Wenn Intolerante Toleranz fordern

Einerseits klagen Vertreter mehrheitlich muslimischer Staaten über die Entscheidung der Schweizer, Minarette zu verbieten. Andererseits würden dieselben Staaten Christen "systematisch diskriminieren", urteilt die Tageszeitung "Die Welt" in gleich zwei Artikeln. Die Zeitung fasste zusammen, wie es Christen in muslimischen Ländern ergeht.
Von PRO
Eine Mehrheit von 57,5 Prozent sprach sich am Sonntag vergangener Woche für ein Referendum namens "Gegen den Bau von Minaretten" aus. Demnach soll nun die Bundesverfassung um den Zusatz erweitert werden: "Der Bau von Minaretten ist verboten" (Art. 72 Abs. 3). In der Schweiz leben etwa 400.000 Muslime.

Die Initiatoren geben zu, dass ihr Referendum nicht nur den Bau von hohen Türmen betreffe, von denen der Muezzin Muslime fünfmal täglich zum Gebet rufe. "Das Minarett ist Symbol jenes religiös-politischen Macht- und Herrschaftsanpruches, der im Namen behaupteter Religionsfreiheit Grundrechte anderer – insbesondere die Gleichheit aller vor dem Gesetz – bestreitet", heißt es in der Begründung der Autoren des Referendums. "Jedem Versuch, Elemente des Scharia-Rechts in der Schweiz durchzusetzen, wurde mit dem Ja zum Minarettverbot eine kompromisslose Absage erteilt."

Freilich dürfen in der Schweiz auch nach dem Volksentscheid weiterhin Moscheen gebaut werden. Mit dem Bau von Kirchen in islamischen Ländern sieht es hingegen nicht so einfach aus, berichtet die "Welt". "Überall in der islamischen Welt sehen sich Christen zunehmend diskriminiert, verfolgt und mit dem Tod bedroht", heißt es in einem Artikel vom Samstag unter der Überschrift "Das schwere Los der Christen im Islam".

Protest aus der Türkei

Nachdem die Schweizer das Minarett-Verbot beschlossen hatten, rief der türkische Europaminister Muslime weltweit auf, ihr Geld aus der Schweiz abzuziehen – und in der Türkei anzulegen. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül geißelte die Entscheidung als eine "Schande für die Schweizer" und sprach von einem Zeichen dafür, wie "die Islamophobie in der westlichen Welt um sich greift" und vom "zunehmenden rassistischen und faschistischen Haltung in Europa".

Religions- und Meinungsfreiheit seien Grundrechte der Menschheit, die nicht zur Abstimmung gestellt werden dürften, sagte Erdogan im türkischen Parlament. Doch sein eigenes Land verwehre bis heute religiösen Minderheiten die freie Religionsausübung. "Offiziell herrscht in der Türkei Religionsfreiheit – aber noch immer gibt es zahlreiche Beeinträchtigung, so das staatliche Verbot, Pfarrer und Religionslehrer auszubilden. (…) Christen werden gegenüber Muslimen, die uneingeschränkte Kultusfreiheit genießen, grundsätzlich benachteiligt: Bibeln und religiöse Traktate dürfen auf den Straßen nicht verteilt werden, Prozessionen und christliche Straßenfeste sind verboten, die Behörden erteilen christlichen Rundfunksendern grundsätzlich keine Lizenz."

Christen hätten seit 2003 ein Recht auf die Einrichtung von "Gebetsstätten". "Dies könnte vor allem die sehr aktiven freikirchlichen Gemeinden der Türkei begünstigen. Da Religionsgemeinschaften in der Türkei rechtlich noch immer nicht anerkannt sind, mussten bislang Wohnungen oder Ladengeschäfte von Privatpersonen angemietet werden, um dort Gottesdienste zu feiern, oft unter polizeilicher Beobachtung." Kirchtürme seien im türkischen "Stadtplanungsgesetz" nicht vorgesehen. Und regelmäßig weigerten sich Gouverneure und Gemeinden, die Genehmigungen für den Bau christlicher Kirchen zu erteilen.

Auch in anderen Ländern gehen die Empörung über das "intolerante" Schweizer Urteil und die Praxis im eigenen Land auseinander:  "Der ägyptische Obermufti Ali Guma wollte in dem Verbot eine Beleidigung der Muslime weltweit erkennen – und verschweigt, dass Ägypten die christlichen Kopten noch immer als Bürger zweiter Klasse behandelt. Und in Indonesien, das von einer gewalttätigen Islamisierungswelle heimgesucht wird, wertete man die Entscheidung pauschal als ‚Ausdruck des Hasses der Schweizer gegen die Muslime‘." Im Irak wurden seit dem Sturz Saddam Husseins vor sechs Jahren Tausende Christen getötet und Hunderttausende mussten das Land fluchtartig verlassen. "Allein in diesem Jahr sind bei Brandanschlägen auf sieben Kirchen und Überfällen auf Christen Dutzende Menschen ums Leben gekommen."

