Wulff im TV: Haltung verloren

Zwei Jahre nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten Christian Wulff bringt Sat.1 dessen Geschichte als Dokudrama ins Fernsehen. Regisseur Thomas Schadt zeigt ihn als Getriebenen und Opfer seiner eigenen Arroganz. Eine Filmkritik von Anna Lutz
Von PRO
Das Ehepaar Wulff (Kai Wiesinger, Anja Kling) im Film "Der Rücktritt"
„Das Amt hat ihn verdorben“, sagt Olaf Glaeseker, gespielt von Holger Kunkel, in „Der Rücktritt“ über Christian Wulff (Kai Wiesinger). Es ist der Tag seiner Entlassung als Sprecher des Bundespräsidenten im Dezember 2011. Seine Freundschaft zum Eventmanager Manfred Schmidt wurde Glaeseker zum Verhängnis. Schon seit Wochen suchten Journalisten nach Anhaltspunkten für eine Bestechlichkeit Wulffs. Ein auf unübliche Weise gewährter Hauskredit hatte den Bild-Reporter Martin Heidemanns, im Film verkörpert durch Thorsten Merten, auf die Spur des Präsidenten gebracht. Nichts kann ein Staatsoberhaupt an dieser Stelle weniger vertragen als einen Sprecher, der selbst im Verdacht der Bestechlichkeit steht. Glaeseker – der einst engste Vertraute und Freund Wulffs – muss seinen Hut nehmen, damit der Chef im Amt bleiben kann. Etwas hatte sich verändert im Schloss Bellevue. „Der Rücktritt“ lässt mutmaßen, dass es Wulff selbst war, dem der mit seinem Amt verbundene Ruhm zu Kopf gestiegen ist.

Ein Film, den viele nicht wollten

Am 25. Februar um 20.15 Uhr zeigt Sat.1 den Film, den die Öffentlich-Rechtlichen ebensowenig wollten wie das Noch-Ehepaar Wulff. Während die Ablehnung Letzterer durchaus verständlich ist, darf man sich fragen, was ARD und ZDF davon abgehalten hat, das TV-Stück ins Programm zu nehmen. Denn die Macher haben eine gute Idee grandios umgesetzt. Immer wieder wechseln sich im Film gespielte Szenen mit tatsächlichen Zeitdokumenten aus TV-Sendungen und sonstigen Aufnahmen ab. Grundlage des Films ist das Buch „Affäre Wulff“ von Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch, den Journalisten der Bild, die die Ereignisse selbst miterlebt und zum Teil aufgedeckt hatten. Doch auch Spiegel-Autor Jan Fleischhauer stand dem Filmteam beratend zur Seite. Ein ganzes Jahr lang sichtete ein Mitarbeiter Realmaterial, das am Ende in die Produktion einfließen sollte. Wir haben es also mit einem durchaus hochwertigen Werk zu tun – das mag man von einem Sender wie Sat.1 nicht unbedingt erwarten, es steht ihm aber gut zu Gesicht. Regisseur Schadt zeigt nicht nur Glaeseker als Leidtragenden der Causa Wulff. Für viele vielleicht noch überraschender: Auch Bettina Wulff, dargestellt durch Anja Kling, stilisieren die Filmmacher zum Opfer der Ereignisse, die Deutschland rund um die Jahreswende 2011/2012 beschäftigten. Als seelisches Wrack mit verweinten Augen kämpft sie sich an der Seite ihres Mannes durch diese Zeit, fühlt sich als Gefangene im goldenen Käfig und ist erschüttert über permanente Grenzüberschreitungen der Presse. Die thematisiert der Film ebenso wie das unrühmliche Lavieren Wulffs in der Affäre. Aussitzen ist sein Mittel der Wahl, alles offen legen, das von Glaeseker. Auch das führt letztendlich zum Bruch zwischen den Männern.

„Ein Bundespräsident probt doch keine Interviews“

Doch was genau hat Wulff eigentlich falsch gemacht? Darauf gibt „Der Rücktritt“ eine eindeutige Antwort. Nicht Kredite, falsche Freundschaften oder fragwürdige Gefälligkeiten haben den CDU-Politiker Job und Ehre gekostet. Stattdessen unterschätzte er die Macht der Medien und überschätzte die Bedeutung des Amtes. So glaubte er laut Film bis kurz vor seinem Rücktritt im Februar nicht daran, dass die Staatsanwaltschaft es wagen würde, die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten zu beantragen. Bezeichnen auch diese Szene: Als sein Presseteam ihn vor dem aufsehenerregenden Interview mit Bettina Schausten und Ulrich Deppendorf im Januar bittet, mögliche Fragen in einem Planspiel durchzugehen, antwortet er schlicht: „Ein Bundespräsident probt doch keine Interviews.“ Produzent Nico Hofmann machte am Montag in Berlin keinen Hehl aus seiner Wertschätzung für die journalistische Recherchearbeit, die in der Causa Wulff geleistet wurde. Zu Recht sei den Bild-Journalisten der Henri Nannen-Preis für die beste investigative Leistung verliehen worden, noch heute lehre man ihr Vorgehen an Journalistenschulen. Doch er habe auch mit Wulff empfunden, habe die Ambivalenzen in der Geschichte zeigen wollen. Deshalb stellt der Film auch den Moment kurz vor Wulffs Rücktritt dar, als die Stimmung zu kippen scheint, die öffentliche Meinung ihn plötzlich als Gejagten der Presse sieht. Über bereitgestellte Kleider und Bobbycars zu diskutieren, das Privatleben der Wulffs nahezu gänzlich offenzulegen, das mag zu weit gehen, suggeriert der Film.

Scheibchenweise Ehrlichkeit

In der kommenden Woche soll der Prozess um Christian Wulff am Landgericht Hannover enden. Im Kern geht es dabei noch um eine Summe von 720 Euro, die der Filmfinancier David Groenewold den Wulffs in Form von Hotelübernachtungen, Essen und Babysittingkosten überlassen haben soll. Laut Berichten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) hat der zuständige Richter bereits Zweifel daran geäußert, dass der Vorwurf der Vorteilsnahme zutrifft. Zumindest gerichtlich könnte es am Ende also gut ausgehen für das ehemalige Staatsoberhaupt. „Es geht um eine Haltung“, sagte Hofmann bei der Berlin-Vorführung über seinen Film und den Fall Wulff. Das klingt wie: Eine Haltung, die Wulff nicht zeigte. Laut einer aktuellen Umfrage rangiert die Ehrlichkeit auf Platz eins der wichtigsten Werte der Deutschen. Verlässlichkeit folgt gleich darauf. Der Anruf bei Bild-Chef Kai Diekmann, in dem der Präsident ihm den Krieg erklärte und dies auch noch auf Band sprach, war eine Dummheit, die die Presse mehr empörte als das Volk. Dass Wulff sich aber zum falschen Zeitpunkt dazu entschied, ehrlich zu sein und dies auch noch nur scheibchenweise tat, war sein größter Fehler. (pro) „Der Rücktritt“, Dienstag, 25.2.2013, 20.15 Uhr, Sat.1
https://www.pro-medienmagazin.de/journalismus/detailansicht/aktuell/emunanstaendiger-medienprozessem-gegen-wulff/
https://www.pro-medienmagazin.de/kommentar/detailansicht/aktuell/emchristian-wulffem-ewig-geaechtet-oder-chance-auf-rueckkehr/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/diener-ruecktritt-wulffs-leider-emunvermeidlichem/
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