Wer nicht hört, muss lesen

In Deutschland ist nur an sehr wenigen theologischen Bildungsstätten eine Online-Ausbildung möglich, und wenn, dann oft in Kooperation mit einer ausländischen Partner-Universität. Hoffnung macht das Bibelseminar Bonn. Hier wächst ein kleiner Online-Campus.
Von PRO
Eine Internetplattform ersetzt das Seminar. Hier lernen die Online-Studenten und diskutieren mit ihrem Professor
Theologische Ausbildungsstätten buhlen um jeden Schüler. Zudem wollen immer weniger Menschen in den vollzeitlichen Gemeindedienst gehen. Stattdessen stellen sie sich lieber neben dem Job ehrenamtlich in den Dienst von Gemeinde und Mission. Wer sich dazu neben dem Beruf theologisch weiterbilden möchte, kann dies vor allem an Kurz- und Ferienbibelschulen tun. Die sind allerdings an einen Ort und an bestimmte Zeiten gebunden. Bibelfernkurse sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit, weil die Lektionen in Form von Studienbriefen nacheinander versendet werden. Der Nachteil dabei: Die Schüler können nicht in ihrer individuellen Geschwindigkeit und dann, wann es ihnen passt, lernen. Fortbildungen im Internet sind eine Alternative, auch im theologischen Bereich. Eine ist das Portal mehrglauben.de, das Interaktivität erlaubt und Diskussionsforen anbietet. Joachim Bär hat das Konzept mit entworfen. Mittlerweile hat sich aus der Webseite ein Online-Campus zur theologischen Fortbildung in Zusammenarbeit mit dem Bibelseminar Bonn (BSB) entwickelt. „Wir hatten die Idee einer christlichen Volkshochschule zur theologischen Weiterbildung. Auf unseren Webseiten wollten wir nicht nur Antworten auf wichtige Glaubensfragen bieten, sondern auch Workshops etablieren, in denen sich Interessierte mit einem fachlich versierten Mentor austauschen können“, erinnert sich Bär. „Das Bibelseminar in Bonn hatte Erfahrung durch den Fernunterricht. So ist die Kooperation entstanden.“

Online-Vollausbildung in weiter Ferne

Dietmar Schulze ist außerordentlicher Online-Professor für Systematische Theologie der Liberty University, Lynchburg, Virginia, außerordentlicher Professor für Mission am Southwestern Baptist Theological Seminary (SWBTS), Fort Worth, Texas, und Dozent für Missionswissenschaft am BSB. Dort leitet er die Online-Bibelschule. Im Jahr 2012 hat Schulze auf der Plattform mehrglauben.de zusammen mit ERF Medien einen Online-Kurs zum Neuen Testament gestartet. Dafür interessierten sich etwa 100 Teilnehmer. „Wir haben den Kurs dann optimiert und auch das Angebot insgesamt erweitert“, sagt Schulze. Derzeit können Interessierte bei einem Arbeitsaufwand von etwa 75 Stunden einen Kurs binnen 3 bis 4 Monaten absolvieren. Heute bietet das BSB jeweils zwei Kurse zum Alten Testament (AT) und zwei Kurse zum Neuen Testament (NT) online an. Am Kurs AT nahmen im Frühjahr 39 und am Kurs NT 34 Bibelschüler teil. Das erste Bibelschuljahr können Interessierte in Kombination mit Fernbibelschul- und Wochenendkursen berufsbegleitend von zu Hause absolvieren. Eine drei- bis fünfjährige Vollausbildung online sei jedoch noch in weiter Ferne, sagt Schulze. Im Gegensatz zu den USA sind die theologischen Kurse in Deutschland sehr günstig. An der Partnerschule, dem SWBTS, muss man beispielsweise für den Online-Einführungskurs zum Neuen Testament im Collegeprogramm bis zu umgerechnet 1.100 Euro zahlen. Am BSB kosten die Kurse NT1 und NT2 zusammen weniger als 60 Euro. Wer am SWBTS das dreijährige Online-Programm Master of Divinity, einem praxisbezogenen Theologiestudium in den USA, studiert, muss mit Kosten in Höhe von bis zu 37.000 Euro rechnen. Schulze sieht in der Online-Ausbildung Potenzial. Deshalb will er das Angebot weiter ausbauen. Ab Anfang November 2014 bietet das BSB über mehrglauben.de, die Kurse Bibelkunde AT 1 und NT1 und Dogmatik an. Im Frühjahr 2015 kommen weitere Kurse hinzu. Sie werden neben Texten auch Unterrichtsvideos enthalten.

