Wenn Physiker theologisch werden

Das Universum habe sich selbst erzeugt, ist der bekannte britische Astrophysiker Stephen Hawking in seinem neuesten Buch "Der große Entwurf" überzeugt. In der "Zeit" wendet Eduard Kaeser ein, die Naturwissenschaft sollte besser bei dem bleiben, wozu sie da ist: die Naturgesetze beschreiben.
Von PRO

Der berühmte Astrophysiker aus Cambridge, Stephen Hawking, beschäftigt sich in seinem Buch mit dem Beginn der Welt. Er glaubt, dass sich Elementarteilchen spontan aus dem Vakuum erzeugen lassen. Gemäß der Quantenphysik ist das Vakuum nicht einfach leer, sondern angefüllt mit Energiefluktuationen. Hawking schreibt: "Da es ein Gesetz wie das der Gravitation gibt, kann und wird sich das Universum (…) aus dem Nichts erzeugen. Spontane Erzeugung ist der Grund, warum es das Universum gibt, warum es uns gibt. Es ist nicht nötig, Gott als den ersten Beweger zu bemühen, der das Licht entzündet und das Universum in Gang gesetzt hat."

Der Publizist Eduard Kaeser, der Theoretische Physik und Philosophie  studierte und  Physik und Mathematik an einem Gymnasium in der Schweiz unterrichtet, antwortet in der Silvester-Ausgabe der Wochenzeitung "Die Zeit" kritisch auf Hawkings Buch. "Aber ein physikalisches Gesetz beschreibt und erklärt nur ein Ereignis, es erzeugt es nicht", so Kaeser, "auch nicht in den ersten Millionstelsekunden der Welt." Selbst eine "Theorie von allem", nach der Physiker seit langem streben, erkläre allenfalls alles, sie erzeuge jedoch nichts. Der Schweizer Physiklehrer zieht einen Vergleich aus dem Fußball heran: Man könne zwar den Flug eines getretenen Balles gut beschreiben, und zwar anhand der Daten über Schusswinkel, Kraft des Beins und so weiter, aber die Berechnungen könnten den Flug des Balles nicht hervorrufen.

"Physiker außer Dienst" teilweise "lächerlich"

Kaeser gesteht ein, dass Forscher "spontane Fluktuation" im Vakuum entdeckt hätten. Aber wenn Hawking sage, das Universum habe sich selbst erzeugt, personifiziere er insgeheim die Gesetze der Physik. Der Gravitation werde die Schöpferrolle zugesprochen. "Anders gesagt, er erzählt uns einen Mythos in der Sprache der Physik."

Kaeser schreibt weiter: "Daran wäre an sich nichts auszusetzen, verbände Hawking damit nicht den Anspruch, die Wissenschaft habe die Mythologie überwunden." Hawking unterminiere mit seiner Argumentation die Autorität, die Wissenschaft in unserer Gesellschaft habe. Die "theologischen Eskapaden" des britischen Physikers seien teilweise "lächerlich", so Kaeser. "Er bringt eine ganze Disziplin, ein über dreihundertjähriges Ethos in Verruf." Dieses wissenschaftliche Ethos, festgehalten etwa 1663 in den Statuten der Royal Society, besage, dass die Natur ohne Theologie oder Metaphysik betrieben werden müsse. Genau das habe Hawking mit seiner Theorie aber getan, er habe die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Theologie in seinem Buch verwischt. "Er macht sich anheischig, als Wissenschaftler Dinge zu beweisen, die mit seiner Wissenschaft nicht beweisbar sind."

Kaeser nennt Hawking einen "großen Physiker der Gegenwart", doch seine "Auftritte als Physiker außer Dienst" hätten nichts mit Wissenschaft zu tun, "sondern mit Wissenschaftsvermarktung". Hawking habe in einem Interview einmal gesagt, dass er Fragen nach Gott und seinem Glauben nicht möge. Doch beim Versuch, Gott "aus dem Universum hinauszubeweisen", bediene er durchaus ein religiöses Bedürfnis.

Das Phänomen wiederhole sich regelmäßig, beaobachtet Kaeser: "Ein atheistischer Wissenschaftler stellt Thesen auf, die der kirchlichen Lehre widersprechen, und die Kirche weist sie vehement zurück; ein theistischer Forscher stellt Thesen auf, die der wissenschaftlichen Lehre widersprechen, und die Wissenschaft weist sie vehement zurück." Kaeser schlägt vor: "Die Wissenschaft täte gut daran, sich kritisch mit ihren spezifischen Erklärungsweisen, zumal mit Fundamentalismen im eigenen Lager, zu beschäftigen, zu denen das Projekt ‚letzte Theorie‘ gehört." (pro)

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