Fußball als Religion: Public Viewing auf der Cristo-Redentor-Statue in Rio de Janeiro
Der Titanic-Satiriker Tom Hintner empört sich, lacht aber trotzdem: „Die Kirche ist der Teufel persönlich!“ Sie sei gegen Frauen und Homosexuelle, ungehorsame Menschen würden für böse erklärt. Hintner kommt aus einem katholisch geprägten Dorf in Franken. Mit „die Kirche“ meint er deshalb vor allem die katholische. Jetzt sitzt er in der Grafikabteilung der Titanic-Redaktion in Frankfurt und erinnert sich an seine Erfahrungen mit Christen. „Da galt man ja als besessen, wenn man sonntags nicht in die Kirche gegangen ist“, sagt er. Hintner schüttelt ungläubig grinsend den Kopf. Der Kirche gehe es vor allem „um Macht und Geld“, nicht um Glauben. Hier, in der Titanic-Zentrale, fühlt man sich als Underdog, als Dorn im Fleisch der Mächtigen, die den Hohn verdient haben. Freundlich, intellektuell, tendenziell links und kirchenkritisch sind sie, die Titanic-Mitarbeiter. Die Stimmung ist heiter. Tom Hintner lädt den Gast zum Bier, um drei Uhr nachmittags. Sein Kollege Stephan Rürup konnte ihn mal wieder nicht davon abhalten.
Rürup ist Cartoonist. Er hatte die Idee für das umstrittene Titanic-Titelbild vom April 2010, das einen katholischen Geistlichen in zweideutiger Pose vor einem am Kreuz hängenden Jesus zeigt, dessen Kopf rot angelaufen ist: „Kirche heute“.
„Wir besudeln nicht das Kreuz“
Christen protestierten – ohne Erfolg. Bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt gingen zwar 18 Klagen wegen „Volksverhetzung“ und der „Beschimpfung von Bekenntnissen“ ein, ein Strafverfahren wurde aber nicht eingeleitet. Das Titelbild bewege sich im Rahmen der Meinungsfreiheit. Diese Einschätzung teilte auch der Presserat und verzichtete auf eine Rüge. Zwar sollen laut Pressekodex „religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen“ nicht geschmäht werden. Allerdings würden hier keine Überzeugungen, sondern eine Institution verhöhnt. Viele Christen sahen das offenbar anders. 198 Beschwerden waren beim Presserat eingegangen. Einige empörte Anrufe zeichneten die Titanic-Redakteure auf und veröffentlichten sie auf YouTube.Rürup kann die Aufregung der Christen nicht nachvollziehen. Viele hätten das Cover schlicht nicht verstanden. „Uns wurde vorgeworfen, wir würden das Kreuz besudeln“, sagt der Karikaturist mit dem vierzopfigen Bart. Auf dem umstrittenen Cover vergehe sich ein Priester an einem „hilflosen, ans Kreuz geschlagenen Wesen“. Im Fokus der Kritik stünden Geistliche, die schutzlose Kinder sexuell missbrauchten: „Kirche heute“ – nach Ansicht der Titanic. „Wer so etwas tut, der besudelt das Kreuz, nicht wir“, sagt Rürup. Wütende Briefe hätten die Redaktion erreicht, einige davon hängen zur allgemeinen Belustigung am Schwarzen Brett im Flur. „Einer wünschte sich, dass die ganze Redaktion mit Gülle vollgepumpt wird – mit uns drin natürlich“, sagt Rürup.
Und die Muslime?
Die Titanic hat mittlerweile Erfahrung mit religionskritischen Inhalten, die meist gegen die Sexualmoral der katholischen Kirche schießen. Im Juli 2012 veröffentlichte das Blatt ein Foto von Papst Benedikt mit einer gelb befleckten Soutane und verkündete: „Halleluja im Vatikan: Die undichte Stelle ist gefunden“. Damit spielten die Satiriker auf die Vatileaks-Affäre an, bei der vertrauliche Dokumente des Vatikans an die Öffentlichkeit gelangten – und auf einen angeblich inkontinenten Papst, der die Lage nicht mehr unter Kontrolle habe. Der fühlte sich in seiner Würde verletzt, erhob Klage – und nahm sie überraschend zurück. Im März 2013 titelte das Spottblatt „Endlich Sex!“ und zeigte Benedikt mit seinem Privatsekretär, Georg Gänswein. Immer führten die Bilder zu einer enormen Medienpräsenz. Und zu erbosten Briefen von Christen. Die meisten klagten, wehrlose Christen könne man ja verspotten, aber mit Muslimen würde man sich so etwas nicht trauen. Doch das stimmt nicht. Von großem Medien-Buhei begleitet titelte das Magazin im Oktober 2012: „Auch das noch: Bettina Wulff dreht Mohammed-Film!“ Zu sehen war die ehemalige First Lady, die von einem Araber angefasst wird. Doch der große Protest von Muslimen blieb aus. Ebenso wie bei einem geplanten „Mohammed-Ähnlichkeitswettbewerb“, der dann vom Gastgeber, dem Museum für komische Kunst Caricatura, wegen Sicherheitsbedenken abgesagt wurde.
„Die haben nicht mehr alle Kerzen auf dem Christbaum“
Trotz der Proteste von Christen habe die Kirche den Spott verdient, findet der Karikaturist Rürup. Eigentlich hat er nichts gegen den Glauben. Den Einsatz für Nächstenliebe und soziale Strukturen findet er gut. Der christliche Glaube stehe doch für Werte, „die über das Materielle hinausgehen“. Er selbst ist Mitglied der evangelischen Kirche, auch wenn er seine zwei Töchter „frei“ aufwachsen lassen wolle. Papst Franziskus sei eher nicht das Ziel des Spottes, der wolle nämlich neue Werte. Und einfach seinen Glauben leben. „Da hegt man schon Sympathien“, kommt es Rürup über die Lippen.
