„Wer so hasst, sehnt sich nach Liebe“

Aggressives Geschrei: "Wir spüren eure Angst", die Hand ist erhoben zum Hitler-Gruß. Auf einer provisorischen Bühne stehen acht Laiendarsteller und spielen vor ihren Mitschülern, Lehrern und Eltern gegen Rassismus. Es handelt sich um ein theaterpädagogisches Projekt, das sich gemeinsam mit deutschen Schulen gegen Rechtsradikalismus und Intoleranz wendet. pro sprach mit dem Theaterpädagogen Jean-Francois Drozak.
Von PRO
Der Name des Projekts "acht.acht" spielt auf den achten Buchstaben im Alphabet an. Zweimal "H" also für "Heil Hitler". Die Agentur "Kunstdünger" aus Nürnberg, das "Referat für Glaubensbildung" mit Sitz in Erlangen und der Bamberger "Bund der katholischen Jugend" bieten interessierten Schulen in Deutschland eine pädagogische Aufklärungswoche gegen Rechtsextremismus an. Theater als Prävention ist in Deutschland gang und gäbe. Was die Arbeit von "Kunstdünger" jedoch einzigartig macht, ist, dass bei ihren Schuleinsätzen keine professionellen Schauspieler für einige Stunden kommen und dann wieder verschwinden. Der Regisseur und Theaterpädagoge Jean-Francois Drozak bleibt eine Woche vor Ort und lässt Schüler für Schüler spielen. Er verspricht sich davon eine nachhaltigere Wirkung. Als Christ hat er auch eine andere Herangehensweise an das Thema als säkulare Präventionsprojekte: "Wir wollen nicht nur informieren oder Straftaten verhindern. Unser Auftrag als Christen geht darüber hinaus. Nicht verdammen, sondern verstehen. Das bedeutet, dass wir die Einstellung eines Rechtsradikalen nicht gut heißen, aber wir möchten nachvollziehen, warum er so hasst."

Hassen dürfen zieht Jugendliche an

"Ausländerfeindlichkeit ist in Deutschland ein akutes Problem", sagt Drozak gegenüber pro, "die Rechtsextremen haben heute einen größeren Zuwachs als jede andere Partei in Deutschland. Vermutlich liegt das daran, dass Deutsche wegen der Finanzkrise und der hohen Arbeitslosigkeit Angst vor der Zukunft haben. Sie besinnen sich auf ihre eigene Kultur und wollen gegen die Regierung protestieren. Man darf aber auch das Gefühl der Macht nicht unterschätzen. Dieses Gefühl, hassen zu dürfen, zieht viele Jugendliche an."

Drozak wurde durch eigene Erfahrungen mit Rechtsextremen, die er als "belgisch-brasilianischer Bayer" machen musste, dazu bewegt dieses Thema anzugehen. Er ist überzeugt, dass man auf die Neuen Rechten reagieren kann – und muss. "Wenn wir schweigen und wegschauen, legalisieren wir die rechte Szene." Ein Erlebnis als Jugendlicher prägte ihn sehr. "Wenn man verspielt auf pöbelnde Rechtsradikale reagiert, kann man die schon ein wenig irritieren", lacht er und erzählt von betrunkenen Neonazis, denen er auf ihr Lallen erwiderte: "Ich versteh euch nicht. Lernt doch erst mal richtig Deutsch. Das haben die von einem Ausländer einfach nicht erwartet."

Das Theaterstück, das Drozak den Schülern innerhalb von vier Tagen beibringt, gibt die brutale Wahrheit sehr authentisch wieder. Drozak führte im Vorfeld viele Interviews mit Rechtsradikalen. Überraschenderweise hat sich einer der Neonazis sogar als Autor für das Stück angeboten. "Ich habe mich natürlich gefragt, warum ein Rechtsextremer bereit ist, für ein Theaterstück zu schreiben, das gegen seine Ideologie ist." Drozak vermutete zunächst, dass er darin eine mögliche Plattform für seine Propaganda sah. Als er jedoch den Text des jungen Rechten vor sich hatte, änderte Drozak seine Meinung: "Es sah so aus, als ob er – vielleicht auch unbewusst – erklären wollte, aus welchen Gründen er in die rechte Szene abgerutscht ist. Er wollte provozieren und Respekt einfordern. Wahrscheinlich ist er radikal geworden, weil er in seiner normalen Umgebung keine Anerkennung gefunden hat. Seine Botschaft ist: ‚Wenn ihr mich nicht liebt, dann sollt ihr mich wenigstens respektieren. Wenn ihr mich nicht respektiert, dann sollt ihr mich fürchten. Wenn ihr mich nicht fürchtet, dann sollt ihr mich hassen.‘ Sein verstecktes Motiv ist also einfach, geliebt werden zu wollen. Wer so hasst, sehnt sich nach Liebe."

"Die Fratze des Rechtsextremismus lässt nicht unberührt"

Drozak ist sich jedoch der Grenzen dieses Projekts bewusst. Er glaube nicht, dass durch eine einzige Theatervorführung die Einstellung eines Rechtsradikalen verändert werde. Aber "acht.acht" könne bei Jugendlichen, die sich noch keine eigenen Gedanken gemacht hätten, ein Bewusstsein schaffen. Und junge Menschen, die zwar rechtsorientiert, aber noch nicht radikal wären, würden dazu bewegt, ihre Meinung zu ändern oder noch einmal zu überdenken. "Viele Schüler und Eltern sind schockiert", beschreibt Drozak die Reaktion der Zuschauer auf die Aufführungen, "das Stück zeigt die brutale Fratze des Rechtsextremismus, und das lässt nicht unberührt, sondern regt zu Diskussion an. Auch Lehrkräfte, die vorher nicht viel mehr als ein wenig Theater erwartet haben, sind nach dem Stück sehr betroffen und sehen ein, wie dringend dieses Thema nachbereitet werden muss."

Für die Schüler, die bei dem Projekt mitspielen, könnte es durchaus gefährlich werden. Um sie vor eventuellen Bedrohungen durch die rechte Szene zu schützen, sind während der Aufführung weder Foto- noch Videoaufnahmen erlaubt. Auch die Namen der Darsteller werden nicht preisgegeben und auf den Fotos in der Zeitung erkennt man keine Gesichter. Zu Beginn der Veranstaltung werden die Zuschauer klar darauf hingewiesen, dass das Gespielte nicht unbedingt der Meinung der Darsteller entspricht.

"Ich möchte, dass Menschen über das Thema Rechtsradikalismus reden und sich damit auseinander setzen", beschreibt Drozak sein Ziel als Theaterpädagoge. "Meine Vision ist, dass biblisch fundierte Werte in unserer Gesellschaft wieder ernster genommen werden, und ich will jungen Menschen zeigen, dass ihre Stimme gehört wird." (pro)
http://www.kunstduenger-nuernberg.de/
http://www.jugend-im-erzbistum.de/bdkj/projekte/acht_acht.html
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