Wenn Medien abhängig machen

Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer Welt auf, aus der Medien nicht mehr wegzudenken sind. Aber die Bildschirmwelten bringen Nebenwirkungen und Risiken mit sich, die Heranwachsende nicht erkennen. Seit Jahren warnen Experten vor einem ausufernden Medienkonsum und dem immer stärker werdenden Sog, den die wachsenden technischen Möglichkeiten ausüben. Besonders die Gefahr der Computer- oder Mediensucht können junge Menschen nicht einschätzen.
Von PRO

Von Ellen Nieswiodek-Martin

Die ZDF-Sendung „37 Grad“ porträtierte in seiner Reportage drei Jugendliche, deren Leben eine Zeit lang überwiegend am Bildschirm stattfand. Der 17-jährige Lukas flüchtete sich vor den Problemen mit Schule und Freundin ein Jahr lang in die virtuelle Spielwelt von „World of Warcraft“. Er spielte regelmäßig die Nächte durch, meldete sich in der Schule krank, um Zeit fürs Online-Rollenspiel zu haben. Im Spiel erlebte er Gemeinschaft, Anerkennung und Erfolg sowie einen enormen sozialen Aufstieg innerhalb der Spielergemeinschaft. „Wenn man spielt, dann ist man wirklich in dieser Fantasywelt und realisiert nicht mehr, was um einen passiert“ sagt er im Rückblick. „Es liegt nicht an den Spielen, sondern an einem selbst, ob man süchtig wird.“ Inzwischen hat Lukas seine Software und den virtuellen Spielcharakter verkauft. Er hat sein Leben radikal geändert und dadurch neue Freunde und ein neues Hobby gefunden.

Felix schaffte diesen Sprung nicht alleine. Der Zehnjährige verbrachte seine Nachmittage meistens mit einem Nutellabrot allein vor dem Fernseher. Draußen zu spielen war ihm zu kalt, zu nass und zu anstrengend. Als Felix immer dicker und frustrierter wurde, erkannte die Mutter, dass ihr Sohn ernsthafte Probleme hatte und ging mit ihm zum Arzt. Damit ging sie den ersten Schritt zu einer Veränderung. Oftmals erkennen Eltern die Gefährdung durch den exzessiven Medienkonsum aber nicht, oder stehen dem hilflos gegenüber. Den mediengeprägten Kindern mangelt es oftmals an Beweglichkeit, Geschicklichkeit und vor allem am Selbstvertrauen. In einer Ergotherapie verbesserte Felix sein Selbstwertgefühl und wurde wieder beweglicher.

Schlechtere Konzentration durch Gewalt-Spiele

Auch der WDR beschäftigte sich in der Sendung „Quarks & Co – Wieviel Bildschirm verkraften unsere Kinder?“ am Dienstag mit den Auswirkungen von Medien auf Kinder. Hier wurden auch Studienergebnisse des kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen vorgestellt. Bei einer Studie mit 360 Versuchspersonen zwischen 18 und 25 Jahren hatten die Forscher festgestellt, dass gewalthaltige Computerspiele die Konzentrationsfähigkeit der Spieler massiv beeinträchtigen. Die Probanden, die ein Gewalt-Spiel gespielt hatten, zeigten anschließend nur 77 Prozent der Konzentrationsleistung im Vergleich zu der Kontrollgruppe, die nicht vor einem Bildschirm gesessen, sondern Tischtennis gespielt hatte.

Der Medienpädagoge Stefan Aufenanger von der Universität Mainz hält es für wichtig, wenn Kinder schon früh im Umgang mit Medien fit gemacht werden. Dadurch beuge man einem wahllosen Medienkonsum vor. Studien hätten gezeigt, dass Kinder gezielter mit Medien umgehen können, je früher sie damit in Kontakt kämen.

Wieviel Menschen sind bereits süchtig?

Dieser Frage ging auch „Quarks & Co“ nach und verwies auf die Zahlen, die die Berliner Charite bereits im Jahr 2004 vorgelegt hatte. Danach erfüllte fast jeder zehnte der befragten Sechstklässler die Kriterien für exzessives Verhalten, müsse also als süchtig eingestuft werden. Besonders die virtuellen Spielwelten, die mit mehreren Spielern gespielt werden, üben einen starken Sog aus. Obwohl Erziehungsberatungsstellen eine deutliche Zunahme an Fällen von Mediensucht bei Heranwachsenden beobachten, stellt diese für die Krankenkassen keine anerkannte Sucht-Erkrankung dar. Dabei beschränkt sich Computerspielsucht oder Mediensucht nicht auf Kinder. Auch fünf Prozent der über 18-Jährigen müssen als abhängig bezeichnet werden. Der Soziologe Udo Thiedecke und seine Kollegen von der Universität Mainz hatten dazu im Jahr 2005 10.000 Menschen zu ihrem Spielverhalten befragt.

Eltern von medienbegeisterten Kindern raten Experten dazu, das Verhalten des Kindes genau zu beobachten. Verbringt es zunehmend mehr Zeit in der virtuellen Welt? Kapselt sich das Kind ab, oder hat es genügend reale Kontakte? Als Hilfestellung für Eltern bietet „Quarks & Co.“ eine Checkliste im Internet an. Diese wurde erstellt von der Medizinpsychologin Sabine Grüsser-Sinopoli von der Suchtforschungsgruppe der Universität Mainz.

Die Sendung „Quarks & Co -Wieviel Bildschirm verkraften unsere Kinder?“ wird am Samstag, den 8. Dezember 2007, um 10.20 Uhr wiederholt. Wer nicht so lange warten möchte, findet den Video-Podcast unter WDR.de.

Mehr zu den Themen Computersucht und virtuelle Rollenspiele lesen Sie auch in dem Buch aus der Pro-Wertebibliothek: „Kinder in der Mediengesellschaft“ von Ellen Nieswiodek-Martin, Hänssler Verlag, 7,95 Euro.

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