Wir werden mit weniger Geld auskommen müssen

Horst Opaschowski gilt als Zukunftspapst und wissenschaftlicher Vordenker. Seine Analysen fördern allerdings auch unbequeme Wahrheiten zutage. Im pro-Interview erläutert der Zukunftsforscher, wie sich die Gesellschaft in den nächsten 20 Jahren verändern wird und warum wir uns vom Wohlstandsdenken verabschieden sollten.
Von PRO

Laut einer Eurobarometer-Umfrage hat ein Sechstel der Europäer regelmäßig Probleme bei der Zahlung von Haushaltsrechnungen, drei Viertel glauben, dass die Armut in ihrem Land 2009 zugenommen hat. Sind das subjektive Einschätzungen?

Nein. Viele Europäer werden mit weniger Geld auskommen müssen – aber es herrscht der pragmatische Wunsch, das Beste aus dem Leben zu machen. Die Anzahl derer, die staatliche Sozialleistungen in Anspruch nehmen werden, aber im Gegenzug selber gemeinnützig tätig sein wollen, nimmt zu. Dieses Geben und Nehmen reduziert in einigen Bereichen ein wenig die Bedeutung des Geldes. Zusätzlich wächst der Anteil derer, die die Pflege familiärer Bindungen als Lebensaufgabe empfinden. Nicht nur die Angst vor Altersarmut lässt Familienmitglieder enger zusammenrücken. Derzeit steigt vor allem der Anteil der Eltern, die ihre erwachsenen Kinder regelmäßig mit Geld- und Sachleistungen sowie persönlichen Leistungen unterstützen. Eine der nachhaltigsten Ressourcen der Zukunft wird die neue Solidarität zwischen den Generationen sein.

Wie sieht es mit den Menschen aus, die keine Familie haben?

Nachbarschaftshilfe und Freunde gewinnen zunehmend an Bedeutung für die persönliche Lebensqualität. Ein verlässliches Netz aus sozialen Kontakten, ein Netz aus Sorge und Fürsorge, des Sich-umeinander-Kümmerns gewinnt zunehmend an Bedeutung – quer durch die Generationen.

In welchen Bereichen werden die Menschen sparen?
Aus der Sicht der Bevölkerung kommen vor allem drei Bereiche für staatliche Ausgabenkürzungen in Frage: Verteidigung, Entwicklungshilfe und Kultur. Bildung bleibt die wichtigste Quelle künftigen Wohlstands und soll daher von Ausgabenkürzungen verschont bleiben. Auch Renten-, Arbeitslosen- und Sozialhilfekürzungen stehen nicht zur Diskussion. Nach Meinung der Bürger darf auf keinen Fall an öffentlichen Einrichtungen für Kinder gespart werden. Im Forderungskatalog der Bürger steht ganz oben der Anspruch auf Kindergärten (88 Prozent). Der Bereich, in dem die Deutschen am ehesten sparen, wenn das Geld knapp ist, ist das Ausgehen, beispielsweise ins Restaurant, ins Kino, in die Oper oder in ein Konzert.

Jeder zweite Bundesbürger befürchtet die drohende Armut. Das Armutsrisiko wird sogar höher eingeschätzt als mögliche Gefahren durch Terrorismus oder Umweltbelastung. Wie sollte die Politik reagieren?

Hier muss der Staat eingreifen. Empfehlen lässt sich als Langfrist-Modell die Einführung eines minimalen Existenzgeldes, des so genannten „Minimex“ für alle. Dieses würde die rechtsstaatlichen Prinzipien wie Fürsorge, Grundversorgung und soziale Gerechtigkeit absichern. Das bedeutet nicht, dass die Bürger aus ihrer Eigenverantwortung und Eigenvorsorge entlassen werden, sondern sie müssen weiterhin durch eigene Arbeit und Leistung für ein auskömmliches Leben sorgen. Das Langfrist-Modell „Minimex“ ist praktikabel, finanzierbar und sozial. Erhebliche Verwaltungskosten können im staatlichen Sozialbudget eingespart werden, da nach mehrheitlicher Meinung der Bevölkerung ein großer Teil der Kosten für die Kontrolle von Sozialleistungen wie Arbeitslosen-, Sozialhilfe oder Kindergeld entfallen.

