Wie die Erziehung der Generation Internet gelingt

Was Eltern alles brauchen, um sich bei Themen wie Internet, Videospielen und sozialen Netzwerken nicht mehr als digitale Analphabeten zu fühlen, haben Tanja und Johnny Haeusler in ihrem neuen Buch "Netzgemüse" zusammengefasst. Darin wird deutlich, wieviel Erziehung Elternsache ist und wie Kinder und Eltern entspannt gemeinsam Medienkompetenz erwerben können.
Von PRO

Zu Beginn beschäftigt sich das Autoren-Ehepaar mit der Frage, warum für die Erwachsenen der Umgang mit den Computern oft so kompliziert und für die Kinder so selbstverständlich ist. Allen Eltern empfehlen Tanja und Johnny Haeusler, die selbst zwei Söhne im Alter von 10 und 13 Jahren haben, die eigene Verantwortung wahrzunehmen und den digitalen Lebensraum im Sinne der Kinder zu schützen. Manchmal sei es auch gut, die digitalen Bedürfnisse und Leidenschaften der Kinder zu teilen, etwa indem man gemeinsam mit ihnen einen Wikipedia-Beitrag schreibt.

Haeuslers geben Tipps und Ratschläge für die Begleitung von Kindern auf YouTube. Sie halten es für utopisch zu glauben, dass "wir ihnen YouTube vorenthalten können". Die aktive Teilnahme bei YouTube sei für die eigenen Söhne gut gewesen, weil sie es so gelernt hätten, Videos aufzunehmen, zu schneiden, hinzuzufügen und sie im Internet veröffentlichen. Dabei kämen sowohl dem Sender als auch dem Empfänger ein hohes Maß an Verantwortung zu.

Oft reicht das "Echtleben-Basiswissen"

In Bezug auf Facebook halten die Autoren die gezielte Einstellung der gesamten Privatsphäre für äußerst wichtig. Vor allem, weil das Facebook "grundsätzlich immer weiß, was ihre Nutzer auf Facebook tun und manchmal sogar, was sie woanders im Netz machen". Sie raten dazu, mit den Kindern über die Möglichkeiten von Sperr-, Melde- und Blockierverfahren zu reden. Sie bilanzieren: "Wer das Echtleben-Basiswissen beherrscht, der bringt auch gute Voraussetzungen mit, um gut und sicher auch durchs Online-Leben zu tapsen".

In Bezug auf (Cyber-) Mobbing müsse man den Kinder klarmachen, dass sie in jeder Situation ein Recht haben, sich zu wehren. Gerade weil es sich hierbei nicht um ein Kavaliersdelikt handele. Wenn notwendig, müsse man sich dabei auch professionelle Hilfe holen. Auch das Thema Pornographie behandelt das Buch. Die Wahrscheinlichkeit sei recht klein, dass die Jugendlichen per Zufall auf den Seiten landeten. Eltern sollten den Heranwachsenden vermitteln, dass Sexualität etwas mit Respekt zu tun habe und auch Spaß machen dürfe. Gerade in diesem Bereich drücken sie am deutlichsten ihre Bedenken aus.

Entmystifizierung des Spiel-Konsole

Zugleich soll das Buch zu einer "Entmystifizierung der Konsole" beitragen. Die elektronischen Spiele schafften es zum Beispiel, Kinder zu Höchstformen anzutreiben und sie zugleich zu glücklichen Menschen zu machen. Es sei richtig, dass Verbote zu Heimlichtuerei führten und "darum tut man sich selbst keinen Gefallen, wenn man seinen Kindern jede noch so abstrakte Schlacht in Spielen verbietet". Das richtige Rezept seien ein wenig Anleitung und Beistand "und dann viel Vertrauen". Dies habe zu Entwicklungen bei den eigenen Kindern geführt, von denen manche Lehrer und Schulen träumen können. Aus Sicht der Haeusler führe eine freiere Verfügbarkeit von Spiel-Konsole und dem Internetzugang zu weniger Streit und Entkrampfung zur Entmystifizierung: "Fehler machen glücklich und müssen sein dürfen."

Johnny Haeusler erzählt in einigen Anekdoten, wie der Medienkonsum der eigenen Kinder unverhofft zum Thema des Elternabends an der Schule wird. Sie selbst haben ihren Weg gefunden, weg von den Helikopter-Eltern, hin zu festgeschrieben Spielregeln mit grundsätzlichen Rahmenvereinbarungen. Sonst bleibe es bei Dauververhandlungen über pädagogische Fragen. Ihre Kinder hätten einen wöchentlichen Zeitrahmen in dem sie frei agieren können. Dies funktionierte, "weil Kinder absolut in der Lage sind ihr entsprechendes Freizeitverhalten zu gestalten".

Phänomene annehmen und Herausforderungen begreifen

Die Autoren ermutigen die Eltern, dem eigenen Kind so zu vertrauen wie sich selbst: "Da, wo wir es als Eltern verantworten können, ist eine schlechte Erfahrung etwas, dass wir unserem Nachwuchs nicht zumuten, sondern gönnen dürfen", schreiben sie. Kritisch mahnen sie an, dass ein "Elektro-Knigge" fehle, dafür was als Maßstab im Umgang mit digitalen Medien in der Öffentlichkeit erlaubt ist. Das Buch haben sie aus der Motivation geschrieben, "weil wir die Nase voll hatten und weil sich Eltern oft sorgen, statt sich zu begeistern". Dabei gelte es im Umgang mit Medien den Mittelweg zwischen absolutem Entzug von elektronischen Geräten und der zu frühen Gewöhnung: "Medienkompetenz wird nicht erlangt, wenn man sie generell als schädlich betrachtet." Ziel müsse es sein, die Phänomen anzunehmen und als Herausforderung für die Zukunft zu begreifen und das Bildungssystem den Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Dies erfordere eine völlig neue Herangehensweise an das Lehren und Lernen. Im Anhang gibt es noch technische Tipps zur Kindersicherung im Internet.

Die Vorschläge der Autoren sind sicher an vielen Stellen nicht neu. Aber das Buch überrascht dadurch, dass die beiden Elternteile aus der Praxis und aus ihrer Auseinandersetzung mit den beiden Söhnen berichten. Dabei decken sie eine große Bandbreite an Themen, die auch Inklusion und die Fragen des Urheberrechts mit einbezieht. Dies alles macht das Buch sehr lesenswert.

Die beiden Autoren Tanja und Johnny Haeulser betreiben gemeinsam das mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnete Weblog "Spreeblick". Seit 2007 gehört das Paar außerdem zum Gründungs- und Veranstaltungsteam der "re:publica", einer der wichtigsten europäischen Konferenzen für Online-Medien und die digitale Gesellschaft. Während Johnny Hausesler seit über einem Jahrzehnt im Internet und in Printemdien wie "Tagesspiegel" und "SPEX" über digitale Medien schreibt, ist seine Frau nach ihrer Tätigkeit als Filmregisseurin journalistisch im Internet mit lehr- und bildungspolitischen Themen unterwegs. Die Autoren leben mit ihren beiden zehn- und dreizehnjährigen Söhnen in Berlin. (pro)

Tanja und Johnny Haeusler, Netzgemüse: Aufzucht und Pflege der Generation Internet, Goldmann-Verlag, ISBN 978-3-442-15743-3, 9,99 Euro.

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