Es vergeht fast keine Woche, in der nicht einer meiner Ex-Kollegen über seinen Job, seinen Arbeitgeber und seine Zukunftsaussichten klagt. Viele Journalisten sprechen uns als Personalberatung an, ob wir nicht interessante Stellen als Pressesprecher, Kommunikationschefs oder Lobbyisten im Angebot hätten. Andere Personalberatungen machen ähnliche Erfahrungen.
Die Zukunftsaussichten der Journalisten sind düster. Sie wissen, dass die Auflagenzahlen vom eigenen Verlag geschönt werden. Sie bekommen mit, wenn frei werdende Stellen einfach nicht mehr besetzt werden. Sie müssen mehr arbeiten, wenn Sonderbeilagen, zusätzliche Sendungen oder die Online-Ausgabe mit Inhalten bestückt werden, aber dafür nicht mehr Personal zur Verfügung steht. Viele Verlage bauen Stellen ab, auch in den Redaktionen. Das sind in der Regel keine Massenentlassungen; der Deutschen Journalisten-Verband (DJV) spricht von einem „schleichenden Prozess“. Sogar der bisherige Hort der beruflichen Glückseligkeit, der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk, muss Stellen streichen: Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) schlägt vor, dass die ARD in der Gebührenperiode 2013 bis 2016 beim Personal 42 Millionen Euro einsparen soll, das ZDF sogar 75 Millionen. Beim ZDF gibt es daher jetzt schon einen Einstellungsstopp und Stellenabbau.
Da erscheint vielen Journalisten ein Wechsel in deutlich besser vergütete Kommunikationsjobs in Wirtschaft und Verwaltung attraktiver. Allein die Bundesregierung hat in den vergangenen beiden Jahren gut ein Dutzend Redakteure aus Medienhäusern abgeworben.
Gefährliche Entwicklung
Eine immer geringer werdende Zahl berichtender Journalisten steht immer stärker ausgebauten PR-Abteilungen sowie zahlreichen PR-Agenturen gegenüber: eine gefährliche Entwicklung für unsere Demokratie. Wenn ein Ungleichgewicht zwischen interessengeleiteter Eigen-PR und neutralen kritischen Berichterstattern entsteht, dann schadet das uns allen. Ob Skandale in der Politik, ob Pfusch in der Nahrungsmittelbranche, ob Missbrauchsfälle in Kinder- und Jugendeinrichtungen – überall sind es Medien, die solche Verfehlungen aufdecken oder bekannt und transparent machen und damit dafür sorgen, dass so etwas künftig seltener vorkommt.
Doch solche Berichte sind nur möglich, wenn es ausreichend gut ausgebildete Redakteure gibt, die die Fähigkeit und die Zeit haben, entsprechende Recherchen anzustellen. Wenn die Medienhäuser weiter Personal in den Redaktionen abbauen, werden solche Enthüllungen irgendwann unmöglich. Die Überwachungsfunktion der Medien nimmt ab.
Dabei nützt es nichts, die Medienhäuser für den Stellenabbau anzuprangern. Sie vollziehen eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Informationsbeschaffung und -vermittlung ist teuer. Und wenn wir alle nicht bereit sind, den Preis dafür zu zahlen, genauso wie für Nahrung, Energie, unser Auto oder unseren Urlaub, dann wird uns die bedeutsame „Ware“ Information irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen. Wer seine Lokalzeitung abbestellt, weil er sich über einen Artikel geärgert hat, kann das tun. Aber es besteht die Gefahr, dass es irgendwann keine Lokalzeitung mehr gibt – vielleicht zur Freude der Regierenden, aber zu Lasten der Regierten. Wer glaubt, statt einer Tageszeitung oder einer kostenpflichtigen App nur online kostenlos die neusten Meldungen lesen zu müssen, der wird vielleicht bald nicht mehr über Skandale in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft lesen. Aber nicht, weil es diese Skandale nicht gibt, sondern nur, weil keiner mehr darüber berichtet.
Thorsten Alsleben (39) ist Jurist und war neun Jahre lang wirtschaftspolitischer Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio. Heute ist er Hauptstadt-Repräsentant der Unternehmens- und Personalberatung Kienbaum. Der Kommentar ist in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro erschienen, die kostenlos unter 06441/915 151 oder unter info@pro-medienmagazin.de bestellt werden kann.