„Dahomey“ ist der Siegerfilm der diesjährigen Berlinale. Der Goldene Bär ging am Samstagabend an Regisseurin Mati Diop, die sich in ihrem Film mit der Rückgabe von Raubkunst an das heutige Benin beschäftigt – und damit auch mit dem Kolonialismus. In gleich zwei Filmen widmete sich der Berlinale-Wettbewerb in diesem Jahr aber auch der katholischen Kirche, genauer gesagt: Gewalt im Namen eben jener.
Kleine Dinge wie diese
Da war zum einen der bescheidene Auftaktfilm des Festivals mit Hollywoodstar Cillian Murphy: „Kleine Dinge wie diese“. Murphy spielt darin den Kohlenhändler Bill Furlong in einer irischen Kleinstadt Mitte der 80er Jahre. Er beliefert unter anderem einen von Nonnen geleiteten Konvent. Als er eines Tages Schreie aus dem Innern der Klostermauern hört, deckt er Schreckliches auf: Die jungen Frauen, die hier oftmals leben, weil sie ungewollt schwanger geworden sind, werden von den Geistlichen körperlich misshandelt. Bill muss sich entscheiden: Will er helfen und damit seinen Ruf in der katholisch geprägten Ortsgemeinschaft riskieren? Oder wegsehen wie so viele andere?
Die Handlung beruht auf wahren Begebenheiten. Tatsächlich gab es die sogenannten „Magdalenenheime“, Besserungsanstalten für junge Frauen. In den 90er Jahren kamen die brutalen Machenschaften der katholischen Leitungen ans Tageslicht. „Kleine Dinge wie diese“ von Tim Mielants ist nicht nur durch seinen Hauptdarsteller besonders – und dennoch ist der Film ohne Murphy kaum denkbar. Meisterhaft mimt er den Kohlenhändler, der eine der schwersten Entscheidungen in seinem Leben allein mit sich ausmacht, oft im Halbdunkel und schweigend am Fenster sitzend. Gerade diese Zurückhaltung macht „Kleine Dinge“ zu einem großen Film. Die Jury belohnte ihn am Samstagabend mit einem Bären für die beste Nebenrolle. Der ging an Emily Watson, im Film die Oberin des Konvents.
Des Teufels Bad
So gar nicht still kam hingegen „Des Teufels Bad“ daher. Er nimmt den Zuschauer mit in ein österreichisches Dorf im 18. Jahrhundert, in dem Zucht und Ordnung und der katholische Glaube das Leben bestimmen. Die junge Agnes heiratet Wolf, doch dieser ist an ihr nicht interessiert und in ihrem neuen Dasein als Hausfrau und Fischersgehilfin versagt Agnes. Die zutiefst religiöse Frau wird depressiv, ist sich ihres Seelenheils nicht mehr sicher, leidet unter ihren mutmaßlichen Unzulänglichkeiten und will am Ende nichts mehr, als in den Himmel. Die religiösen Gepflogenheiten ihrer Zeit zwingen sie zu einer Verzweiflungstat.
„Des Teufels Bad“ von Veronika Franz und Severin Fiala ist wegen seiner Brutalität und dem absolut glaubwürdig gespielten Leid seiner Protagonistin schwer auszuhalten. Damit erreicht er genau das, was er will. Selten war dem Zuschauer wohl das Leid von Frauen in dieser Zeit näher. Selten auch der Wunsch nach Erlösung von oben. Als Agnes schließlich Absolution erhält, schreit sie vor Erleichterung und Leid angesichts der schlimmen Dinge, die sie getan hat. Es ist der unvergesslichste Schrei dieser Berlinale. „Des Teufels Bad“ ist deshalb ein schrecklicher, guter Film, der auf der Berlinale einen Preis für die Kameraführung erhielt.
Gloria!
„Gloria!“ Von Margherita Vicario erzählt die Geschichte eines italienischen Mädchenorchesters, das sich gegen seinen eigenen chauvinistischen und untalentierten Dirigenten durchsetzt. Auch hier spielt sich alles im Rahmen der Kirche ab, denn aufgetreten wird natürlich im Gottesdienst und besungen das Lob Gottes.
Thematisch und zeitlich ist „Gloria!“ recht nah an „Des Teufels Bad“: Es geht um Frauenrechte in und um die Kirche im 18. Jahrhundert. Ansonsten haben die beiden Filme rein gar nichts gemeinsam. „Gloria!“ Ist eine Mischung aus Drama, Musical und Schmonzette. Für die Berlinale ist das doch gewagt viel Lautstärke und Massentauglichkeit. Für einen Popcornabend zu Hause allerdings taugt er allemal, zumal am Ende sogar der Papst ein Stelldichein hat.
Sehnsucht nach dem Tod
Um den Sinn des Lebens geht es bei Filmen der Berlinale meistens. Doch in diesem Jahr ließ sich mancher Journalist hinreißen, der Berlinale eine Todessehnsucht zu unterstellen. Nicht von irgendwoher, denn in der Tat drehten sich viele Filme des Wettbewerbs um das Sterben. Bei einem Film verriet das schon der Titel: „Sterben“ ist einer der zwei deutschen Wettbewerbsbeiträge. Mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger in den Hauptrollen rollt Regisseur Matthias Glasner – der am Samstag mit einem Silbernen Bären für sein Drehbuch ausgezeichnet wurde – die vier Leben innerhalb einer Familie auf.
