Zukunft der Christen in Libyen ist ungewiss

Mit dem Tod Muammar al-Gaddafis endet die mehr als vier Jahrzehnte dauernde Herrschaft des libyschen Diktators. Damit eröffnet sich die Chance für ein neues, demokratisches Libyen. Allerdings stellt sich die Frage: Welche Perspektive haben die wenigen Christen in dem nordafrikanischen Land?
Von PRO

Die Hoffnung des deutschen Außenministers Guido Westerwelle, "dass die Menschen in Libyen nach Jahrzehnten der Diktatur ein neues demokratisches Kapitel aufschlagen können", wird von dem Hilfswerk "Open Doors" (Kelkheim), das sich weltweit für verfolgte Christen einsetzt, nicht geteilt: "Wenn eintritt, was der Übergangsrat im September erklärte, dann kann Libyen keine Demokratie nach westlichem Vorbild werden", sagt Markus Rode, Leiter von "Open Doors" Deutschland. "Angekündigt wurde, dass Libyen zwar zu einem demokratischen Rechtsstaat aufgebaut werden soll, jedoch auf Grundlage der Scharia. Kein Gesetz darf demnach den Lehren des Islam widersprechen." Dies biete genügend Interpretationsspielraum, "ja vielleicht sogar das Potenzial, die Erneuerung des Landes zum Scheitern zu bringen". Schon jetzt seien die Diskussionen zwischen moderaten Muslimen beziehungsweise säkular ausgerichteten Gruppen und islamischen Konservativen und Islamisten hitzig.

Für eine Prognose über die Zukunft der Christen in dem Land sei es allerdings noch zu früh. Libyens Christen fürchteten jedoch einen Machtgewinn der Islamisten. "Die wenigen Christen muslimischer Herkunft wären dann noch gefährdeter. Gerade sie brauchen dann die Solidarität der Christen weltweit im Gebet", stellt Rode gegenüber pro fest.

Düstere Aussichten

Der Leiter des Hilfswerks macht deutlich, dass die Zukunft der Christen in dem nordafrikanischen Land von verschiedenen Faktoren abhängig sein wird, die in Fragen zum Ausdruck kommen, wie etwa: Wird künftig in Libyen ein Muslim zum Tode verurteilt, der den christlichen Glauben angenommen hat? Bekommen Christen überhaupt eine Stimme in dem neuen Libyen? Werden sie anerkannt, und nicht nur geduldet? Dürfen sie ihren Glauben frei und ohne Reglementierungen praktizieren oder auch wechseln? Ist ein Muslim in Lebensgefahr, weil er künftig als Christ leben möchte? "Wenn Konvertiten weiterhin damit rechnen müssen, von Islamisten und der eigenen Familie geächtet zu werden, werden die gegenwärtigen Veränderungen für sie keine Verbesserung bringen", resümiert Rode.

Max Klingberg, Referent für Islamfragen bei der "Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte" (IGFM) in Frankfurt, sieht die Zukunft der Christen in Libyen ebenfalls eher düster. Gegenüber pro sagt er: "Ich erwarte weder eine Änderung zum Besseren noch zum Schlechteren. Die Situation für die einheimischen Christen war schon sehr schlecht, und so wird es voraussichtlich auch bleiben."

75 Prozent der ausländischen Christen sind geflohen

Nach Informationen von Open Doors durften ausländische Christen in der 42-jährigen Gaddafi-Ära Gottesdienste feiern, auch wenn am Eingang ihrer Kirchen Sicherheitskräfte postiert waren. Doch sei dies ein durch das diktatorische Regime überwachter Glaube gewesen. Christliche Literatur habe man nicht weitergeben dürfen, geschweige denn das Evangelium an Muslime. Im Verborgenen sei dies dennoch geschehen, denn es gebe einheimische Christen muslimischer Herkunft, wenn auch mit 150 nur sehr wenige. Die Mehrheit der insgesamt 172.800 Christen unter den 6,4 Millionen Einwohnern seien Ausländer. Die meisten von ihnen hätten das Land inzwischen verlassen. Gemeindeleiter aus Tripolis hätten Open Doors gegenüber berichtet, dass nahezu 75 Prozent ihrer Mitglieder aufgrund der Kriegswirren außer Landes geflohen sind. Ob sie jemals zurückkehren würden, sei ungewiss.

"Unsere Hoffnung ist, dass die christliche Gemeinde in Libyen ihren Platz findet", sagt Rode. Beobachter warnten zwar vor einem politischen Eingreifen des westlichen Auslands, "doch Christen sollten und können gerade jetzt eingreifen, und zwar im Gebet", fordert der Chef von "Open Doors". Darum hätten Gemeindeleiter etwa aus Tripolis gebeten. Einer von ihnen habe berichtet, dass jeden Tag um die Mittagszeit Christen in kleinen Gruppen zusammenkommen und für die Zukunft ihres Landes beten. "Diesem Vorbild sollten Christen in Deutschland folgen." (pro)

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