„Wir werden mehr gebraucht, als wir selbst ahnen“

Die kirchliche Publizistik muss zum einen gründlich informieren, zum anderen aber auch Wertorientierung geben. Diese Meinung vertritt Karl Kardinal Lehmann in einem Beitrag in der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt", die am Donnerstag erscheint. Der katholische Journalist und Politikwissenschaftler Andreas Püttmann wünscht sich in derselben Ausgabe mehr Dialog in der katholischen Publizistik.
Von PRO

"Was ich von Journalisten erwarte" lautet die Überschrift des Beitrages von Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz und ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in "Christ und Welt". An erster Stelle nennt der Theologe "gründliche Information" und fügt hinzu: "Dies ist keineswegs selbstverständlich." Lehmann wünscht sich von kirchlichen Journalisten weiter: "Sachlich und fachlich unbestechliche Arbeit zu leisten, auf Tatsachenverzerrung jeglicher Art zu verzichten, ebenso auf Diffamierung und einseitig Sensationelles, erst recht auf alle Formen von Meinungsmanipulation".

Des Weiteren ruft er kirchliche Publizisten zum Mut auf, die eigenen Überzeugungen zu bekennen und Wertorientierung zu liefern. In einer Zeit der "Überinformiertheit" bräuchten die Menschen eine Orientierung, so Lehmann. Die medial vermittelte Wirklichkeit löse sich meist auf in "zahlreiche Spiegelungen" und Meinungen und werd am Ende "undurchsichtig". Daher appelliert Lehmann: "Umso dringlicher bedarf es der Meinungsfreiheit, eines gesellschaftlich-geistigen Pluralismus und eines grundlegenden publizistischen Ethos, damit wahre Freiheit ermöglicht wird."

Lehmann ist der Meinung, es sei notwendig, inmitten des vielgestaltigen Pluralismus "den eigenen Ort des Glaubens und des Bekenntnisses klar zu markieren, ohne damit in irgendeine Form des Fundamentalismus oder Fanatismus abzustürzen". Lehmann fordert "Mut zur geistigen Orientierung und Führung aus der Entschiedenheit des Glaubens". Denn die Menschen suchten "bei der Individualisierung unserer Lebensüberzeugungen, beim Pluralismus der Wertorientierungen, bei der Abschottung unserer Lebensbereiche und den vielen Spezialisierungen immer stärker nach ganz elementaren Orientierungen. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was kann ich hoffen?" Lehmann ist sich sicher: "Wir werden mehr gebraucht, als wir selbst ahnen." Er fügt hinzu: "Wo so viel Desorientierung herrscht, verlangen viele Menschen nach einer geistigen Heimat, nicht weil sie geistig schwach wären, sondern weil wir alle überinformiert sind und uns allein darum kaum mehr auskennen."

Gegen das "Schlagzeilenbedürfnis" angehen

Weiter solle kirchliche Publizistik "um mehr Verständnis werben", dem Trend der Simplifizierung entgegenwirken, und dem "Schlagzeilenbedürfnis" entgegen nicht mehr Opfer bringen, als unbedingt gefordert ist. Und schließlich: "Mut, Sachverhalte in ihrer Komplexität und gegebenenfalls auch in ihrer ethischen Ambivalenz darzustellen."

Des Weiteren ruft Lehmann zu Integrationsfähigkeit der Kirche auf. "Das Christentum wäre bereits in den ersten Jahrzehnten abgestorben, wenn es nicht diesen ungeheueren Mut gehabt hätte, in ganz neue Sprach- und Kulturräume hineinzugehen."

Darüber hinaus erinnert Lehmann an die "missionarische Dimension des Glaubens": "Wenn das Zeugnis des Glaubens aus dem Bekenntnis kommt, dann wird man immer bemüht sein müssen, es möglichst so zu sprechen und sich möglichst so zu geben, dass es jenseits unserer Kirchenmauern verständlich werden kann." Weiter schreibt Lehmann: "Eigentlich darf es keine Predigt geben, ohne auf die zu achten, die jetzt nicht auf den Bänken sitzen, aber plötzlich hereinkommen könnten."

Wer Dialog pflegt, kann nur profitieren

Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler, Journalist und katholischer Publizist, plädiert in seinem Beitrag für "mehr Durchlässigkeit und Großzügigkeit auf dem Forum katholischen Geistes", sprich: für mehr Dialog innerhalb der Katholischen Kirche.

Püttmann ist überzeugt: "Das ausgeprägte Freund- Feind-Denken und die Selbstgerechtigkeit beider ‚Lager‘ schädigen Dialogfähigkeit und Erkenntnisfortschritt." In kircheneigenen Medien kämen eigentlich alle zu Wort: "Bischöfe und Theologieprofessoren, Priester und Laien, Gremien- und Vereinsvertreter, Frauen und Männer, Konservative und Progressive". Dennoch werde häufig ein Dialogmangel beklagt, etwa beim Thema Zölibat.

Püttmann erkennt einen Mangel an Austausch von Positionen in der deutschen katholischen Publizistik. Einen Grund sieht er in der Bequemlichkeit: "Man sucht und findet in seinem katholischen Blatt, in seinem Sender und auf seinem Kongress am liebsten seine eigene Meinung wieder – nur vielleicht schöner gesagt, intelligenter begründet und prominenter repräsentiert. Man vermeidet kognitive Dissonanz – also Irritation durch zum eigenen Standpunkt konträre Informationen, Argumente, Eindrücke –, denn kognitive Dissonanz ist anstrengend, geht auf die Nerven, stört die Harmonie, raubt Zeit, weil sie zum Nachdenken zwingt."

Manchmal werde aber auch "der eine Publizist gegen die Widerrede eines anderen abgeschirmt mit der Begründung, da dürften sich doch ’nicht zwei katholische Autoren gegenseitig verkloppen’". Folglich suche man die in der Qualitätspresse übliche Rubrik "Pro und Contra" oder das Genre der Replik im konservativ-katholischen Meinungsjournalismus oft vergeblich, bemängelt Püttmann. "Man pflegt die Fiktion einer Einheitsmeinung des eigenen Lagers selbst in diskutablen Fragen zweiter und dritter Ordnung." Wer aufbegehre gegen das Prinzip der "gelenkten Öffentlichkeit", werde schnell ermahnt: "Du triffst die falschen Freund-Feind-Entscheidungen!", heißes es dann, oder "Pass auf, dass du nicht irgendwann ziemlich einsam dastehst."

Dabei schädigten derartiges "Freund-Feind-Denken" und die "Selbstgerechtigkeit beider Lager" die Dialogfähigkeit und den Erkenntnisfortschritt. "Derartige Vorstellungen, was wer sagen darf und was nicht, können selbst einen Konservativen, der aber ein Liebhaber von Geistesfreiheit und vernünftiger Disputation ist, auf Dauer in die Emigration treiben", so Püttmann. Er fügt hinzu: "’Prüfet alles, das Gute behaltet‘ ist uns aufgetragen. Da steht nicht: ‚Prüfet alles, und was euch ins Konzept passt, behaltet.’" (pro)

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