„Wie ein Sommergewitter“

Die Diakonisse Rosemarie Götz hat allein in diesem Jahr 42 Iraner getauft, Glaubensflüchtlinge, denen in ihrer Heimat der Tod droht. In einer landeskirchlichen Gemeinschaft im Berliner Stadtteil Neukölln finden sie ein neues geistliches Zuhause.
Von PRO

pro: Ein Religionswechsel weg vom Islam ist im Iran illegal. Konvertiten droht die Todesstrafe. Wie haben die Iraner, die in ihr Haus kommen, den christlichen Glauben kennengelernt?

Schwester Rosemarie Götz: Sie sind im Iran zum Glauben gekommen, sind dort in geheime Hauskirchen eingeladen worden. Meistens waren sie zuvor unzufrieden mit dem Islam. Diese Gottesdienste werden von maximal zehn Leuten besucht. Ist er zu Ende müssen die Besucher einzeln und zeitversetzt das Haus verlassen, damit sie nicht auffallen. Diese Veranstaltungen sind pure Evangelisationen. Das geht so lange gut, bis ein Spitzel sie entdeckt und anzeigt. Im Iran kann niemand einem anderen trauen – fast wie in der DDR. Ehefrauen zeigen ihre Ehemänner an, Kinder ihre Eltern. Wird die Kirche entdeckt, hebt der Staat sie aus. Wenn die Konvertiten Glück haben, entkommen sie, wenn nicht, kommen sie ins Gefängnis. In der Regel bedeutet das für sie die Todesstrafe, es sei denn, sie werden schwach und schwören ihrem Glauben ab. Übrigens: Viele unserer Iraner kennen auch den nun im Iran freigelassenen Pastor Yousef Nadarkhani. Sie haben sich große Sorgen um ihn gemacht und tun es noch. Sie trauen dem Frieden nicht und glauben, er könne jederzeit auf offener Straße erschossen werden, schließlich kennt nun jeder sein Gesicht.

Wie gelingt eine Flucht?

Mich bewegt sehr, wie viel Geld diese Menschen ausgeben müssen, um in die Freiheit zu kommen. Das sind zwischen 10.000 und 25.000 Euro. In der Regel verlassen sie das Land mit Hilfe von Schleppern. Viele Christen im Iran bereiten ihre Flucht schon vor, bevor sie tatsächlich in Gefahr sind. Sollten sie entdeckt werden, muss es schnell gehen. Ich weiß von einigen, die weite Strecken zu Fuß zurücklegen mussten: Zum Beispiel kenne ich einen Iraner, der drei Tage lang zwischen der Türkei und Griechenland durch den Wald gerobbt ist. Einfach weil er nicht auf sicherem Gebiet war. In Griechenland und damit in der EU angekommen, konnte er sich dann zeigen. Manchmal verhelfen die muslimischen Eltern ihren konvertierten christlichen Kindern sogar zur Flucht – einfach aus Liebe. Hier angekommen, sind sie dann erst einmal erheblichen Einschränkungen unterworfen: Als geduldete Flüchtlinge dürfen sie nicht arbeiten, nicht studieren und die Stadt nicht verlassen. Sie leben zu dritt oder zu viert auf einem Zimmer. Das ist für sie schlimm, vor allem, wenn man bedenkt, dass viele von ihnen in ihrer Heimat wohlhabende Leute waren.

Wie finden diese Menschen den Weg in Ihre Gemeinde, das „Haus Gotteshilfe“ in Berlin?

Die iranischen Flüchtlinge sagen sich das untereinander weiter. Sie sind ja alle in Heimen untergebracht, in Asylheimen oder in Auffangheimen. Irgendwie finden sich die Christen dort. In unsere Gemeinde kam zunächst eine Frau, die schon länger in Deutschland lebte. Sie hat irgendwann andere Iraner mitgebracht, das war im vergangenen Jahr. Irgendwann kamen acht oder neun von ihnen regelmäßig und ich habe angefangen, ihnen Bibelunterricht zu geben. Von Mund zu Mund hat sich das weitergetragen. Mittlerweile kommen 30 bis 35 Iraner in unseren Gottesdienst. Das Besondere bei diesen Menschen ist, dass ihre Zuwendung zum Christentum zugleich die Absage an den Islam ist. Wir machen mit diesen Konvertiten vor der Taufe Glaubensunterricht und sprechen ein gemeinsames Übergabegebet. Die Anmeldung zur Taufe machen sie mir ihrer Unterschrift.

