Der Mord an Charlie Kirk dominiert seit Mittwochabend die Schlagzeilen. Der 31-jährige politische Aktivist war am Mittwoch in Utah auf offener Bühne erschossen worden. Viele Deutsche dürften ihn nicht gekannt haben.
Wer war also Charlie Kirk?
Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Influencer, Konservativer, Populist, Christ, Evangelikaler, christlicher Nationalist, Aktivist, Gründer, Kulturkämpfer – viele Zuschreibungen passen auf ihn, aber keine davon trifft voll auf ihn zu.
Das liegt vielleicht auch daran, dass Charlie Kirk eine absolute Ausnahmeerscheinung war. Mithilfe eines reichen Gönners gründete er mit 18 Jahren „Turning Point USA“ (TPUSA), eine NGO, mit der er Konservatismus, Kapitalismus und freiheitliche Werte verbreiten wollte. Er richtete sich dabei vor allem an die junge Generation an den Highschools und Universitäten. Binnen weniger Jahre entstanden Hunderte lokaler TPUSA-Campus-Gruppen.
Er rekrutierte Hunderttausende
Im Internet berühmt wurde er unter anderem mit Debattiervideos, die immer nach demselben Schema ablaufen. Kirk am Mikrofon auf einer Bühne, ein meist linker oder liberaler Student stellt eine kritische Frage, Kirk antwortet darauf, schlagfertig, selbstbewusst, oft auch laut. Er scheute den Disput nie und warb für Dialog – auch wenn seine Positionen selbst nicht immer tolerant waren. Für pauschalisierende Aussagen über den Islam oder LGBT-Personen stand er regelmäßig in der Kritik. Das schien Kirk aber nicht zu stören, im Gegenteil.
Eine seiner Thesen war, dass die Jugend, also heute die Gen Z, weitaus konservativer tickt, als ihre öffentliche Repräsentanz. Er könnte damit recht haben. Schließlich „rekrutierte“ er Hunderttausende, wenn nicht Millionen junger Menschen für die Sache der Republikaner, genauer: für Donald Trump. 2016 war er noch skeptisch gegenüber dem Präsidenten, später konnte die beiden kaum etwas voneinander trennen. Kein Wunder, dass Trump Minuten nach der Todesmeldung anordnen ließ, dass alle US-Flaggen bis Sonntag, 18 Uhr, auf halbmast gesetzt werden sollen.
Kirk stand aber nicht nur für politischen Konservatismus, sondern in den vergangenen Jahren verstärkt auch für den christlichen Glauben. Er verknüpfte den Glauben an Jesus in einer Weise mit seinem politischen Konservatismus, dass es vielen frommen Christen hierzulande mulmig werden könnte. Denn die Verschmelzung von religiöser Überzeugung und politischem Machtanspruch birgt Gefahren, und zwar, wie die Kirchengeschichte immer wieder gezeigt hat, auch für das Christentum selbst.
Kirk sah Donald Trumps Präsidentschaft als Erfüllung von Gottes Willen – und zwar nicht im Sinne von Römer 13, nach dem jede Obrigkeit von Gott eingesetzt ist. Sein politisches Engagement bezeichnete er als göttlichen Auftrag, der eindeutig auch mit Macht verknüpft ist.
Immer wieder attestierten ihm Beobachter die Befürwortung der Agenda des „Seven Mountains Mandate“. Damit ist gemeint, dass christliches Denken sieben Bereiche der Gesellschaft tonangebend sein soll: Familie, Religion, Bildung, Medien, Kunst und Unterhaltung, Wirtschaft und Regierung. Das ist noch mehr als der „Marsch durch die Institutionen“ der 68er in Deutschland. Kirks Ziel war es, jede Universität in eine „konservative Bastion“ zu verwandeln.
Christlicher Nationalismus
Zu seinem persönlichen Glauben äußerte sich Kirk zuletzt häufig. „Ich bin nichts ohne Jesus“, sagte er kürzlich in seinem Podcast. „Ich bin ein Sünder. Ich bin der Ehre Gottes bei weitem nicht würdig – wir alle sind das nicht.“ Er habe in der fünften Klasse sein Leben Jesus gegeben, das sei die beste Entscheidung seines Lebens gewesen. „Alles, was ich tue, verkörpert Jesus Christus. Er ist der lebendige Gott.“
In Debatten verteidigte er den Glauben an Jesus Christus und biblische Gebote. Und er warnte vor einer Gesellschaft, die immer weniger religiös wird. Das hinterlasse eine Lücke – und diese Lücke fülle aktuell die politische Linke, warnte Kirk.
„The Guardian“ zitiert Kirk mit einer Aussage, die als christlicher Nationalismus gilt: „Einer der Gründe für unsere Verfassungskrise ist, dass wir keine christliche Nation mehr sind … Man kann keine Freiheit haben, wenn man keine christliche Bevölkerung hat.“
Im Oktober hätte Kirk in der großen christlichen Liberty University sprechen sollen, an dem es nach eigenen Angaben den größten TPUSA-Ableger des Landes gibt. Dazu wird es nun nicht kommen. Die Universtität reagierte mit Bestürzung auf den Tod Kirks, abends trafen sich tausende Studierende auf dem Campus, um still für Kirks Frau und Kinder zu beten.
Verknüpfung von Glaube und Politik
Kirk hat einen presbyterianischen Hintergrund. Besondere Beziehungen hatte er jedoch zur Calvary Chapel Church in Thousand Oaks, Kalifornien. Mit dem dortigen Pastor Rob McCoy gründete er den religiösen TPUSA-Ableger „Turning Point Faith“. Damit versuchte er explizit, Pastoren und andere Christen für seine politischen Ziele zu gewinnen – mit einigem Erfolg.
Trotz seiner erst 31 Jahre wird Charlie Kirk in die amerikanische Geschichte eingehen als einer der wichtigsten Personen unserer Zeit, die ihre Sicht auf den christlichen Glauben untrennbar mit einer politischen Agenda verbanden. Welche Folgen seine Ermordung hat, ist nicht absehbar. Auch wenn man Positionen Kirks kritisch sehen mag, eines kann man ihm nicht vorwerfen: Dass er einer Debatte aus dem Weg gegangen wäre.
Zu Lebzeiten sagte er: „Es ist so wichtig für unser Land, dass wir unsere Meinungsverschiedenheiten respektvoll behandeln. Wenn Menschen aufhören zu reden, geschieht Gewalt.“ Darauf sollten sich zumindest alle einigen können.