75 Jahre „Darmstädter Wort“: Als die Kirche ihre Sünden bekannte

Das „Darmstädter Wort“ sollte vor 75 Jahren einen Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg markieren. Die unterzeichnenden Theologen benannten darin Irrwege der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus. Doch ein entscheidendes Thema fehlt.
Von Johannes Blöcher-Weil
Gedenktafel Darmstädter Wort

Am 8. August 1947 haben prominente Theologen das sogenannte „Darmstädter Wort“ veröffentlicht. Darin benennen und bekennen sie die Verfehlungen der Kirche im Nationalsozialismus. Damit geht das Dokument inhaltlich über das Stuttgarter Schuldbekenntnis vom 19. Oktober 1945 hinaus.

Im August 1947 hatte sich der „Bruderrat der Bekennenden Kirche“ in Darmstadt im Elisabethenstift getroffen. Am 8. August wurde dann die Erklärung, die als „Darmstädter Wort“ bekannt wurde, beschlossen. Die Unterzeichner bekannten darin eine aktive Mitschuld der Kirche an den Verbrechen des Nationalsozialismus.

Die vier Abschnitte, die jeweils mit dem Satz „Wir sind in die Irre gegangen…“ beginnen, sollten diese Mitschuld hervorheben. Verfasser waren die Theologieprofessoren Hans-Joachim Iwand und Karl Barth. Überarbeitet wurde das Dokument unter anderen vom späteren hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller.

„Grundlegenden Neuanfang ermöglichen“

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) weist anlässlich des 75. Jahrestages darauf hin, dass das Dokument „einen grundlegenden Neuanfang der evangelischen Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichen“ sollte. Der Text sei aber wegen seiner schonungslosen Selbstkritik schon damals umstritten gewesen.

In einem der vier Abschnitte heißt es: „Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, den Traum einer besonderen deutschen Sendung zu träumen, als ob am deutschen Wesen die Welt genesen könne.“ Das „Darmstädter Wort“ geißelt den Konservatismus der evangelischen Kirche, ihre Obrigkeitshörigkeit und ihre Ablehnung des Sozialismus.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) konnte sich nicht dazu durchringen, ihn zu einem ihrer grundlegenden Texte zu machen. Die Erklärung sorgte in kirchlichen Gremien für wenig Nachwirkungen und geriet bis Mitte der 1970er-Jahre in Vergessenheit. In der DDR entfaltete es dagegen insbesondere in der Friedensbewegung eine „große Wirkungskraft“, betonte der Kirchenpräsident der EKHN, Volker Jung.

„Wegweisendes Dokument mit blinden Flecken“

Anlässlich des Jahrestages bezeichnete er das „Darmstädter Wort“ als „wegweisendes Dokument der der Aufarbeitung mit blinden Flecken“. Das Positionspapier betone „in bester reformatorischer Tradition die Konzentration auf die Botschaft Jesu Christi, die sensibel und kritisch macht gegenüber allen politischen und weltanschaulichen Ideologien mit totalitärem Herrschaftsanspruch“.

Bleibendes Verdienst der Erklärung sei, die „gesamte Schuld“ persönlich und generationenübergreifend zu bekennen und auf die Freisprechung durch Jesus Christus zu hoffen, findet Jung. Gemeinden würden zum Umdenken, zum Aufbau eines besseren Staatswesens und zur Versöhnung mit den Völkern aufgerufen. Allerdings habe das Dokument „keine Silbe für das Menschheitsverbrechen der Shoa übrig“. Darüber hinaus lasse es die schwierige soziale und wirtschaftliche Situation vieler Menschen in Deutschland außen vor.

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Eine Antwort

  1. Das „Darmstädter Wort“ mag zwar heute gut ankommen, da es dem Linksaußenkurs der EKD entspricht und den „Sozialismus“ bejubelt, wie ja leider das, was nach 1945 von den „Bruderräten“ übrig blieb, sehr schnell ganz weit links stand, einschließlich des Stalin-Anhimmlers Karl Barth. Deshalb ist es durchaus gut und berechtigt, dass, trotz manch guter Aussagen, dieses „Wort“ keine weitere große Rolle gespielt hat. Man sollte es auch heute nicht aus der Mottenkiste herausholen. Dass es zur Judenvernichtung nichts sagte, ist ja auch bezeichnend, aber das hat ja die auch nicht unumstrittene „Barmer Erklärung“ von 1934 ebenfalls nicht – und zwar ganz im Unterschied zu dem leider nie wirklich relevant gewordenen „Betheler Bekenntnis“, das Bonhoeffer und Hermann Sasse 1933 ausarbeiteten, und in dem sie auch zur Judenfrage klar Stellung bezogen. Es wäre gut, sich auf dieses Bekenntnis einmal zurückzubesinnen, auch wenn es vielen linken, liberalen Theologen nicht passen wird, da es klar Stellung gegen den theologischen Liberalismus und Kulturprotestantismus nahm.

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