Die CDU-Fraktion im Hessischen Landtag hatte zu einer Podiumsdiskussion zur Frage, ob die islamische Paralleljustiz in Deutschland eine Gefahr für die Rechtspflege sei, nach Wiesbaden eingeladen. Es diskutierten vor rund 250 Zuhörern in der Wiesbadener Casino-Gesellschaft Wolfgang Bosbach, die Rechtsanwältin Seyran Ateş, der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban, der Journalist Joachim Wagner und die Fernsehreporterin Düzen Tekkal.
Bosbach betonte, dass bis in die Mitte der 90er Jahre bei der deutschen Rechtsprechung zur Genitalverstümmelung die Wertvorstellung des Heimatlandes des Angeklagten ausschlaggebend gewesen sei. Doch dann sei die Gesetzgebung dahingehend geändert worden, dass stattdessen die Wertvorstellung unseres Kulturkreises wichtig seien. „Das halte ich für vollkommen richtig“, so Bosbach, und zur Praxis der Beschneidung von Frauen fügte er hinzu: „Es handelt sich um Körperverletzung. Ende.“
Bosbach erklärte angesichts der Probleme um Ehen, die zwar nach traditionellem islamischem Recht, nicht aber nach deutschem Recht geschlossen wurden: „Die Frauen, die nicht auch eine staatliche Ehe eingegangen sind, gelten als alleinstehend für den Staat. Sie bekommen, wenn sie bedürftig sind, Arbeitslosengeld II. Der Gatte ist mangels Eheschließung nicht zur Unterhaltszahlung verpflichtet.“ Bosbach sagte, dass der Gesetzgeber 2009 den Vorrang der staatlichen Ehe vor der kirchlichen Ehe aufgehoben habe. Dies sei ein Fehler gewesen, wie sich jetzt zeige. „Wenn sich herausstellen sollte, dass das die Mehrehe erleichtert, dann sollte der Bundestag den Mumm haben, den Irrtum anzuerkennen!“ Er gab zu, dass die Politiker zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung nur an die großen christlichen Kirchen gedacht hätten, nicht aber an die Muslime im Land.
Er stehe für Religionsfreiheit ein, aber: „Wir sollten nicht an der falschen Stelle tolerant sein. Wenn aus einer religiösen Kultur heraus Entscheidungen getroffen werden, die der Verfassung widersprechen, dann sollten wir an dieser Stelle nicht tolerant sein, weil sonst Menschen benachteiligt werden“, sagte Bosbach. Die Gefahr sei bei diesem Thema immer groß, dass man in die rechte Ecke gestellt werde. „Ich kenne kein zweites Gebiet, das so vermint ist. Auch wenn alle Daten und Fakten stimmen, wird man angegriffen. Dabei geht es nicht um die Frage, welche Religion die bessere ist, sondern ob wir zu unseren Werten stehen und ob wir bereit sind, sie zu verteidigen.“
„Was wird in den Moscheen gepredigt?“
Seyran Ateş, türkische Frauenrechtlerin und Rechtsanwältin in Berlin, betonte, dass es islamische Paralleljustiz nicht nur in Berlin gebe, sondern in allen Teilen Deutschlands. Es handele sich um „eine Welt außerhalb des deutschen Familienrechts, in der Frauen aus religiösen Gründen in Ehen gezwungen werden“. Wenn es bei den nicht staatlich geschlossenen Ehen zu Problemen komme, etwa zur Scheidung, dann könnte vor allem den Frauen das deutsche Recht von Nutzen sein. Da die Ehen aber nie rechtlich anerkannt wurden, griffen keine deutschen Gesetze. „Auch das Problem der Viel-Ehe nimmt zu“, so Ateş. „Dabei berufen sich muslimische Männer auf das islamische Recht, vier Ehefrauen haben zu dürfen.“ Es sei zu beobachten, dass immer mehr jungen Muslime Gefallen an der islamischen Eheschließung auf deutschem Boden fänden. Ateş appellierte: „Hier sind die muslimischen Verbände in Deutschland gefragt! Sie müssen die Frage beantworten: Wieso gibt es Imame, die bereit sind, Minderjährige zu vermählen?“ Wie die anderen Diskussionsteilnehmer auch bedauerte die türkischstämmige Anwältin, dass kein Vertreter der „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“ (DITIB) der Einladung der hessischen CDU gefolgt war, an der Diskussion teilzunehmen. Wie der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, Christean Wagner, mitteilte, lehnte die DITIB die Einladung mit der Begründung ab, es handele sich angesichts der Gäste-Auswahl offenbar um eine „einseitige“ Veranstaltung.
