Wiedervereinigung – die Kirchen glaubten nicht daran
Die Kirchen spielten eine wichtige Rolle beim Fall der Mauer. Was viele nicht wissen: Die Wiedervereinigung war lange kein Thema. Idea-Leiter Helmut Matthies gab einen Einblick in ambivalente Kirchengeschichte im Kontext der Wiedervereinigung.
Von PRO
Foto: pro
Idea-Leiter Matthies beschreibt die Haltung der Kirche nach der Wiedervereinigung Deutschlands als zurückhaltend
Im Rahmen der Tagung „25 Jahre Friedliche Revolution“, die vom 11. bis zum 14. September im christlichen Gästezentrum Schönblick in Schwäbisch Gmünd stattfindet, rekonstruierte idea-Leiter Helmut Matthies in einem Referat die Grundhaltung der Kirchen zur Wiedervereinigung nach dem Mauerbau 1961. „Es gab keine einzige Institution in Deutschland, die so verbunden blieb wie die Kirchen. Jede Landeskirche, jeder Kirchenkreis und fast jede Gemeinde im Westen hatten eine Partnerkirche beziehungsweise -gemeinde im Osten“, sagte er und unterstrich die Bedeutung des Austausches und der Hilfe, die größtenteils von Kirchen im Westen in Richtung Osten geleistet wurde.
Teilung als Gericht Gottes
In den 40 Jahren der deutschen Teilung seien mehr als 4,5 Milliarden D-Mark an Kirchensteuern über die evangelischen Landeskirchen in den Osten geflossen. Viele Theologen hätten die Teilung Deutschlands allerdings als Gericht Gottes über die Schuld des deutschen Volkes und seiner Kirche im Dritten Reich angesehen. In West und Ost hätten sich Theologen vielfach nicht aktiv für die Wiedervereinigung eingesetzt, beklagte Matthies. Der Theologe Helmut Gollwitzer habe noch 1985 erklärt: „Wir sollten endlich aufhören, die deutsche Teilung zu beklagen, wir sollten uns damit abfinden.“
Nur wenige Theologen hätten nach dem Mauerbau noch offen von der Wiedervereinigung gesprochen, unter ihnen der Berliner Bischof Otto Dibelius. In seinen „Reden an eine gespaltene Stadt“ nach dem Mauerbau 1961 sagte er: „Es geht jetzt nach dem Mauerbau durch ganz Deutschland die Rede: Mit der Wiedervereinigung ist es nun aus – die kommt nie! Der das sagt, ist kein Christ, weil er seinem Gott nichts mehr zutraut […] Aber der, die Wiedervereinigung jeden Tag erbittet, um der anderen Menschen willen, darum, dass zusammengehören muss, was Gott zusammen geschaffen hat, und dass es nicht Gottes Wille sein kann, dass so viel Tränen um diese infame Sache vergossen werden, dass durch Deutschland ein Stacheldraht gezogen ist, der wird es anders erleben.“
Wiedervereinigung war ein Tabuwort
„Geradezu aggressiv“ seien nach Meinung von idea-Leiter Matthies einige Theologen geworden, sobald der Begriff Wiedervereinigung gefallen sei. Diese Theologen seien teilweise als rechtsradikal gebrandmarkt worden. „In den Kirchen war das Wort ‚Wiedervereinigung‘ geradezu ein Tabuwort“, sagte Matthies. „Zu einer Zeit, als Tausende DDR-Bürger über Ungarn in den Westen flohen und es in der ganzen DDR brodelte, sprachen sich führende Repräsentanten der evangelischen Kirche gegen die Wiedervereinigung aus“, erklärte der Journalist und Theologe Matthies.
So habe noch im September 1989 der stellvertretende Vorsitzende des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, Manfred Stolpe, gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel erklärt, die Wiedervereinigung sei „objektiv friedensgefährdend“. Der Synodale Friedrich Schorlemmer aus Wittenberg habe die Auffassung vertreten, dass es gut sei, wenn es zwei deutsche Staaten gebe. Anfang Oktober hatte das Magazin idea getitelt „Wiedervereinigung – was sonst?“ und zog damit Kritik des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten auf sich, der die Meinung vertrat, dies sei rechtsradikal. Zur gleichen Zeit sprachen sich jedoch 80 Prozent der Bürger in Ost und West in Umfragen für eine Wiedervereinigung aus und standen somit entgegen den offiziellen Verlautbarungen der Kirchenoberen.
Mauerfall versetzte EKD in Schockstarre
Während nach dem Fall der Mauer die Bürger gar nicht schnell genug hätten zueinander kommen können, sei nach Aussage von Matthies die EKD wochenlang wie gelähmt gewesen. Erst am 17. Januar 1990 erklärten westliche und östliche Kirchenleiter bei einem Treffen in der Evangelischen Akademie Loccum bei Hannover: „Wir wollen, dass die beiden deutschen Staaten zusammenwachsen.“
„Obwohl es keine Institution im noch geteilten Deutschland 1990 gab, die sich so problemlos hätte wiedervereinigen können wie die Kirche, dauerte es bei ihr am längsten. Sie hat eine gemeinsame Bibelübersetzung, gemeinsame Bekenntnisschriften, ein Gesangbuch, eine einheitliche Nachwuchsausbildung, weithin ähnliche Verfassungen – trotzdem war der Staat neun Monate schneller“, erklärte Matthies die zögerlichen Handlungen der Kirchen. „Die Evangelische Kirche in Deutschland vereinte sich erst im Juni 1991.“
In seinem Vortrag zog Matthies ein geteiltes Fazit: „Ohne den Zusammenhalt der Kirchen wäre die deutsche Einheit sehr viel mühsamer gewesen. Ein Lob also den Taten! Hätte der Herr der Geschichte freilich auf die Worte deutscher Bischöfe, Kirchenpräsidenten und Präsides gehört, gäbe es sie überhaupt nicht.“ (pro)
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