Unzählige Gottheiten, Kulte und Mysterien boten sich den Menschen im ersten Jahrhundert an. Das Christentum war anders: Eine kleine jüdische – und für damalige Verständnisse wohl – „Sekte“ propagierte einen einzigen Gott anstatt der Vielgötterei sowie Vergebung statt der Praxis von Fluchtafeln. Theologen der Universitäten Bern und Bonn sind zu den antiken Schauplätzen im Mittelmeerraum gereist, um die Spuren der ersten Christen zu suchen. Aus dem Forschungsprojekt „Ecclesiae“ ist eine Filmserie auf Youtube entstanden, gefördert wurde sie vom Schweizerischen Nationalfonds.
Unter der Leitung der Theologen Jan Rüggemeier und Benjamin Schliesser machte sich ein Forschungsteam auf in die Städte Rom, Korinth, Ephesus und Philippi. Sie besuchten unter anderem ehemalige Stätten des Mithras-Kults, die Katakomben von Rom und die Überreste eines Artemistempels. Ziel des Projekts war es laut den Forschern, den Aufstieg und die Ausbreitung des Christentums als urbanes Phänomen zu untersuchen.
Die erste Folge mit dem Titel „Ein neuer Gott für Roms Imperium“ startet am 20. Dezember auf dem Youtube-Kanal „Ecclesiae“. Es folgen vier weitere Episoden in den Wochen bis Januar 2026 von jeweils 60 Minuten Länge. Bereits jetzt sind 30-minütige Versionen auf dem Kanal zu sehen. Es gibt sowohl einen deutsch- als auch einen englischsprachigen Youtube-Kanal; auf dem englischen Kanal werden zusätzlich ausführliche Interviews mit Experten veröffentlicht.
„Frauen nahmen aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil“
Bei ihrem Besuch in Philippi macht der Theologe Benjamin Schliesser klar, dass es sich womöglich um so etwas wie die Lieblingsgemeinde von Paulus gehandelt habe, da er an sie mehr Briefe schrieb als an andere. Die Forscher zeigen dem Zuschauer die alten Römerstraßen, von denen auch die ersten Christen auf ihren Reisen profitierten. Andreas Christian Heidel, Neutestamentler von der Universität Bern, erklärt, auf einer der Straßen stehend: „Paulus, angetrieben von einer Vision, hier nach Makedonien zu kommen, kam vom Meer und landete von Troas aus in Neapolis, dem heutigen Kavala.“
Die Theologen heben auch die Bedeutung von Frauen in der frühen Christenheit hervor. Die Purpurhändlerin Lydia etwa war eine der ersten Personen, denen Paulus in Philippi begegnete. Weitere Frauen werden in der Apostelgeschichte erwähnt, mit denen Paulus sprach, darunter auch Euodia und Syntyche. Anders als lange angenommen, waren Frauen zur damaligen Zeit offenbar nicht pauschal in der Gesellschaft an den Rand gedrängt und ins Haus verbannt, erklären die Experten. „Sie nahmen aktiv am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil.“
Der Neutestamentler Niklas Walder von der Universität Bern stellt fest: „Das frühe Christentum unterschied sich drastisch von anderen Kulten, nämlich in seiner Exklusivität. Während sich andere Gottheiten ganz leicht ins römische Pantheon einfügten, war das beim frühen Christentum nicht der Fall.“ Die Forscher zeigen auch Überreste eines Gebäudes, das als Zisterne diente, und in dem auch Gefangene festgehalten wurden, unter ihnen möglicherweise auch Paulus.
In der Episode über Korinth zeigen die Experten, wie wichtig diese Stadt an der schmalen Landverbindung war, an der sich das östliche und das westliche Mittelmeer treffen. Schon zu Paulus‘ Zeit war dies ein wichtiger Handelsort, und von hier verbreiteten sich nicht nur Waren, sondern auch Ideen über die restliche Welt. Der Theologe Jan Rüggemeier erklärt: „Die ersten Christen haben sich dieses Netzwerk zu eigen gemacht.“
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Die professionell gemachte Dokumentationsreihe gibt einen interessanten Einblick in die Orte, die für die frühen Christen wichtig waren, und von denen sich die neue Religion über die Welt ausbreitete. Alle Religionen dieser Epoche waren früher oder später dem Untergang geweiht, nur eine jüdische „Sekte“ aus dem Osten setzte sich durch. Dabei unterschied diese sich radikal von den populären Kulten. Frauen nahmen ungewöhnlicherweise zentrale Rollen darin ein, die Lehre von der Gleichheit, Nächstenliebe und Fürsorge für die Schwachen war ungewöhnlich. Revolutionär war zudem der Glaube der Christen, dass ihr Gott der einzig wahre Gott und dass Christus für alle Menschen gestorben sei. Für den Zuschauer ist es interessant, sich mit den Forschern des Neuen Testaments an die Orte zu begeben, deren Ruinen von diesen ersten Jahren des Christentums erzählen.