Auf die Aussage Wolfgang Bosbachs, er habe keine Sorge deswegen, dass zu viele Muslime in die Moschee gehen, wohl aber deswegen, dass zu wenig Menschen in die Kirche gehen, erwiderte Ateş: „Ich habe sehr wohl Sorge, wenn immer mehr Menschen in die Moschee gehen. Es stellt sich die Frage: Was passiert dort?“ Sie selbst sei gläubige Muslima: „Allah weiß das, auch wenn die Verbände das nicht akzeptieren.“ Sie fügte hinzu: „Die schleichende Islamisierung, die auch in der Türkei zu beobachten ist, und wenn es immer mehr Imame gibt, die den Islam nicht als etwas Integrierendes predigen, sondern das Gegenteil, dann macht mir das Sorgen. Zunehmende Moschee-Besuche spalten unsere Gesellschaft.“
„Schlichter urteilen fast immer frauenfeindlich“
Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban sagte, das Problem der Paralleljustiz gebe es überall in Europa, auch in Frankreich. Dort gebe es nun allerdings neue Gesetze: Migranten werde eindeutig gesagt, dass sie nur eine Frau in Frankreich haben dürften. „Offensichtlich ist das keine Verletzung des internationalen Rechts“, stellte Ghadban fest. Ghadban ist ein aus dem Libanon stammender Christ und arbeitet als Dozent an der Evangelischen Fachhochschule Berlin. Er sprach ein weiteres Problem der „Imam-Ehe“ an: „Oft werden Minderjährigen verheiratet, die Mädchen sind zwischen 14 und 16 Jahre alt. Das ist nach deutschen Recht überhaupt nicht möglich, aber vor dem Imam schon.“ Diese Probleme seien zwar schon seit den 80er Jahren bekannt, doch sie würden erst jetzt öffentlich bekannt, weil nun auch Straffälligkeiten hinzu gekommen seien.
Auch der Journalist und Autor des Buches „Richter ohne Gesetz. Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat“ (2011), Joachim Wagner, sprach das Problem der Verheiratung von Kindern an. „Frauen dürfen in Deutschland erst ab 16 Jahren heiraten, Männer mit 18. Doch im Islam dürfen sie mit 14 oder 15. Hier wird das Familienrecht unterwandert.“ Auch die islamische Viel-Ehe sei im Zivilrecht und auch strafrechtlich verboten. „Die Kinder sind dann unehelich geboren. Also ist alles das, was unser modernes Familienrecht eigentlich an Schutz bietet, dort nicht gegeben.“
Wagner erklärte weiter, in Konfliktfällen, etwa bei häuslicher Gewalt in muslimischen Ehen, träten so genannte Schlichter in Aktion. Dahinter stehe eine Jahrtausende alte Tradition, die aus dem Iran stamme. „Diese Imame sind alles Männer. Sie schlichten immer männerfreundlich und frauenfeindlich“, sagte Wagner. „70 bis 80 Prozent aller Ehe-Streitigkeiten mit häuslicher Gewalt werden zunächst von diesen Imamen gelöst. Das geht oft einher mit Drohungen und häuslicher Gewalt.“
Wagner sieht den Kern des Problems in einer misslungenen Integration der muslimischen Zuwanderer. Das zeige sich besonders in den Bundesländern Berlin, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. „Dort haben sich Großfamilien niedergelassen. Je besser die Integration gelingt, desto weniger wird es zu solchen informellen Regelungsmechanismen kommen.“ (pro)