Nicht nur in Berlin ist der Raum für Flüchtlinge knapp. Drei Freunde haben deshalb eine Webseite geschaffen, mit der sie leerstehende WG-Zimmer vermitteln. So ersparen sie vielen das beengte Wohnen in der Sammelunterkunft.
Von PRO
Foto: Jean-Paul Pastor Guzmán/Flüchtlinge Willkommen
Drei Freunde helfen Flüchtlingen: (v.l.) Golde Ebding, Mareike Geiling, Jonas Kakoschke
114.000 Menschen haben allein seit Jahresbeginn in Deutschland um Asyl gebeten. Das sind mehr als doppelt so viele wie ein Jahr zuvor. Die Zahlen machen deutlich, was gerade Großstädter derzeit in der eigenen Nachbarschaft spüren: Immer mehr Flüchtlingsheime öffnen, der Wohnraum für die Neuankömmlinge ist knapp, in vielen Unterkünften teilen sich vier, fünf oder sechs Männer oder Frauen ein Zimmer. Die Lage veranlasste zuletzt sogar Hannovers Bischof Ralf Meister dazu, seine Amtswohnung dauerhaft für Flüchtlinge zu öffnen.
„Viel einfacher, als wir dachten“
Jonas Kakoschke und Mareike Geiling leben zusammen in einer WG im Berliner Stadtteil Wedding. Lange haben sie sich gemeinsam mit ihrer Freundin Golde Ebding mit der Lage der Flüchtlinge in Deutschland beschäftigt. „Man sieht den Zustand, hat eine Idee – und dann macht man das einfach“, beschreibt die 28-jährige Kulturwissenschaftlerin Geiling, was sich im vergangenen Jahr in ihren vier Wänden abgespielt hat. Da nämlich entschieden die Berliner sich dazu, einen Geflohenen bei sich zu Hause einziehen zu lassen. Und nicht nur das. Sie gründeten eine Internetseite, auf der sie auch andere Wohngemeinschaften dazu aufrufen, Zimmer zu vergeben. „Das ist wirklich viel einfacher, als wir dachten“, sagt Geiling heute.
Denn für jeden Flüchtling in einer Massenunterkunft bringen die Kommunen und Ämter Geld auf – und zwar so viel, dass es auch reichen würde, um ein Zimmer in einer Wohnung zu bezahlen. In den meisten Bundesländern ist es möglich, diese Finanzen einfach umzulegen. Eine sogenannte dezentrale Unterbringung wird von öffentlicher Hand gefördert. Das Geld fließt dann eben nicht in das Heim, sondern wird genutzt, um die Miete zu begleichen. Der Vermieter macht keinen Verlust, der neue Mitbewohner aber wohnt oft wesentlich besser als in der Standardunterkunft.
Auf der Seite „Flüchtlinge Willkommen“ haben sich bisher 890 WGs zur Vermittlung angemeldet. Mehr als 720 Geflüchtete haben Zimmer nachgefragt. Gelungen sind bisher 40 Vermittlungen. Das liegt zum einen daran, dass sich die Mitbewohner und der Neuzugang vor dem Zusammenziehen kennenlernen sollen. Das nimmt Zeit und Planung in Anspruch. Zum anderen müssen behördliche Fragen geklärt werden. Wie ist der Status des Geflohenen? Wo ist er gemeldet? Woher kommen die Finanzen? Für Fälle, in denen von öffentlicher Seite keine Gelder zur Verfügung gestellt werden, haben die Initiatoren zu Mikrospenden aufgerufen. Auf diese Art werden sie derzeit von 320 Menschen unterstützt.
Alles neu und fremd
Geiling und Kakoschke selbst haben einen Mann aus Mali aufgenommen, während erstere einige Monate in Ägypten verbrachte und ihr Zimmer leer stand. Am Schicksal des neuen Mitbewohners Bakary (Name geändert) zeigt sich, wie es vielen Flüchtlingen in Deutschland ergeht. Zunächst lebte er in Italien, entschloss sich schließlich zur Weiterreise nach Deutschland. Hier angekommen wusste er nicht, wohin. Welche Behörde er aufsuchen musste, wo er Geld beantragen konnte, wer für die Anerkennung seines Flüchtlingsstatus zuständig ist – das alles war ihm fremd, sodass er sich zunächst als Obdachloser durch die Großstadt trieb, bevor er über verschiedene Ecken in der WG im Wedding landete. „Vielen Flüchtlingen fällt es schwer, Kontakt zu Deutschen aufzubauen“, sagt Geiling. „Die Großstadt, die Bürokratie, die Sprache – das ist alles neu und fremd.“
Eine Herzensangelegenheit
Vor einigen Tagen ist Bakary aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Er wohnt jetzt in einem Einzimmerappartement, das ihm Freunde seiner ehemaligen Mitbewohner vermittelt haben. „Das ist eigentlich, was wir uns wünschen“, sagt Jonas Kakoschke. „Dass das Zusammenwohnen dazu führt, dass die Menschen hier ankommen und eigenständig werden.“ Von größeren Problemen in interkulturellen WGs wisse er nichts. Klar gebe es mal Differenzen beim gemeinsamen Kochen oder schlicht aufgrund der unterschiedlichen Persönlichkeiten. Das sei aber schon alles.
Das Projekt „Flüchtlinge Willkommen“ jedenfalls macht Schule. Ein erster Ableger hat sich nun in Österreich gegründet. Kakoschke und Geiling investieren mittlerweile derart viel Zeit in die Vermittlung, dass sie keine anderen Jobs mehr nebenbei haben und zudem 22 ehrenamtliche Unterstützer für einige Stunden in der Woche beschäftigen. Damit verdienen die Initiatoren derzeit zwar nur, was sie durch Crowdfunding und Mikrospenden zusammenbekommen, und „das reicht wirklich nur für Low-Budget“, wie der Grafikdesigner verrät. Dafür ist es den beiden eine Herzensangelegenheit, sagt Geiling: „Es ist der erste Job, hinter dem ich zu tausend Prozent stehe.“ (pro)
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