Es herrscht eine digitale Hysterie in Deutschland. Das findet der Psychologe, Psychotherapeut und Autor Georg Milzner. In dem neuen Buch „Digitale Hysterie: Warum Computer unsere Kinder weder krank noch dumm machen“ bietet er Alternativen zur Denkweise an, Computer seien schädlich. Eine Rezension von Johannes Weil
Von PRO
Foto: pro / Weil
Computerspiele schulen auch bestimmte Fähigkeiten. Dass zu viel „digitale Hysterie“ aufgebaut wird, schreibt Georg Milzner in seinem gleichnamigen Buch
Die digitale Welt ist für Heranwachsende kein so großes Problem wie häufig dargestellt. Für den Psychologen Georg Milzner handelt es sich viel eher um ein Beziehungsproblem als um ein Computerproblem. Es sei gut, dass sich junge Menschen leicht in der digitalen Welt zurecht finden. Auch zu Facebook und Google hätten sie oft ihre (sogar kritische) Meinung.
Der Vater von drei Kindern füttert sein Buch „Digitale Hysterie“ mit lebensnahen Beispielen aus der täglichen Praxis der Beratungsarbeit. Dort sehe er, wie Kinder neuartige Störungsbilder, aber auch neue Kompetenzen entwickelten. Zwiespältig findet er die Forderung, das Internet zu nutzen und parallel Medienabstinenz zu verlangen: „Das sind Anzeichen eines gespaltenen kulturellen Bewusstseins.“
Übersensibilität mit Hang zum Hysterischen
Das Bedürfnis der Menschen nach Kommunikation habe sich insgesamt ins Internet verlagert. Wurde früher lange telefoniert, finde diese Kommunikation heute in Online-Netzwerken statt. Kritisch sieht Milzner die Übersensibilität mancher Eltern, die dann mitunter ins Hysterische schlage. Er wünscht sich Eltern, die ihre Kinder bei der Medienerkundung begleiten. Nur durch das Wissen der Erwachsenen seien Kinder vor unliebsamen Überraschungen im Internet zu geschützt.
Viele Eltern fürchteten, dass ihre Kinder viel am Computer sitzen, zocken und dann in der Schule versagen. Etliche Studien belegten aber, dass schlechte Noten nicht zwangsläufig aus dem Computerspielen folgten. Milzner mahnt deswegen zur Gelassenheit. Spieleprogrammierer hätten ja gerade die Aufgabe, Spieler in den Bann zu ziehen und zu faszinieren. Er habe selbst viele Spiele ausprobiert und dabei meistens einen Lerngewinn erzielt, beschreibt der Psychologe.
„Computer machen uns nicht dümmer, aber sie verändern uns“, verdeutlicht Milzner. Viele Eltern wüssten kaum darüber Bescheid, was sie kritisierten. Umso wichtiger sei es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Ganze zu bekämpfen und zu verteufeln und eine ganze Jugendkultur zu stigmatisieren, hält Milzner für den falschen Weg: „Der Umgang und die Auseinandersetzung damit will gelernt sein.“
Gehemmter Spieldrang begünstigt Gewalt
Wenn ein Zusammenhang zwischen dem Gewaltpotenzial von Computerspielen und modernen Amokläufe bestehe, müssten die Türkei und Italien eher betroffen sein, weil es dort viel mehr mediale Gewalt gebe. Er leugnet nicht, dass es diese Fälle gibt, will sie aber auch nicht hochstilisieren. Das Verbot von „Ballerspielen“ würde bedeuten, das Kind mit dem Bade auszuschütten, denn „gehemmter Spieldrang begünstigt Gewalt“. Seine Rezept ist, die Selbststeuerung der Kinder zu lehren, statt Spiele zu verbieten: „Wir sollten die Kinder neben der Medien- zur Selbstkompetzenz erziehen.“
Milzner plädiert unter anderem für eine Aufmerksamkeitsehtik. Jeder Mensch müsse für sich klären, wer ihm am wichtigsten sei und diesen die meiste und ungeteilte Aufmerksamkeit widmen. Soziale Netzwerke hält er nur für so mächtig, wie ihre Nutzer es ihnen ermöglichen. „Grelle Warnrufe“, wie sie Manfred Spitzer in seinem Buch „Digitale Demenz“ verbreitet, hält er nicht für hilfreich. Er wünscht sich, dass Kinder angeleitet werden herauszufinden, wie sie sich nach dem Spielen fühlen, anstatt ihnen bloß Verbote aufzuerlegen.
Und noch etwas ganz Einfaches gibt der Autor der Gesellschaft mit auf den Weg: einander wieder mit ungeteilter Aufmerksamkeit zuzuhören und miteinander über Dinge nachzudenken. Dies sei für eine Generation wichtig, die sich „schnell und konstant Feedback, wenn möglich begründetes Lob“ wünscht. Eltern sollten die virtuellen Welten durch konkrete Dinge ergänzen, deren Sinne nicht durch die digitale Welt angesprochen werden. Und sie sollten die Kinder dabei unterstützen, ihre Visionen umzusetzen und dabei an sie glauben.
Gerade die vielen praktischen Beispiele aus seinem Berufsleben machen „Digitale Hysterie“ zu einem gut lesbaren Buch. Der Autor gibt realistische Einschätzung. Man wird aber auch den Eindruck nicht los, dass er dieses Buch als Antwort auf Manfred Spitzers „Digitale Demenz“ geschrieben hat. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich zwischen beiden Autoren irgendwo in der Mitte. (pro)
Georg Milzner: „Digitale Hysterie – Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen“, Beltz, 9783407864062, 18,95
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