"Es ist 19 Uhr, ich komme gerade von der Uni nach Hause. Nachdem ich meine Sachen abgelegt habe, starte ich meinen Computer und setze mich mit einer Tasse Tee vor die Tastatur", erzählt Theologiestudent Christoph Martsch in einem Erfahrungsbericht im aktuellen "Jahrbuch der Religionspädagogik" mit dem Schwerpunkt "Gott googeln? Multimedia und Religion". "Ich starte meinen Internetbrowser, öffne die Startseite vom sozialen Netzwerk Facebook und melde mich mit meinen Zugangsdaten an." Nach einer halben Stunde weiß er über die Aktivitäten seiner Freunde, über Gemeindeveranstaltungen und über den geplanten Jugendgottesdienst Bescheid. Dass das Internet längst zum Glauben gehört, steht vor allem für jüngere Menschen außer Frage. Sie verabreden sich per E-Mail oder über Facebook zum Hauskreis, lesen die Bibel online oder nutzen Bibellese-Apps für Smartphones.
Die mediale Revolution hinterlässt erfahrbare Spuren in zahlreichen Lebensbereichen, heißt es im Vorwort des Buches. Derzeit spielten sich selbst politische Prozesse wie der "Arabische Frühling" über multimediale Kommunikationswege wie Twitter und Weblogs ab. Smartphones ermöglichten einen Zugriff auf Informationen unabhängig von Ort und Zeit. Freizeitaktivitäten wie Online-Spiele etablierten sich zunehmend. Und zu guter Letzt schafften soziale Netzwerke wie Twitter neue Kommunikationsformen, die "die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt verschwimmen" lassen.
Infragestellung althergebrachter Formen?
Diese technischen und kommunikativen Revolutionen haben auch Einfluss auf die Form und den Gehalt von Religionen – gerade auch auf das Christentum. Das Buch "Gott googeln? Multimedia und Religion" fragt beispielsweise, ob diese neuen, medial vermittelten Kommunikationsformen die leibhaftige Begegnung verdrängen, also Grundgestalten des menschlichen Miteinanders in Frage stellen. Bei all diesen Überlegungen müsse bedacht werden, dass Religion in gleicher Weise in die Medialisierung einbezogen werde wie zahlreiche andere Kulturgüter auch, betonen die Autoren.
In den 25 Aufsätzen werden Debatten aufgegriffen, ob moderne Kommunikationsformen zu einer Verflachung der Theologie führen, oder ob der Rahmen "Multimedia" eine begrüßenswerte und nützliche Verbindung zwischen Religion und Medienwelt darstellt. Diese Frage diskutieren die Theologen Inge Kirsner und Thomas H. Böhm am Beispiel des Filmes "Luther". Auch pragmatische Zugänge zur Religion werden bei den Diskussionen bedacht, deren Akteure sich einerseits der theologischen Tradition verpflichtet sehen, andererseits aber an einer medial kommunizierten Religion interessiert sind.
Raum für Kritik?
Der Fokus der Beiträge richtet sich zusammenfassend jedoch auf eine religionspädagogische Fragestellung: Lassen mediale Verarbeitungen von Religion dem Individuum ausreichend Raum, sich "kritisch, würdigend oder distanznehmend" mit ihnen auseinanderzusetzen? Ferner werden konkret Herausforderungen für die Theologie benannt. So fordern Medienschaffende und "digital natives", also Menschen, die mit den modernen Medien aufgewachsen sind, zunehmend, dass eine theologische Reflexion dem Form und Inhalt der Medien angepasst werden müsse.
Das Buch gliedert sich in drei Teile: Im ersten Abschnitt werden "Medien als Schlüsselfaktor unserer Lebenswelt" aus religionspädagogischer und theologischer Perspektive beschrieben. Der zweite Teil beleuchtet die Rezeption, aber auch die Konstruktion von "Religion" in multimedialen Darstellungsformen. Darüber hinaus werden im dritten Teil didaktische Herangehensweisen für den Religionsunterricht und für Gemeinden beschrieben – zum einen von Lehrern und Pädagogen wie Stefanie Lorenzen, zum anderen aber auch von namhaften Autoren wie dem Medienbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer.
Das Buch "Gott googeln" ist in der Reihe "Jahrbuch der Religionspädagogik" erschienen. Es ist bereits der 28. Band, der von der Neukirchener Verlagsgesellschaft veröffentlicht wurde. (pro)
Rudolf Englert (Hrsg.), Gott googeln? Multimedia und Religion, Neukirchener Verlagsgesellschaft 2012, 256 Seiten, 26,99 Euro.