"Ein Bundestagspräsident hat nicht viel Zeit zum Fernsehen, sonst wüsste er, dass bei uns heute zum Beispiel die spannende Haushaltsdebatte zu sehen ist", sagte der Sendersprecher am Mittwoch in Mainz. Lammert hatte am Dienstagabend ARD und ZDF für die Ausstrahlung von Unterhaltungssendungen während der Bundestagsdebatte über neonazistischen Terror am Vormittag kritisiert. "Bei ARD und ZDF findet Business as Usual statt", hatte er bei der Verleihung des Otto-Brenner-Preises für kritischen Journalismus am Dienstagabend in Berlin gesagt. Während der Parlamentsdebatte über die "unerträglichen Morde" habe die ARD die Telenovela "Rote Rosen" gesendet. "Das ZDF bringt ‚Volle Kanne‘ und lässt sich auch nicht weiter irritieren. Ein gnadenloser Vorrang von Unterhaltung gegenüber allem und jedem." Lammert kritisierte auch journalistische Trends, nach denen Schnelligkeit vor Gründlichkeit gehe. Informationen würden immer öfter nicht auf Richtigkeit geprüft, Bilder hätten Vorrang vor Texten und statt ausführlicher Analysen seien knappe Botschaften gefragt.
Nur beim Informationssender Phoenix sei die Bundestagsdebatte übertragen worden, sagte Lammert. Der ZDF-Sprecher entgegnete, die Politik habe den
Ereigniskanal Phoenix extra für diesen Zweck eingerichtet. Lammert bemängelte außerdem, dass die öffentlich-rechtlichen Sender im Hauptprogramm nur 26 Stunden Bundestagsdebatten pro Jahr zeigten, aber 1.000 Stunden Talkshows sendeten. "Die werden aber durch den Esprit anwesender Politiker geprägt", konterte der ZDF-Sprecher.
Auch ARD-Programmdirektor Volker Herres äußerte sich zu den Vorwürfen Lammerts. Er verwies auf die Bundestags-Zuständigkeit des ZDF in dieser laufenden Übertragungswoche. Herres kündigte aber an, dass die ARD die Bundestagsveranstaltung, bei der am 27. Januar 2012 der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird, live übertragen werde.
Der Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber, übte bei der Veranstaltung mit Norbert Lammert ebenfalls Kritik an ARD und ZDF. Er forderte eine "Modernisierung" der Aufsichtsratsgremien der Sender. Wichtige Gruppen wie Migranten, Menschen mit Behinderungen oder einige Religionsgruppen würden bisher ignoriert, sagte er. "65 Jahre nach Gründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss überprüft werden, ob die Zusammensetzung der Gremien die gesellschaftliche Realität tatsächlich noch abbildet." (dpa/pro)