Es ist eine alte Weisheit, dass materieller Wohlstand nicht zufriedener macht. Sollten wir die Krise zum Anlass nehmen, uns vom materiellen Wohlstandsdenken zu verabschieden?

Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird eine Neubesinnung weg von materiellem Wohlstand, hin zum Beständigen stattfinden. Der Blick richtet sich vielmehr auf die qualitativen, also lebenswerten Aspekte des Lebens. Und das heißt: Wohlfühlen, Wohlbefinden, Wohlergehen. Es geht um das Wesentliche des Lebens. Das kann auch bedeuten, weniger Güter zu besitzen und doch besser zu leben. Insofern ist Ihre Frage berechtigt: Die Deutschen müssen sich teilweise vom materiellen Wohlstandsdenken verabschieden – werden aber nicht unglücklicher. Statt „immer mehr“ heißt es jetzt: Gut leben statt viel haben!

In Ihrem nächsten Buch schreiben Sie über das Ende der Ich-linge und von einem neuen Wir-Gefühl. Was kann man sich darunter konkret vorstellen?

Gier, Missmanagement und fehlende Verantwortung haben dazu geführt, dass die wichtigste Währung für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft verloren zu gehen drohte: das Vertrauen. Doch im gleichen Maße, wie das Vertrauen in die Finanzmärkte, die Wirtschaft und die Politik gesunken ist, wächst es im mitmenschlichen Bereich. Auf die Frage, ob man Menschen vertrauen könne, antwortete bei einer aktuellen Umfrage der Stiftung für Zukunftsfragen in Deutschland mehr als jeder Zweite mit Ja. Im Jahr 2000 sagten dies nur 36 Prozent. Quer durch alle Bevölkerungsgruppen nimmt auch die gegenseitige Hilfsbereitschaft zu.

Das bedeutet, die Menschen helfen sich in schwierigen Zeiten eher gegenseitig, statt die Probleme dem Staat zu überlassen?

Ja, die politische Kultur verändert sich. Die Menschen wollen mithelfen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Die „Generation V“ ist eine Generation, in der die drei V – Vertrauen, Verantwortung und Verlässlichkeit – der soziale Kitt sind, der die Gesellschaft und die Welt in Zukunft zusammenhält. Die Menschen suchen wieder mehr Beständigkeit als Beliebigkeit. Das werde ich in dem neuen Buch "Wir!" detailliert nachweisen.

Wann wird sich denn dieser Wandel der Wertvorstellungen bemerkbar machen?

Der Wertewandel vollzieht sich allmählich, indem die jüngere Generation einer Gesellschaft die ältere Generation Zug um Zug ablöst. Eine Generation, die unter veränderten gesellschaftlichen Lebensbedingungen aufwächst, gelangt zwangsläufig zu anderen Erfahrungen und Gewohnheiten. Damit verändern sich auch die Einstellungen zu Arbeit und Leben, zu Partnerschaft, Familie und Freundeskreis. Somit kann man die beschriebenen Entwicklungen zwar durchaus heute schon beobachten, aber noch nicht von einem vollzogenen Wertewandel sprechen. Unsichere Zeiten und eine fortgesetzte Krisenwirklichkeit stellen häufig den Auslöser für einen nachhaltigen Einstellungs- und Wertewandel in Deutschland dar.

Sie sagen eine Aufwertung von Familie und Kindern voraus. Im Moment scheinen wir davon noch weit entfernt.

Was heißt schon „im Moment“ für einen Zukunftsforscher? Mich interessiert doch in erster Linie das, was sich in Zukunft verändert. So gesehen wird die Familie kein Auslaufmodell sein, sondern wieder das Wichtigste im Leben werden – auch und gerade für die junge Generation. Ich prognostiziere einen „zweiten demographischen Wandel“ – also demographische Veränderungen – und eine zweite Generation von Babyboomern in spätestens 20 Jahren. Die heute 15- bis 20-Jährigen werden dann als Mitt- und Enddreißiger mehr an eigenen Kindern als an einer weiteren Steigerung ihres Konsums und Lebensstandards interessiert sein. (pro)

Das komplette Interview mit Professor Horst Opaschowski finden Sie in der neuen Ausgabe des christlichen Medienmagazins pro. Diese erhalten Sie kostenlos unter info@pro-medienmagazin.de oder telefonisch unter 06441-915151.

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