Wie hat sich ihre Gemeinde verändert, seit Sie iranische Konvertiten aufnehmen?

Wir bieten Sprach-, Bibel- und Glaubenskurse an. Aber es verändert eine Gemeinde auch geistlich, wenn man ständig von Menschen mit solchen Schicksalen umgeben ist. Wir sind herausgefordert, und wir müssen uns auch immer wieder fragen: Wie ernst nehmen wir eigentlich unser eigenes Christsein? Ich selbst beschäftige mich jetzt auch mehr mit der Frage: Was wäre, wenn es in Deutschland auch einmal Christenverfolgung geben sollte? Wäre ich auch bereit, ebenso zu leiden? Es macht mir in diesem Zusammenhang große Sorge, dass der Islam in Deutschland immer populärer wird und deutsche Politiker das kaum hinterfragen. Unser Land verändert sich spürbar. Ich wünsche mir, dass die Kirchen wieder stärker zu Jesus rufen, anstatt nur auf interreligiöse Harmonie zu setzen.

Sind bekehrte Iraner ernsthaftere Christen?

Natürlich. Wenn ein Iraner in seiner Heimat zum Glauben kommt, ist er sofort in Lebensgefahr. Wenn ein Deutscher in eine christliche Familie hineingeboren wird, dann ist das normal. Man muss auch unterscheiden: Iraner, die aus einer christlichen Familie kommen, werden normalerweise nicht verfolgt. Die Konversion vom Islam weg macht einen Christen im Iran todeswürdig. Übrigens hört der Terror für viele nicht mit dem Verlassen ihres Heimatlandes auf. Auch in den Heimen leben sie schließlich mit verschiedenen Nationalitäten und Religionen zusammen. Manch einer erscheint bei uns durchgeprügelt zum Gottesdienst.

Glauben sie nicht, manche der Iraner lassen sich nur taufen, um eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu bekommen? Ein christliches Bekenntnis erschwert schließlich die Abschiebung in den Iran…

Diese Iraner sind ja nur in Deutschland, weil sie Christen sind. Sie haben alles aufs Spiel gesetzt, um das Land zu verlassen. Viele von ihnen sind Unternehmer oder Ingenieure. Der Iran ist kein armes Land. Das alles würden sie nicht aufgeben, um in Deutschland in einem Vierer-Zimmer zu leben. Die christliche Bekehrung wird übrigens überprüft, so absurd das klingt. Auf den Ämtern werden ihnen Fragen zum Glauben gestellt: Was ist das Besondere an Jesus? Wo war er laut Bibel unterwegs? Welche Farben hat das Kirchenjahr? Ich habe manchmal den Eindruck, die Behörden verstünden sich als religiöse Gerichtsbarkeit, dabei sind die Menschen, die dort arbeiten, ja oft gar nicht gläubig. Es hat etwas von Mittelalter.

Wenn Sie heute in den Iran blicken: Was wünschen Sie sich für dieses Land?

Ich wünsche mir, dass Ahmadinedschad abgesetzt wird, ein christlicher Politiker sein Amt übernimmt und unsere Iraner zurück nach Hause können – als Missionare. Ich glaube, es gibt im Iran eine massive Erweckungsbewegung. Ich frage mich selbst, woher diese Flut von Bekehrungen kommt. Es ist wie ein Sommergewitter, das plötzlich über das Land hereingebrochen ist.

Schwester Rosemarie, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Anna Lutz.

Dieses Interview sowie eine Besprechung des Buchs „Dreams and Visions“ des Experten für die arabische Welt, Pastor Tom Doyle, gehören zur Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe 6/2012 des kostenlosen Christlichen Medienmagazins pro, die am 7. Dezember erschienen ist. Bestellen Sie pro unter Telefon 06441/915 151, per E-Mail an info@kep.de oder über das Online-Bestellformular auf dieser Seite. Das Christliche Medienmagazin pro erscheint sechs Mal jährlich und erreicht derzeit etwa 160.000 Leser.

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