„Hallo, hier ist Carlo!“ Ein Blick auf das Handy: „Private Nummer“. Ich stand komplett auf dem Schlauch und fragte deshalb: „Wer ist da bitte?“ „Hier ist Carlo von Tiedemann!“
Nein, wie peinlich war das denn!
Seit einiger Zeit hatte ich versucht, mit dem Urgestein des Radios und Fernsehens Kontakt zu bekommen. Ich wollte ihn für ein Interview für das Christliche Medienmagazin PRO gewinnen.
In einem Zeitungsartikel zu seinem 80. Geburtstag am 20. Oktober 2023 war ich nämlich über diesen Satz gestolpert: „Geholfen hat ihm in dieser schwierigen Phase sein tiefer Glaube an Gott.“
Das war für mich neu. Carlo von Tiedemann war bis dahin für mich ein prägender Radio- und TV-Kollege, der „Kein Kind von Traurigkeit“ war und der in den 1980ern in einige Skandale verwickelt war. Alkohol, Kokain und Bordelle spielten da eine große Rolle. Seine Ehe ging in die Brüche. Er war spielsüchtig und hinterzog Steuern in einer Höhe, die in die Millionen ging. Aber von Tiedemann und der „liebe Gott“?
Das musste ich recherchieren – und ich würde fündig.
Carlo von Tiedemann: „Der liebe Gott hat mich von der Leine gelassen“
Schon zum 75. Geburtstag hatte er in der „Bild“-Zeitung davon erzählt, wie er die Reißleine gezogen und von einem Tag auf den anderen das exzessive Leben hinter sich gelassen hatte:
„Ich bin ein gläubiger Mensch und überzeugt: Das kam vom lieben Gott, der gesagt hat: Du warst genug unterwegs als Sauhund, als Dreckschwein, als professioneller Lügner und Betrüger – mach Schluss damit, sonst muss ich dich holen, sonst bist du tot. Das war 1989. Ich habe sofort mit Drogen und Alkohol aufgehört. Dass ich heute so gesund bin, ist ein Wunder.“
In seinem Haussender, dem NDR, blickte er auf seine wilden Zeiten zurück mit den Worten: „Ich behaupte einfach mal: Der liebe Gott hat mich von der Leine gelassen. Der wollte mal wissen: Wie ist dieser Typ eigentlich ohne mich? Und das ging gewaltig in die Hose.“
Mein Journalisten-Instinkt war geweckt. Ich wollte ihn unbedingt interviewen, eine Schüppe tiefer graben, als die Kollegen es bisher getan hatten.
Aber es war gar nicht so leicht, an ihn heranzukommen. Dank meiner Kontakte nach Hamburg kam ich über mehrere Ecken an die Mailadresse seiner Frau. Meine Nachricht war schon lange abgeschickt. Ohne Rückmeldung. Und jetzt, Anfang November 2023, hatte ich ihn persönlich am Handy!
Ich atmete einmal tief durch, stellte mich kurz vor und erklärte, dass ich gerne mit ihm ein Interview machen würde, in dem sein christlicher Glaube im Mittelpunkt stehen sollte.
Carlo – wir waren sofort beim kollegialen „Du“ – sagte spontan zu und wir plauderten noch ein bisschen übers Radiomachen. Kurzfristig war es schwierig, einen Termin zu finden. Wir wollten uns im Januar treffen. Leider wurde daraus nichts. Im Februar 2024 erfuhr durch die Medien, dass er wegen einer Infektion ins Krankenhaus gekommen war. Danach ging er in Reha, Ende April titele die BILD: „Kultmoderator Carlo von Tiedemann im Pflegeheim: ‚Pflege frisst mein Erspartes auf‘.“ Mir wurde klar, dass es wohl nichts werden würde mit dem Interview.
Am Pfingstsonntag kam dann die Nachricht, dass Carlo im Alter von 81 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben ist. „Jetzt ist es zu spät!“, war mein erster und sehr trauriger Gedanke – und der war nicht nur beruflicher Natur.
Der besondere Draht zum „lieben Gott“
Gerne hätte ich diesen lebenslustigen, unangepassten, gläubigen Menschen persönlich kennengelernt, hätte nachgefragt, was 1989 der Auslöser war, dass er sein Leben so radikal geändert hat und Gott (wieder?) mit ins Boot geholt hat; ich hätte gefragt, ob er sauer auf Gott war, als er 2021 die Diagnose Amyloidose, eine seltene Herzkrankheit, bekommen hat, obwohl er doch wie sein Vater 101 Jahre alte werden wollte; und ich hätte gern gewusst, welche Rolle Vergebung in seinem Leben gespielt hat.
Im Radio, TV und in den Illustrierten werden in den kommenden Wochen sicherlich noch einige Nachrufe zu lesen und zu hören sein. Familie, Weggefährten, Fans werden zu Wort kommen. Was wird in Erinnerung bleiben? Seine markante Stimme, seine dem Menschen zugewandte, herzliche Art, seine Gabe, andere zu unterhalten?
Vielleicht wäre es ja sogar in Carlos Sinne, wenn sich der ein oder die andere daran erinnern würde, dass er einen besonderen Draht zum „lieben Gott“ hatte. Denn diese Kraftquelle hat er immer wieder erwähnt.
Offen, ehrlich, mit Gottvertrauen. So werde ich Carlo in Erinnerung behalten!