Dennoch stehe die katholische Kirche für „Macht und Unterdrückung“, zum Beispiel bei der Rolle der Frau. „Die sollten die Sache mit der Rippe in den nächsten Jahrhunderten mal überdenken“, sagt der Karikaturist. „Die haben nicht mehr alle Kerzen auf dem Christbaum.“
Vom frommen Siegerland zum Satire-Magazin
Einen Raum weiter hängt auf der einen Seite eine AC/DC-Fahne, auf der anderen steht eine Kerze mit der Aufschrift „Kath. Pfarrgemeinde St. Aegidien Heilbad Heiligenstadt“. Mark-Stefan Tietze, bei der Titanic für die „Briefe an die Leser“ zuständig, hat sie aus der Kirche. „Ich fand die Idee einfach nett, dass man was spendet und dafür eine Kerze bekommt“, sagt Tietze lachend. Tietze lacht eigentlich die ganze Zeit, egal, ob das Thema ernst oder lustig ist. An seinem linken Ohr blitzen zwei silberne Ohrringe, er trägt ein knall-orangefarbenes Tuch zur schwarzen Lederjacke. Tietze zieht das Teelicht am Docht nach oben. Ein bisschen enttäuscht war er schon. Nur das obere Viertel der Kerze ist mit Paraffin gefüllt, der Rest ist Luft. Zu viel versprochen.
Tietze kommt aus dem frommen Siegerland, wo es viele Freikirchen gibt, er kennt den Stallgeruch. „Die größte Karnevalsveranstaltung in Siegen war immer die Anti-Karnevalsveranstaltung der Freikirchen in der Siegerlandhalle“, erinnert er sich. Manche seiner Verwandten seien in freikirchlichen Gemeinden aktiv. Beim Abitreffen schätze er die offene Diskussionskultur seiner ehemaligen Mitschüler, von denen einige kirchlich engagiert seien. Cousinen von ihm hätten sogar in christlichen Bands gespielt. Als er konfirmiert wurde, habe er das als bewusste Entscheidung erlebt. „In der Woche darauf wollte ich dann zum Abendmahl gehen.“ Daraus wurde aber nichts, vielleicht weil er lieber mit seinen Konfirmationsgeschenken spielte. Später habe er sich gefragt, ob er es damals mit dem Glauben wirklich ernst gemeint habe. Er wirkt nachdenklich. Tietze findet, Glaube müsse Satire aushalten. Wenn man wirklich glaube, könnten die Provokationen dem Glauben auch nichts anhaben.
„Wir wollen nicht, dass jemand weint“
Das sieht auch der Chefredakteur, Tim Wolff, so. Die, die sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt sähen, begriffen die Satire oft einfach nicht. Ob man sich dabei nicht oft intellektuell überlegen fühlt? „Klar.“ In der Tat wirkt Satire oft wie das letzte Mittel einer sich überlegen fühlenden Elite, die die Positionen ihrer Gegner einfach nicht mehr ernst nehmen kann. „Je einflussreicher und mächtiger, desto eher ist der Spott verdient. Wir sehen uns hier traditionell als das kleine Gegengewicht zu den großen Idioten dieser Welt.“ Wolff sitzt an seinem Schreibtisch. Sein Büro ist voll mit Artefakten aus dem Satire-Alltag. Neben ihm auf dem Boden liegt ein Teppich mit dem Antlitz Gaddafis, an der Wand hängt ein Foto von Tim Wolff als Stalin. Und eine Peitsche – „für meine Redakteure“.
Geschmacklos dürfe Satire ruhig sein, meint Wolff. „Wir nehmen in Kauf, dass Leute uns missverstehen.“ Aber natürlich habe Satire auch Grenzen, allein schon juristisch. Im Gegensatz zu TV-total-Moderator Stefan Raab wolle die Titanic sich nicht über Menschen lustig machen, die zufällig im Fernsehen gelandet sind. Da werde jemand Spott ausgesetzt, der damit überhaupt nicht umgehen kann. „Satire soll von unten nach oben zielen und nicht umgekehrt“, sagt Wolff.
Leichter gesagt als getan. Manche Christen vermuten die Starken wohl eher nicht auf den Kirchenbänken, sondern in der Frankfurter Titanic-Zentrale. Einmal habe man sich in der Rubrik „Briefe an die Leser“ über das schriftliche Zitat eines Absolventen einer Elite-Universtität lustig gemacht, das mit Rechtschreibfehlern übersät war, erzählt Wolff. Dann geschah etwas, das die Titanic nicht häufig erlebt. Zunächst beschwerten sich die Freunde des Betroffenen, dann rief der Elite-Absolvent selbst an – und brach in Tränen aus. Er sei Legastheniker, daher auch die Fehler. Um die berufliche Zukunft des Betroffenen nicht zu zerstören, nahm die Titanic den Beitrag von der Website.
Empörte Leserbriefe sei man ja gewöhnt, sagt Wolff. „Aber wenn jemand weint – das ist dann eine Reaktion, die man eigentlich nicht hervorrufen will.“ Der Titanic-Chefredakteur schiebt nach: „Wir wollen uns doch mit den Starken anlegen.“ (pro)
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