Intoleranz gegenüber Christen in muslimischen Ländern

Die "Welt" veröffentlichte am Donnerstag einen Überblick über die Situation von Christen in mehrheitlich muslimischen Ländern. Rund zehn Millionen Christen leben demnach in Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit. "Nirgendwo ist ihnen freie Religionsausübung, Kirchenbau oder unbeschränkte Gemeindearbeit gestattet."

In Marokko sind 1,1 Prozent der Gesamtbevölkerung Christen.  "Das Läuten der Kirchenglocken ist seit 1960 offiziell verboten. Es wird als Werbung für den christlichen Glauben angesehen, was untersagt ist." Dabei heiße es in der Verfassung des Staates: "Der Staat garantiert die freie Religionsausübung für Jedermann." Generell könnten Christen ohne Beschränkungen ihren Glauben ausüben. Probleme gebe es nur bei Missionierung und Konversion vom Islam zum Christentum.

In Ägypten seien etwa zehn Prozent der 77 Millionen Bürger Christen; Spannungen gibt es vor allem zwischen Muslimen und Kopten. In der Türkei leben rund 150.000 Christen, das sind 0,3 Prozent der Bevölkerung. Tausende Kirchen hat sich der türkische Staat durch Enteignung einverleibt. "Grundsätzlich gilt für alle Religionsgemeinschaften in der Türkei, dass sie keine eigenständige Rechtsperson darstellen und somit nicht selbst Eigentum erwerben können, also auch keine Kirchen bauen können." Das gelte auch für  islamische Gemeinden. "Es sind vor allem evangelikale Gruppen (Freikirchen), die für ihre rund 4.000 Konvertiten in der Türkei neue Gotteshäuser brauchen. Auch sie etablieren sich vor allem als Vereine."

Saudi-Arabien ist sehr intolerant gegenüber Andersgläubigen. "Es ist in Saudi-Arabien offiziell verboten, eine andere Religion als den Islam öffentlich zu praktizieren." Der Koran ist die Verfassung Saudi-Arabiens, das Scharia-Gesetz ist Grundlage aller Rechtsprechung. "Auf den Übertritt vom Islam zum Christentum steht die Todesstrafe, Bibeln sind verboten." In dem Land leben mindestens eine Million christliche Gastarbeiter, jedoch gibt es keine einzige Kirche.

Von den 66 Millionen Einwohnern des Iran sind ungefähr 300.000 Christen. Obwohl der schiitische Islam Staatsreligion ist, werden in der Verfassung einige religiöse Gruppen – darunter auch die Christen – anerkannt. So gibt es immerhin 600 Kirchen im Iran. Dazu gehören 10.000 bis 15.000 Anhänger protestantischer Strömungen, "gegen die das Regime seit einigen Jahren verstärkt vorgeht": Festnahmen, Einschüchterungen und Kirchenschließungen gibt es immer wieder. Am 9. September hat nun das iranische Parlament für die Einführung der Todesstrafe für Menschen gestimmt, die sich vom Islam abgewendet haben. Der Entwurf könnte noch in diesem Jahr Gesetz werden.

In Indonesien leben  19 Millionen Protestanten und acht Millionen Katholiken. Die Verfassung des südostasiatischen Inselstaates garantiert religiöse Freiheit, allerdings ist der Bau von Kirchen streng reguliert: Voraussetzungen für den Bau einer Glaubensstätte sind seit 2006 die Unterschriften von 90 Erwachsenen sowie die Zustimmung von mindestens 60 Personen anderen Glaubens aus der Nachbarschaft.

RTL über Baptisten in Izmir

Der Privatsender RTL strahlt am heutigen Montag um 22.15 eine Sendung zur Situation von Christen in der Türkei aus. Die Sendung "RTL Extra" berichtet von einer baptistischen Gemeinde in Izmir berichten. Der Pastor kam in einem Bibelkreis in Nagold zum Glauben.  (PRO)
http://www.welt.de/politik/ausland/article5416934/Das-Kreuz-in-den-Laendern-des-Halbmondes.html?page=1
http://www.welt.de/politik/ausland/article5436121/Das-schwere-Los-der-Christen-im-Islam.html
Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen