Xavier Naidoo darf nicht „Antisemit“ genannt werden

Der Sänger Xavier Naidoo hat sich vor Gericht das Recht erstritten, nicht als Antisemit bezeichnet werden zu dürfen. Die Kritik an seinen politischen Aussagen reißt dennoch nicht ab. Die Bildungsstätte Anne Frank kritisiert das Urteil.
Von PRO
Der Sänger Xavier Naidoo darf nicht als Antisemit bezeichnet werden. Umstritten bleibt er dennoch.

Das Urteil über Sänger Xavier Naidoo ist gesprochen: Er ist – offiziell – kein Antisemit. Der umstrittene Soul- und R&B-Sänger aus Mannheim hatte beim Landgericht Regensburg Klage gegen eine Referentin der Amadeu Antonio Stiftung eingereicht. Die Stiftung setzt sich sowohl gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus als auch gegen „Homo- und Transphobie“ ein. Die Referentin hatte vergangenes Jahr bei einem Vortrag im bayerischen Straubing über Naidoo gesagt: „Er ist Antisemit. Das ist strukturell nachweisbar“.

Der 46-jährige Naidoo hatte die Vorwürfe vehement bestritten. Während der Verhandlungen hatte er sich auf die Kunstfreiheit berufen und angegeben, er setze sich gegen Rassismus ein. Außerdem trage sein Sohn einen jüdischen Namen. Die Angeklagte hatte Naidoo vorgeworfen, in seinen Liedtexten antisemitische Klischees und Chiffren zu verwenden. Beispielsweise textet Naidoo in einem Song: „Baron Totschild gibt den Ton an“. Der negative Bezug auf die jüdische Bankerfamilie Rothschild habe Anklänge an verbreitete rechtsextreme Verschwörungstheorien, nach denen Juden im Hintergrund die Fäden der politischen Eliten ziehen. In Naidoos Song „Marionetten“ würden solche Bezüge besonders deutlich.

Naidoo bekommt Recht

Richterin Barbara Pöschl gab Naidoo Recht. Der Vorwurf, er sei Antisemit, sei ein Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Dass Naidoo über die fraglichen Texte hinaus mit seiner ganzen Person antisemitische Haltungen vertrete, habe die Angeklagte nicht ausreichend belegen können. Außerdem könne Naidoo sich auf die Kunstfreiheit berufen. Die Beklagte habe zwar das Recht auf freie Meinungsäußerung, doch Naidoos Persönlichkeitsrecht überwiege in diesem Fall. Um eine Tatsachenaussage könne es sich in keinem Fall handeln, da es keine „allgemeine Definition von Antisemitismus“ gebe.

Das Gericht betonte daher, es beurteile nicht, ob Naidoos Texte tatsächlich antisemitisch seien. Seine Distanzierung von einer solchen Lesart sei jedoch glaubwürdig gewesen. Der Sänger hatte unter anderem angegeben, mit dem Begriff „Totschild“ habe er den Eintritt von Altkanzler Gerhard Schröder in die Rothschild Bank kritisieren wollen, nicht aber die Familie an sich. Antisemitismus sei in Deutschland „ein sehr grober Vorwurf“, sagte Pöschl. Die Angeklagte habe ihn zu unterlassen.

Nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung möchte die Angeklagte in Berufung gehen. „Die Entscheidung des Gerichts ist enttäuschend und greift in die Meinungsfreiheit ein. Das Urteil ist ein fatales Signal für die politische Bildung“, sagte sie. Die Stiftung schrieb in einer Stellungnahme: „Die Amadeu Antonio Stiftung hält es für unerlässlich, antisemitische Äußerungen und Verschwörungserzählungen auch als solche zu bezeichnen. Die Amadeu Antonio Stiftung hält auch die vom Landgericht Regensburg verbotene Äußerung für von der Meinungsfreiheit gedeckt.“

Rückendeckung von Bildungsstätte Anne Frank

Rückendeckung erhält die Stiftung nun von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, die sich mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus beschäftigt. Die Bildungsstätte nannte den Ausgang des Prozesses ein „Fehlurteil“.

Der Direktor der Bildungsstätte, Meron Mendel, sagte: „Deutsche Gerichte in allen Instanzen haben ein massives Problem, aktuelle Erscheinungsformen von Antisemitismus zu erkennen und zu benennen – das zeigt auch der Fall Xavier Naidoo.“ Es mangele ihnen an einem Antisemitismusbegriff, „der über die Verbindung mit dem Nationalsozialismus hinausgehe“. Codierte Formen des Antisemitismus – wie der Bezug auf die Familie Rothschild – gerieten so aus dem Blick. Bei Naidoo sei der Fall klar: Er „reproduziert in seinen Texten antisemitische, verschwörungstheoretische und antiamerikanische Weltbilder“. In der Stellungnahme wird der Sänger als „Wiederholungstäter“ bezeichnet.

Bildungsstätte sieht gefährliches politisches Klima

Dabei zeige das Urteil, dass „in deutschen Gerichten offenbar massive Unklarheit darüber herrscht, was Antisemitismus überhaupt ist“. Der Begriff werde oft lediglich als ideologische Nähe zum Nazi-Regime verstanden, selten aber in seiner unterschwelligen, strukturellen Form wahrgenommen. „Klassische Formen von Antisemitismus […] sind heute eher selten anzutreffen, sondern Antisemitismus drückt sich vor allem in einer Feindschaft gegenüber Israel, Verschwörungsglauben und personalisierender Kapitalismuskritik aus“, heißt es in der Erklärung zusammenfassend.

Dieser strukturelle Antisemitismus sei nicht ungefährlicher als klassische Formen. Im Gegenteil: Er trage zu einem gesellschaftlichen Klima bei, „das es letztendlich ermöglicht, dass Jüdinnen und Juden sowie als jüdisch erkennbare Einrichtungen immer wieder ganz handgreiflich attackiert werden“. Die jüngste Gürtelattacke in Berlin etwa sei so ein Fall. Der strukturelle Antisemitismus, wie er bei Naidoo vorkomme, trage dazu bei, dass solchen Zwischenfällen Raum gegeben werde.

In der Verantwortung sieht die Bildungsstätte die Politik. „Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Rechtsrucks und einer Reihe von antisemitischen Angriffen brauchen Juden und Jüdinnen hierzulande einen effektiveren Schutz durch die Justiz“, sagte Mendel. Die Politik müsse dies in Gesetzen umsetzen.

Naidoos politische Botschaft ist umstritten

Naidoo stand wegen Vorwürfen des Rechtspopulismus bereits öfter in der Kritik. 2014 etwa hatte er bei einer Kundgebung der so genannten „Reichsbürgerbewegung“ gesprochen und dort unter anderem Theorien geäußert, nach denen die USA nach wie vor eine deutsche Besatzungsmacht seien und die Geschicke der Bundesrepublik bestimmten. Die Reichsbürger sind eine heterogene Ansammlung von Verschwörungstheoretikern, die Deutschland die Staatlichkeit absprechen.

Naidoo war zuletzt vergangenes Jahr in öffentliche Kritik geraten, nachdem er mit seiner Band „Söhne Mannheims“ den Song „Marionetten“ veröffentlicht hatte, in dem viele die Verschwörungstheorien des Sängers verarbeitet sahen. Eine Textzeile etwa lautet: „Eure Parlamente erinnern mich stark an Puppentheaterkästen – Ihr wandelt an den Fäden wie Marionetten – Bis sie euch mit scharfer Schere von der Nabelschnur Babylons trennen!“

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