Das durchaus auch witzige Drama zeigt, wie sehr alle Protagonisten sich nach Liebe sehnen, diese aber kaum je finden. Auch und vor allem nicht untereinander. Mutter und Sohn sind emotional abgestumpft, der Vater dement und die Tochter alkoholsüchtig und geradezu überemotional. Nebenbei behandelt der Film Themen wie Abtreibung, Sterbehilfe und Alterseinsamkeit. Ein 180-minütiger Lauf durch ein Familienleben, der sich anfühlt wie eine halbe Stunde. Absolut sehenswert.
Spaceman
Auch Adam Sandler stirbt vor sich hin, und zwar im Film „Spaceman“ von Johan Renck. Also Raumfahrer auf Solomission ist er, beziehungsweise seine Figur Jakub, auf dem Weg zum Jupiter. Er soll einen geheimnisvollen Nebel untersuchen, der den Erdenhimmel in romantisches Lila taucht. Zu Beginn des Films ist Jakub bereits seit vielen Monaten unterwegs, gebeutelt von Einsamkeit, Albträumen und wenig Schlaf. Doch plötzlich trifft er das Spinnenwesen Hanus an Bord seines Raumschiffs. Es verwickelt ihn in tiefsinnige Gespräche über die Beziehung zu seiner Frau, die auf der Erde derweil mit ihrem ersten Kind schwanger ist und die Ehe beenden möchte. Die Botschaft des Aliens: Jakubs Ego muss sterben, damit die Beziehung zu seiner Frau leben kann.
„Spaceman“ ist irgendwie niedlich, hier und da seltsam und leider gelingt es Sandler auch nicht immer, den richtigen Ton zu treffen. So gerät das eigentlich nett gemeinte Weltraumpsychogramm zu einem zuweilen unfreiwillig komischen Kuriosum. Anders als in dem Klassiker „Geliebter Feind“, in dem es ebenfalls um die Freundschaft zwischen Alien und Mensch geht, kommt Hanus dem Zuschauer nie richtig nahe, nicht einmal, als dieser dann tatsächlich stirbt.
Another End
„Another End“ von Piero Messina spielt in einer möglichen Zukunft. Der Mensch ist in der Lage, das Bewusstsein Verstorbener in andere Körper zu projizieren und hat so eine Therapie entwickelt, die Hinterbliebenen helfen soll. Sal etwa hat seine Frau bei einem Autounfall verloren und bekommt nun die Chance, sie wiederzutreffen – im Körper einer Freiwilligen, die sich nach den Sitzungen an nichts erinnern kann. Zum Problem wird das ganze, als Sal auch am Ende der verabredeten gemeinsamen Zeit nicht bereit ist, sich von seiner wiedererwachten Frau zu trennen.
Der Film erzählt die alte Geschichte vom Sieg des Menschen über den Tod – und den dramatischen Folgen. Gott spielt dabei keine Rolle, wohl aber die Frage nach der Ethik: Darf man alles, was man kann? Oder gibt es eine Art Fortschritt, von der der Mensch die Finger lassen sollte? Ein schöner und nachdenklich machender Film, der gut in unsere Zeit passt. Wäre da am Ende nicht ein völlig unnötiger Plottwist, der den Zuschauer eher verwirrt, als bereichert zurücklässt.
Das Regime mit Humor bekämpfen
Bei so viel so schwerer Kost stimmt es froh, dass ausgerechnet einer der leichter daher kommenden Filme dieses Wettbewerbs zum Publikumsliebling avancierte. „My favorite Cake“ von Maryam Moghaddam und Behtash Sanaeeha aus dem Iran nimmt das Regime gekonnt auf die Schippe. Es erzählt die Geschichte der gealterten Witwe Mahin, die sich nach einer neuen Liebe sehnt. Doch wie lernt man einen Mann kennen, in einem Land, dass Begegnungen und erst recht Berührungen zwischen Frau und Mann als unsittlich einstuft, so sie denn nicht verheiratet sind? Mahin findet einen Weg, lädt einen Taxifahrer zu sich nach Hause ein und die beiden erleben den schönsten Abend ihres Lebens – auch dank des selbstgemachten Weins, den Mahin seit langem heimlich aufbewahrt. Denn auch der ist illegal.
„My favorite Cake“ ist mehr als eine wunderbare Romanze. Er lässt den Zuschauer herzlich lachen, erinnert aber zugleich an das Leid der Tausenden, vor allem Frauen, die im Iran täglich um ihr Leben fürchten müssen. So durften auch die beiden Regisseure nicht ausreisen, auf der Berlinale waren sie nur durch ihre Namensschilder an ihren unbesetzten Kinosesseln zu sehen. Zwar gab es keinen Bären für diesen Film. Wohl aber den Preis der ökumenischen Jury beim Festival, die besonders darauf schaut, ob die Werte in einem Film das Evangelium widerspiegeln und ob sie für christliche Werte sensibilisieren. Freiheit zum Beispiel.