Die unbekannten Mitstudierenden

Wie technisch versiert muss man für ein Online-Studium sein? Online-Bibelschüler Wolfgang Weiss ist 76 Jahre alt, selbstständig tätig und Neuen Medien gegenüber aufgeschlossen. Eingeschrieben hat er sich bei dem Online-Bibelstudium, weil er seinen Glauben und auch seine Kenntnisse über die Bibel vertiefen wollte. Dazu belegte er gleich zweimal das Modul zum Neuen Testament im Internet, nun nimmt er am Kurs Altes Testament teil. „Am Anfang hatte ich ein paar Probleme mit der Technik. Nach vier Wochen und einiger Praxis hatte sich das erledigt. Das ist beherrschbar“, sagt er. Der bislang älteste Teilnehmer war 80 Jahre alt. Auf der Lernplattform finden die registrierten Bibelschüler fast alle Unterlagen. Bis auf ein Studienbuch stehen die gesamten Lehrinhalte online. Für die Bearbeitung einer Einheit, deren Umfang zwischen 12 und 15 Seiten liegt, benötigen die Studenten rund fünf Tage. „Es ist viel zu lesen“, sagt Schulze. Dazu gibt es Videos und weiterführende Links, Blogs und ein internes Wiki. Für die Diskussion stellt die Plattform verschiedene Foren zur Verfügung. Hier findet der Austausch untereinander und mit dem Dozenten statt. Die Teilnehmer des Kurses haben sich real nie gesehen. Wolfgang Weiss empfindet das als Mangel. Er wünscht sich auch eine lebhaftere Diskussion in den Foren. Die spielen eine zentrale Rolle. „Die Beteiligung an den Diskussionsforen ist für die Teilnehmer verpflichtend und fließt in die Bewertung mit ein“, erklärt Schulze. Auch Gruppenarbeiten gehören zur Online-Bibelschule. Studenten im Master-Studiengang des BSB helfen als E-Coaches bei der Betreuung. Die Prüfungen werden in der Regel als Multiple-Choice-Tests durchgeführt.

In den USA studieren tausende online

Am BSB haben 79 Prozent der Teilnehmer den Kurs AT1 erfolgreich bestanden. Die anderen haben den Kurs entweder abgebrochen oder von vornherein eine Teilnahme ohne Prüfungen vorgezogen. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2013 zeigt, dass dort 78 Prozent der Online-Studenten ihr Studium erfolgreich beenden. Online-Dozent Schulze erklärt: „Etwa 50 Prozent der Professoren in den USA arbeiten als Gastdozenten und werden nach Bedarf eingestellt. Das erfordert von ihnen eine hohe Flexibilität.“ An der Liberty University studieren etwa 100.000 Studenten in 350 Kursprogrammen, davon 80.000 online. Die Universität von Phönix im Bundesstaat Arizona hat die meisten Online-Studenten: Mehr als 300.000 waren es im Jahr 2011. Die Flexibilität ist ein Grund, warum sich viele Studenten für ein Studium online entscheiden. So auch Annette Martens. Sie ist Mutter von vier Kindern im Alter zwischen 16 und 23 Jahren. Die 47-Jährige ist zur Zeit nicht berufstätig, engagiert sich aber ehrenamtlich. Sie sagt: „Da ich schon sehr viel gemeindemäßig unterwegs bin, wollte ich nicht noch zusätzliche Außentermine haben, mich aber theologisch weiterbilden. Da habe ich mich für eine Online-Fortbildung entschieden.“ Mit dem Lehrmaterial ist sie zufrieden, die Diskussionsforen machen ihr Spaß. Ihr gefällt auch, dass sie sämtliche Prüfungen im Internet ablegen kann, dazu nicht in ein Studienzentrum reisen muss. Sie will auch in Zukunft weiter online Kurse belegen. Auch Erwachsene, die die Pflege eines Elternteils übernommen haben und dadurch örtlich gebunden sind, können bequem online studieren oder sich fortbilden. Das hat nicht nur Vorteile. „Wer das erste Jahr der Vollzeitbibelschule online absolviert, bekommt dafür keine finanzielle Unterstützung durch BAföG“, sagt Schulze. Außerdem vermisst der Dozent die direkte Interaktion mit den Studenten. Für Wolfgang Weiss ist „der Knackpunkt die Anonymität in der Online-Gruppe und in den Diskussionsforen“. Die Teilnahme am Online-Kurs wertet er dennoch als Gewinn. Anders als in den USA steckt die Online-Ausbildung von vollzeitlichen Theologen oder Pfarrern in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Oberkirchenrätin Hildrun Keßler ist Referentin für theologische und kirchliche Ausbildungen sowie Hochschulfragen im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. Sie sagt: „Die theologischen Fakultäten der Universitäten bieten nach meinem Kenntnisstand derzeit kein Theologiestudium online an.“ Ein übergreifendes, etwa von allen Landeskirchen gemeinsam angebotenes Online-Theologiestudium der EKD, gibt es nicht. Dies zu entwickeln, wäre jeweils Angelegenheit der einzelnen theologischen Fakultäten. Die föderale Struktur der EKD schlägt sich somit auch auf den Bereich des E-Learnings in der theologischen Ausbildung nieder. Ulrich Neuenhausen, Vorsitzender der Konferenz bibeltreuer Ausbildungsstätten, erklärt: „Ich halte die Entwicklung von Ausbildungsprogrammen über Internet für eine dringende Maßnahme, um die Zukunftsfähigkeit der evangelikalen theologischen Ausbildungen zu sichern und eine ausreichende Menge an jungen Theologen beziehungsweise Pastoren für die Kirchen und Freikirchen bereitzustellen, damit Gemeinde in Deutschland leben und wachsen kann.“ (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/wirtschaft/detailansicht/aktuell/vom-theologiestudium-nicht-auf-die-kanzel-88264/
Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen