Wer stagniert, verliert – auch die Kirche

Der gläubige Katholik und Unternehmensberater Thomas von Mitschke-Collande analysiert in seinem Buch "Schafft sich die katholische Kirche ab? Analysen und Fakten eines Unternehmensberaters" die Krise, in der sich die katholische Kirche befindet.
Von PRO

Der ehemalige Direktor der Unternehmungsberatung "McKinsey" ist gläubiger und praktizierender Katholik. Zudem ist er Pressesprecher der CSU Fraktion Tutzingen und Gemeinderat. Er hat in seinem Buch "Schafft sich die katholische Kirche ab?" die Missstände seiner Kirche analysiert und sie mit ungeschönten Zahlen und Fakten untermauert. 24 Diagramme zeigen auf 233 Seiten das, wovor viele Kirchenoberhäupter die Augen verschließen. "Eine wenig probate und doch häufig zu beobachtende Reaktionsweise ist die rigorose Infragestellung und Zurückweisung aller vorgebrachten empirischen Evidenz für die Krise.

Abgeschmettert werden nicht nur Daten und Fakten, sondern insbesondere die zugrunde liegenden statistischen Methoden und Analysen", zeigt sich der Autor enttäuscht. Mitschke-Collandes Meinung nach steht gerade diese Ignoranz der Kirche im Weg, genauso wie das Verschließen der Augen vor der Wirklichkeit. Die Kirche beharre zu sehr auf alten Traditionen und sei nicht bereit, über neue Wege zu diskutieren.

So sei es nicht verwunderlich, dass der katholischen Kirche die Mitglieder davon rennen. Waren es 2005 noch 90.000 Menschen, die austraten, verdoppelte sich die Zahl 2010 auf 181.000. Der Autor führt dies auf das verlorene Grundvertrauen in die Kirche zurück. Das Vertrauen in das Oberhaupt, Papst Benedikt XVI., sank von 62 auf 39 Prozent. Das Vertrauen in die katholische Kirche als Institution von 54 auf 34 Prozent.

"Ein schlechter Hamburger verdirbt die ganze Marke." So bringt der Autor das Thema "Missbrauch" auf den Punkt, das das Ansehen der Kirche in den letzten Jahren schwer in Mittleidenschaft gezogen hatte. Insgesamt benennt und analysiert er sechs verschiedene Typen von Krisen. Wie man es von einem Betriebswirtschaftler nicht anders erwarten sollte, bleibt er dabei neutral und sachlich. Fraglich bleibt dabei, ob man die Vorgehensweise eines Unternehmensberaters auf eine Institution wie die Kirche überhaupt anwenden kann.

Mitschke-Collande führt in seinem Buch jedoch nicht nur Zahlen und Fakten auf. Er widmet sich auch Themen, die im Kern zeigen sollen, warum die Kirche nicht mehr "up to date" ist. Er sieht das Problem nicht darin, dass die Gesellschaft nicht mehr glauben will. "Religiosität ist nach wie vor eine Condition humaine, ein Grundtatbestand menschlicher Existenz und Gesellschaft." Durch viele andere "spirituelle Anbieter" sei die Kirche gezwungen, einen neuen Weg zu gehen. Dieses neue Kirchenverständnis beschreibt der Autor mit einer auf den Kopf gestellten Pyramide. Der Papst soll nicht mehr der "Stellvertreter" Christi auf Erden sein, sondern die Rolle des Dieners der Diener Gottes übernehmen. Die Kirche sollte menschlicher werden, nicht römischer, fordert von Mitschke-Collande.

Flächendeckende Seelensorge ist eine weitere Baustelle, die der Autor aufzeigt. Es bedeutet, dass sich beispielsweise im Bistum Augsburg mit 1,3 Millionen Katholiken bis 2025 1.000 Pfarreien zu 200 Seelsorgeeinheiten zusammenschließen, ohne zusätzlich Personal zu bekommen. Dies ist die Konsequenz des Priesterschwundes, welcher sich deutlich abzeichnet. Der Autor ist der Meinung, dass der Zugang von Frauen zu Priesterämtern dieses Problem abfangen könnte.

Kein Festhalten an "glorreiche Vergangenheiten"

"Verkündigung ist heute Verkündigung in einer Mediengesellschaft. Wer missionarisch erfolgreich sein will, muss dies akzeptieren", ist von Mitschke-Collande überzeugt. Der Autor bezeichnet das Verhalten der Kirche gegenüber den Medien als "unkooperativ". Man missachte die Gesetze der Medienwelt unbeabsichtigt, aber teilweise auch absichtlich. Mitschke-Collande ermöglicht der katholischen Kirche mit seiner Krisenanalyse, Fehler zu erkennen und sich auf die neuen und individuellen Ängste ihrer Mitglieder einzulassen und diese wieder für sich zu gewinnen.

Für die Zukunft der Kirche dürften Dialog- und Reformreden nicht an die Stelle von tatsächlichem Handeln rücken, fordert er. Ebenso müsse die Kirche ihr krampfhaftes Festhalten an die "glorreiche Vergangenheit" ablegen. Für den Autor ist ein Wandel der Kirche bereits beschlossene Sache. "Der Wandel wird kommen. Offen ist, gelingt er durch Überbrückung, Kompromiss und gegenseitige Toleranz oder nur über eine Spaltung, ein neuerliches Schisma."

Von Mitschke-Collande zeigt der katholischen Kirche eine ganze Palette von Fehlern auf, die sie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert in seinen Augen gemacht hat. Er legt Zahlen und Fakten dar und zitiert eine Vielzahl von katholischen Würdenträgern, die sich Sorgen um ihre Kirche machen. Kardinal Karl Lehmann lobt im Vorwort die Art und Weise, wie der Autor an das Problem herangeht und seine Situationsanalyse als eine, die in die Zukunft führt. Dennoch stellt sich die Frage, ob es der richtige Weg ist, eine religiöse Institution nach Richtlinien einer Unternehmensberatung zu prüfen. Der Autor stellt klar, dass, wenn die Kirche sich nicht weiterentwickelt, sie nur verlieren kann. "Das Salz der Erde hätte seine Würzkraft unwiederbringlich verloren." (pro)

Thomas von Mitschke-Collande: Schafft sich die katholische Kirche ab? Analysen und Fakten eines Unternehmensberaters
Kösel-Verlag, September 2012
256 Seiten, 19,99 Euro
ISBN: 978-3-466-37054-2

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