Zensierte Lieder wären blutleer und langweilig

Bevor am Samstag die Übertragung des Eurovision Song Contest (ESC) aus der Crystal Hall in Baku begann, sprach Nora Steen, evangelische Pfarrerin aus Hildesheim, das "Wort zum Sonntag". Vor einem Millionenpublikum kritisierte sie die Politik in Aserbaidschan.
Von PRO

Sie habe in Baku zum ersten Mal am eigenen Leib erlebt, was es heißen kann, nicht die Freiheit zu haben, die in Europa selbstverständlich ist. "Dass ich hier stehen darf und das Wort zum Sonntag zu Ihnen spreche, ist überhaupt nicht selbstverständlich, obwohl für Ausländer die Beschränkungen in der Meinungs- und Pressefreiheit nicht gelten, unter denen so viele Menschen hier leiden", sagte sie. Auf einer Dachterrasse mit Blick auf Baku hatte die Theologin das "Wort zum Sonntag" bereits am vergangenen Donnerstag aufgezeichnet.

Sie habe mit Christen und Menschenrechtlern über ihre Anliegen gesprochen, sagte die 35-Jährige. Vor allem Letztere setzten große Hoffnungen auf den ESC und wünschten sich, dass die europäischen Nachbarn sehen, mit welchen Problemen die Menschen in Aserbaidschan kämpfen. Eine Pfarrerin der lutherischen Gemeinde habe "mit sehr großer Offenheit" über die Situation der Christen, die in dem muslimisch geprägten Land eine religiöse Minderheit sind, erzählt. "Das ist etwas, das den Regierenden nicht ganz so gefallen wird." Dennoch ließen sich die Christen nicht entmutigen. "Wir wollen das Licht unseres Glaubens leuchten lassen, egal, wo in welchem politischen System wir leben", zitiert sie die lutherische Pfarrerin. Aus solchen Worten spreche große innere Freiheit.

Steen bezog Stellung zu der eingeschränkten Presse- und Meinungsfreiheit im Land: Es sei ein Widerspruch, wenn der ESC in einem Land stattfinde, das seinen eigenen Sängern diese Freiheit nicht uneingeschränkt einräume, sagte die Theologin.

Null Punkte für Presse- und Meinungsfreiheit


Kurz vor dem Eurovision Song Contest hatte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International der Regierung des Gastgeberlandes Aserbaidschan symbolisch "Null Punkte" gegeben. Etwa 500 Mitglieder zeigten am Samstag bei der Jahresversammlung der Organisation in Neu-Ulm gelbe Schilder mit einer großen schwarzen Null darauf. Amnesty protestierte so gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Aserbaidschan. "Null Punkte" vergab Amnesty auch in den Kategorien Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit.

Nora Steen versuchte, Mut zu machen: Was in der Crystal Hall passiere, sei ein Symbol für Freiheit. "Wie sollen die Sänger ihr Feuer entzünden, wenn sie ihren Gedanken und Gefühlen nicht freien Lauf lassen können?", fragte sie und spielte damit auf auf das Motto des Wettbewerbs "Light your fire!" an. "Zensierte Lieder wären blutleer und langweilig." Ohne Freiheit könnte es aber niemals einen ESC geben. "Je größer die Lebensfreude und die Botschaft der Freiheit bei dem Finale sein werden, umso stärker wird auch das Hoffnungszeichen für die Menschen hier sein, ermutigte sie Teilnehmer und Zuschauer.

Nora Steen ist Pastorin an der Citykirche St. Jakobi. Seit 2011 spricht sie im Wechsel mit anderen Pastoren rund sechs Mal im Jahr das "Wort zum Sonntag" in der ARD. (pro)


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