr. Die „Euthanasie“ des Dritten Reichs zeige, wie gefährlich es werden kann, wenn Wissenschaft selbst „wertbestimmt ist, Werte erodiert und auch selbst Werte setzt“. Dürr stellt fest: Es mache eben einen Unterschied, ob man als Christ Technik und Innovation für die Verbesserung des Lebens begrüßt, oder ob man überzeugt ist, Technik könne den Tod abschaffen und Erlösung an der Stelle von Gott bringen.
Wenn Thiel behauptet: „Sowohl beim Christentum als auch beim Transhumanismus geht es um die Umformung des menschlichen Körpers“, ist das nichts anderes als die völlige Umkehrung des christlichen Glaubens. Was beim einen die alleinige Hoffnung auf die Allmacht Gottes ist, ist bei Thiel die Allmacht des Menschen, selbst metaphysische Grenzen zu überschreiten. Das erinnert Bibelleser an den Turmbau zu Babel und Versuchung im Garten Eden zugleich. Die Ursünde der ersten Menschen bestand darin, den Lügen zu glauben: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben“ und: „Ihr werdet sein wie Gott“.
Peter Thiel sticht aus den anderen Tech-Giganten heraus, weil er seinen Einfluss mit religiösen Fragen und einem biblischen Anspruch verbindet. Was er als Libertarismus propagiert, betrifft am Ende nicht nur einige wenige einflussreiche Menschen, sondern geht mit einem Abbau an Demokratie und einem Aufbau von Macht Einzelner einher. Der Trumpismus, der eventuell demnächst über Trumps Nachfolger in einen Vancismus übergehen wird, hat längst Dimensionen vor Augen, die nicht nur erschreckend totalitär sind, sondern auch zutiefst metaphysisch untermauert sein wollen.