Wie viel Glaube braucht der Pfarrer?

Die Schweizer Pfarrerin Ella de Groot glaubt nicht an Gott und will am Sonntag im Hörfunk darüber sprechen. Für ihre Kirche scheint das kein Problem zu sein. In Deutschland würde ein solcher Fall wohl ein Lehrverfahren nach sich ziehen.

Von PRO

„Ella de Groot, evangelisch-reformierte Pfarrerin in Muri-Gümligen, glaubt nicht an Gott. Herkömmliche Gottesvorstellungen seien reine Einbildung, ist die gebürtige Holländerin überzeugt.” So steht es in einer Programmankündigung des Schweizer Radiosenders SRF. Am Sonntag will de Groot demnach öffentlich darüber sprechen, warum Geistliche den Menschen helfen können – auch ohne den Glauben an etwas Höheres.

Eine Pfarrerin, die öffentlich den Glauben an Gott verneint und dennoch im Amt bleibt – für viele ist das undenkbar. Auch in ihren Gottesdiensten in der Gemeinde in Muri-Gümligen predigt die Pfarrerin Relativierendes: „Mit einer Lehre der Erlösung und Versöhnung mit Gott durch einen Opfertod wird neuer Wein in alte Schläuche gegossen! So nicht, liebe Gemeinde, bitte so nicht! Blutige Sühneopfer gehören in die Religionsgeschichte, aber nicht zum Glauben der Gegenwart und der Zukunft”, sagte sie laut Predigtskript im Februar. Zu Karfreitag sprach sie über das Markusevangelium: „Als Mensch, der dem Leid nicht ausgewichen ist, wird Jesus ‚Sohn Gottes’ genannt. Es geht dem Evangelisten Markus nicht darum, Jesus zu Gott zu machen. Nein, Markus erzählt die Lebensgeschichte Jesu, die so ganz menschlich war, dass darin Gott zur Sprache gekommen ist.” Der Heilige Geist sei nichts anderes als die Kommunikation zwischen Menschen, erklärt sie an anderer Stelle, und: Der Verfasser der Schöpfungsgeschichte habe sich einen Gott „ausgedacht”, der mit Worten die Welt schaffe.

„Hamburger Kirchenrebell” verlor Amt

Was Ella de Groot predige, bewege sich im Rahmen dessen, was in der Landeskirche üblich sei, sagte Lucien Boder, Pfarrer und Synodalrat, der Berner Zeitung. Sie äußere Gedanken wir Dietrich Bonhoeffer oder Dorothee Sölle, das gehöre zu einer modernen Kirche. Doch wie würde die Evangelische Kirche in Deutschland einen solchen Fall handhaben? Hinweise darauf gibt die Geschichte des „Hamburger Kirchenrebellen” Paul Schulz.

Schulz war bis 1979 Pastor an der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi. Er verlor seine Stelle nach einem Lehrverfahren der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), weil er Medienberichten zufolge öffentlich erklärt hatte, er glaube weder an einen persönlichen Gott, noch an ein Jenseits. Sogar Bücher schrieb Schulz über sein Gottesbild. So erschien 2008 „Atheistischer Glaube – eine Lebensphilosophie ohne Gott”. 2010 drängte der mittlerweile über 70-Jährige auf Wiederaufnahme seines Verfahrens. Die VELKD entsprach seinem Wunsch damals nicht. Schulz habe keine neuen Tatsachen oder Beweise angeführt, die geeignet wären, eine andere Entscheidung zu begründen, argumentiert das Spruchkollegium laut dem Evangelischen Presse-Dienst (epd).

Atheismus ja – aber nicht von der Kanzel

In einem Artikel für die Plattform „evangelisch.de” fasst der Diplom-Theologe Ingo Schütz die kirchenrechtliche Situation in Deutschland so zusammen: „Für den persönlichen Glauben ihrer Geistlichen interessiert sich die Kirche in Wirklichkeit gar nicht. Sie legt aber Wert darauf, dass die Verkündigung mit der kirchlichen Grundbotschaft übereinstimmt.” So gesehen könne man als Pfarrer problemlos Atheist sein, solange man den Atheismus nicht von der Kanzel herab predige.

„Wir können den Menschen natürlich nicht in den Kopf gucken”, erklärte ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland am Freitag gegenüber pro. Pauschal sei die Frage, wer den Dienst quittieren müsse, nicht zu beantworten. Konkreter wird da das Pfarrdienstgesetz. Bereits im ersten Paragraphen verweist es auf die Aufgaben Ordinierter: „Die Kirche lebt vom Evangelium Jesu Christi, das in Wort und Sakrament zu bezeugen sie beauftragt ist.” Die Ausübung des Zeugendienstes sei Aufgabe der Geistlichen. „Pfarrerinnen und Pfarrer verletzen ihre Amtspflicht, wenn sie in ihrer Amts- oder Lebensführung innerhalb oder außerhalb des Dienstes schuldhaft gegen ihnen obliegende Pflichten verstoßen”, steht dort weiter. Im Falle einer Beanstandung der Lehre durch die Kirche komme es zu einem Verfahren. Soweit zumindest die offiziellen Regeln. „Einzelfälle sind aber zu prüfen”, schränkt die EKD auf Anfrage ein. (pro)

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