Inklusion – Urchristliches Prinzip mit Potenzial

Beschäftigte mit Behinderung bereichern den Geist und die Kultur von Unternehmen, meint der Unternehmer David Neufeld. Bei christlichen Gemeinden sieht der Verleger Nachholbedarf beim Thema Inklusion.
Von Jonathan Steinert
Verleger David Neufeld hat zwei Jungs mit Down-Syndrom adoptiert

Inklusion beschreibt das Konzept einer Gesellschaft, in der jeder Mensch gleichberechtigt und selbstbestimmt, unabhängig von Behinderung, Geschlecht, Herkunft oder Bildung an dieser teilhaben kann und ernstgenommen wird. In Berlin sind am Dienstag vier Unternehmen mit dem Inklusionspreis für die Wirtschaft geehrt worden, die sich in besonderer Weise um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen verdient gemacht haben. pro hat die Preisverleihung zum Anlass genommen und mit dem christlichen Verleger David Neufeld gesprochen, der sich mit seinem Verlag in besonderer Weise der Themen Behinderung und Inklusion annimmt.

Herr Neufeld, gibt es akzeptable Grenzen von Inklusion, gerade am Arbeitsplatz?

David Neufeld: Nicht jeder Mensch kann jeder Anforderung gerecht werden. Inklusion kann nicht bedeuten, dass wir von jedem alles erwarten. Das tun wir jenseits von Behinderungen auch nicht, sondern fragen: Was passt für dich? Generell hat Inklusion ein riesiges Potenzial, wenn wir beginnen, den Menschen zu sehen. Zu schauen: Was kannst du, was kannst du nicht so gut, wo können deine Stärken zur Entfaltung kommen und welchen Rahmen, welches Umfeld brauchst du dafür, dass das möglich ist? Da kann noch viel Gutes geschehen. Es gibt auch tolle Beispiele von Betrieben, die Menschen mit geistiger Behinderung einstellen oder Menschen, die ganz sichtbare Einschränkungen haben im Miteinander – und trotzdem ihre Arbeit machen und den Geist und die Kultur eines Unternehmens bereichern können. Ich sehe in Inklusion ein großes Potenzial, wenn wir begreifen, dass es nicht darum geht, alle über einen Kamm zu scheren, wie man es manchmal in Schulen macht und was ich dramatisch finde; sondern zu begreifen, das sind Menschen, so wie jeder Mensch mit oder ohne Behinderung seine Begrenzungen und Fähigkeiten hat.

Was halten Sie davon, dass Unternehmen ausgezeichnet werden, die Menschen mit Behinderung gezielt beschäftigen?

Das ist ein absolut wichtiges Signal, weil es noch viel zu wenig in unseren Köpfen ist, dass es für alle Seiten viel Potenzial birgt, Menschen mit Behinderung einzustellen. Deshalb finde ich es sehr gut, dass man Betriebe mit solchen Initiativen hervorhebt und beleuchtet, was sie tun und welche Erfahrungen sie machen. Ich bin überzeugt, dass immer beide Seiten – die Menschen mit Behinderung selber, aber auch für die Betriebe, die Kollegen und Vorgesetzten – davon profitieren.

Als christlicher Verlagsleiter publizieren Sie Bücher zu diesem Thema. Wie nehmen Sie die Akzeptanz von Menschen mit Behinderung im kirchlichen und freikirchlichen Bereich wahr?

Es gibt eine Grundakzeptanz im Sinne von: Ja, sie sind da, gehören dazu und wir wollen sie annehmen. Ich beobachte, dass noch viel Luft nach oben ist hin zu einer Wahrnehmung: Da gibt es etwas zu entdecken, sie haben uns etwas zu sagen. Da kann sich noch sehr viel entwickeln. Dass sie uns etwas zu sagen haben, gerade in Bezug auf den Glauben, auf das Wesen des Glaubens, haben wir oft noch nicht entdeckt. Jemand mit Behinderung wird oft morgens beim Aufwachen daran erinnert, dass er auf Unterstützung angewiesen ist, weil er aus eigener Leistung vieles nicht kann. Da würde ich sagen: Da sind wir beim Kern des christlichen Glaubens. Nicht unsere Leistungsfähigkeit macht uns liebenswert, sondern dass Gott uns liebt, macht uns liebenswert. Da gibt es noch vieles zu entdecken, das nehme ich im kirchlichen Bereich wahr und im evangelikalen Bereich auch. Da ist vieles noch nicht erschlossen, weil wir einfach nicht so die Berührungspunkte haben. Das passiert dann ganz stark, wenn wir in Kontakt kommen mit Menschen mit Behinderung.

Wo haben Gemeinden Nachholebedarf, was können sie konkret tun, um mit Menschen mit Behinderung in Kontakt zu kommen?

Gemeinden sollten im Blick haben: Ist das, was wir tun, offen und zugänglich für Menschen mit Behinderung? Wenn sie unsere Veranstaltungen besuchen, sollten wir fragen: Wo können wir sie unterstützen, dass sie wirklich Zugang finden, und was müsste geschehen, dass wir in Beziehung zueinander treten? Wenn man Beziehungen aufbaut, lernt man sich in seiner Unterschiedlichkeit kennen und schätzen. Das ist bereichernd für beide Seiten. Ich denke dabei gar nicht an Konzepte, sondern an die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen und auch da die Menschen aus der Schublade herauszuholen. Nicht zu sagen: Das ist ein Rollstuhlfahrer, der kann das und das nicht. Er empfindet sich selber vermutlich gar nicht in erster Linie als „an den Rollstuhl gefesselt“, wie man manchmal so schön sagt. Sondern er ist Mensch mit Zielen und Wünschen. Inklusion ist urchristlich.

Vielen Dank für das Gespräch!

Der Inklusionspreis für die Wirtschaft wurde 2018 zum sechsten Mal verliehen und zeichnet vorbildliches unternehmerisches Handeln aus, das die Potenziale von Menschen mit Behinderungen sichtbar macht. Die IT-Firma JP-ProteQ, der Fachhändler Schmaus, der Energieversorger Westnetz und der Elektrokonzern Siemens erhielten 2018 den Preis, der von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Bundesagentur für Arbeit, der Charta der Vielfalt und dem UnternehmensForum verliehen wird.

Von: Jonathan Steinert/Norbert Schäfer

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