Wie erziehen Eltern im Medienzeitalter?

Zwischen Verwahrlosung und Erziehungsperfektionismus: Wachsen Kinder in einer Konsum- und Mediengesellschaft auf, birgt Herausforderungen für Eltern. Wie sie diesen begegnen sollten, besprachen Experten am Montag auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin.

Von PRO

Eltern sehen sich und andere heute kritischer als je zuvor, sagte Marie-Luise Lewicki, Chefredakteurin der Zeitschrift „Eltern”, bei der Veranstaltung „Erziehung in der Wohlstandsgesellschaft – Aufwachsen mit Konsum und Medien”. Über die Frage, ob ein Kind gestillt werden müsse oder nicht, könnten in Webforen kriegsähnliche Auseinandersetzungen entstehen.

Eltern betrachteten Kinder aber auch als „verlängertes Ich”, wollten den Wünschen ihrer Kinder also entsprechen, um sich selbst und die perfekte Vorstellung eines Kinderlebens zu verwirklichen. Lewicki warb dafür, Kindern mehr Pflichten aufzuerlegen: Sie selbst habe als Mädchen den Keller putzen müssen. Ihren eigenen Sohn habe sie mit 12 Jahren seine Hemden selbst bügeln lassen. „Wir müssen unsere Kinder früher wieder auf eigene Füße stellen”, ist sie sich sicher. Eltern fühlten sich heute oft bis jenseits des 30. Geburtstags hinweg für ihre Kinder verpflichtet. Lewickis Meinung nach ist das ein Grund für die rückläufige Geburtenrate. „Wenn ich mit 27 noch bei meinen Eltern wohne, werde ich mit 28 sicher nicht Papi.”

Die Buchautorin Gerlinde Unverzagt erklärte: „Konsumverzicht ist eine erstrebenswerte Tugend.” Eltern müssten den vielfachen Wünschen ihrer Kinder nach Handys und anderen Dingen widerstehen. Kritisch ist sie auch gegenüber manchen modernen Erziehungsmethoden: „Ich halte von der Idee, dass Kinder Erziehungspartner sind, überhaupt nichts.” Das asymmetrische Verhältnis zwischen Kindern und Eltern müsse aufrecht erhalten werden. Weil es mehr Einzelkinder gebe, strebten Eltern zunehmend danach, aus diesen das Beste herauszuholen. Kinder würden so zum „lebenslangen Projekt”.

Ganz anders geht es in der Gesellschaftsschicht zu, mit der Bernd Siggelkow, Gründer des christlichen Kinderhilfswerks „Die Arche”, täglich zu tun hat. „Ich kenne hunderte von Eltern in Deutschland, die haben noch nie mit ihren Kindern zusammen ein Gesellschaftsspiel gespielt, die haben noch nie mit ihnen am Tisch gesessen und zusammen zu Abend gegessen.” Auch wenn diese Gruppe nur rund 15 Prozent der Gesellschaft ausmache: „Das ist die Welt, in der ich zu tun habe und das ist die Welt, die Schlagzeilen macht.”

Wenn die virtuelle Welt zur echten wird

Doch welche Auswirkungen haben speziell die neuen Medien auf Kinder und Eltern? Diese Frage versuchten Spieleentwickler, Kinderärzte und auch Lehrer zu beantworten. Der Hirnforscher Gerald Hüther erklärte, der Grund, warum Kinder heutzutage häufig Computer spielen, sei, dass sie im echten Leben keine Chance hätten, sich zu beweisen. Die Großfamilie sei für Kinder ein Erfahrungsraum gewesen, in dem sie Beziehungsleben erlernt hätten. Statt mit anderen Menschen gemeinsam etwas zu gestalten, klicke man sich heute in Facebook. Das schade langfristig der Gesellschaft.

Malte Behrmann, Generalsekretär der European Game Developer Federation, verteidigte die Spieleindustrie: „Unsere Kinder verbringen mehr Zeit vor Bildschirmen, weil wir, die Erwachsenen, auch mehr Zeit vor Bildschirmen verbringen.” Weiter sagte er: „Es ist sicher wichtig, dass Kinder im Garten spielen.” Notwendig sei es aber auch, dass Eltern nicht überreagierten und ihrem Nachwuchs die Möglichkeiten der modernen Welt vorenthielten. Die Sorge vor einem Kontrollverlust der Eltern im Angesicht moderner Medien ist für ihn eine immer wiederkehrende Fortschrittsangst der Gesellschaft. Früher sei eben der Plattenspieler verdammt worden. „Wir müssen über die Medien diskutieren, wir müssen aber auch unsere Ausbildungsstrukturen darauf abstimmen”, forderte er.

„Die Dosis macht das Gift”, sagte Jörg Fegert, ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Ulm. „Medienkonsum an sich ist nicht problematisch, sondern, wenn es keine Auseinandersetzung darüber gibt.” Spiele an sich hätten eher kein Potenzial, die Gesellschaft gewalttätiger zu machen. Bei ohnehin gewalttätigen Menschen zeigten sie aber ihre Wirkung und verstärkten deren Empfinden noch. Schockiert sei er davon, wenn Kinder geradezu von Medien erzogen würden, weil die Eltern sie allein lassen. Er selbst habe schon einen Suizidversuch bei einem Achtjährigen erlebt, der gedacht habe, er habe wie im Spiel mehrere Leben.

Joachim Kutschke, ehemaliger Lehrer aus Marburg, beobachtet, dass Eltern ihre Kinder schon in jungem Alter mit Computerspielen oder dem Fernsehen ruhig stellten. Viele junge Menschen zappten sich einfach durch das Programm und verlören so die Fähigkeit, Geschichten in Gänze zu erleben. Auch die Inhalte von Soap Operas haben einen Einfluss auf Kinder, ist er sich sicher. Fremde und attraktive Welten, die sie in den Medien erlebten, ersetzten zunehmend das wahre Leben. (pro)

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