Das Argument von Kritikern an gewalthaltigen Videospielen ist immer wieder, dass der Spaß an den so genannten "Killerspielen" vor allem darin besteht, Menschen zu erschießen. "Nein!", erwidern die Spiele-Fans, es gehe um mehr als das. Nun ist jedoch ein Computerspiel erschienen, das ein Tabu gebrochen hat und den Namen "Killerspiel" völlig zu Recht verdient.
Von PRO
Foto: pro / Activision Blizzard
Eine Szene aus dem neuen Computerspiel "Call of Duty: Modern Warfare 2" sorgte bereits für Aufsehen in der Spieler-Szene, als das Spiel selbst noch gar nicht auf dem Markt war. Ein Video war vorab bei Youtube aufgetaucht, und es zeigt einen Tabubruch: Erstmals schlüpft der Spieler nicht in die Rolle eines "Guten", eines Soldaten etwa, der gegen Terroristen kämpft. Stattdessen wird der Spieler selbst zu einem Terroristen, und gleich zu Beginn des Spiels schießt er in einem Flughafen auf wehrlose, unbewaffnete Zivilisten. Damit sägt die Computerspielbranche an dem Ast, auf dem sie sitzt, mahnen Insider.
Das Spiel aus dem Hause "Activision Blizzard" erschien im November 2009. Dass hier Dutzende schreiender, bettelnder und fliehender Zivilisten abgeknallt werden, war sogar vielen Spiele-Magazinen und Spielefans zu viel. Ein User schreibt in den Kommentaren zur Spiele-Sendung "Game One": "Ich hab das Spiel ab der Szene nicht weiter gespielt, weil ich da einfach keine Lust mehr hatte." Ein anderer bemängelt, dass die Gewalt-Szene keinen Sinn ergebe: "Anstatt diese Szene zu spielen hätte einfach ein kleiner Kurzfilm gebracht werden können, das hätte die Story auch gut genug rübergebracht."
Der Spieler von "Modern Warfare 2" ist als amerikanischer Doppelagent mit russischen Terroristen unterwegs. In einem fiktiven Moskauer Flughafen begleitet er die Männer, als diese das Feuer auf wartende Passagiere, Personal und Polizisten eröffnen.
Original-Version in Deutschland verboten
Die deutsche Version unterscheidet sich von der amerikanischen allerdings darin, dass der Spieler während der Flughafen-Mission nicht auf Zivilisten schießen kann. Versucht er es, ist das Level zu Ende. Dasselbe gilt übrigens auch für die japanische Fassung. Doch auch als Unbeteiligter ist er dem Gemetzel ausgesetzt. "Als Spieler beobachtet man, wie alle fliehenden oder schon am Boden kriechenden Menschen kaltblütig erschossen werden – und das knapp drei Minuten lang", so "4Players". Dass der Spieler die Wahl hat, die Mission zu überspringen, habe keine Bedeutung, so der Experte: "Gibt es eigentlich eine bessere Aufforderung, sich gerade das besonders gut anzusehen? Was für ein (…) heuchlerischer Schutzmechanismus! Der Mensch ist doch von Natur aus so neugierig." Die Szene sei unter anderem deshalb so drastisch, weil man "so etwas in der Spielewelt nicht oft sieht, weil so etwas den pubertären Hauch des Illegalen verströmt, weil es zum entsetzten Spannen animiert: Boah, das trauen die sich – cool!"
Die deutsche Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) hat das Spiel ab 18 freigegeben. Die ungeschnittene US-Version hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt. Das umfasst ein strafrechtliches Verbreitungsverbot nach Paragraf 131 des Strafgesetzbuchs wegen "Verherrlichung oder Verharmlosung" von Gewalt. Experten wissen jedoch: Wer sich in Deutschland die internationale Version unbedingt besorgen will, bekommt sie auch.
Brutalität schadet der Spiele-Branche selbst
Ein Kritiker der Monatszeitschrift für Computerspiele "GameStar" schreibt: "Mich erschüttert, mit welcher Hemmungslosigkeit Modern Warfare 2 das Flughafen-Massaker zeigt. (…) Die Entwickler beweisen damit jeglichen Mangel an Feingefühl." Der Rezensent spricht von "Effekthascherei".
Der Hersteller "Activision" rechtfertigte die Spielszenen so: "Die Szene zeigt den Grad der Bosheit und Kaltblütigkeit eines russischen Bösewichts und seiner Einheit. Indem wir dies zeigen, erhöhen wir den Druck auf den Spieler, ihn in den anderen Missionen zu stoppen (…) Der Spieler hat die Möglichkeit, die Szene zu überspringen. Am Anfang des Spiels gibt es hierfür zwei Checkpoints in denen der Spieler darauf hingewiesen wird, dass einer der folgenden Spielabschnitte verstörend wirken kann."
Die Moderatoren der Spiele-Sendung "Game One" von MTV setzten sich angesichts des Tabubruchs eigens zu einer Diskussionsrunde vor der Kamera zusammen. Moderator und Spiele-Experte Simon Krätschmer zeigt sich entsetzt über die brutalen, "menschenverachtenden" Szenen. Er bemängelt, dass derartige Szenen Futter liefere für die Kritiker, die so genannten "Killer-Spielen" eben jene sinnlose Brutalität gegen Wehrlose vorwerfen. Dabei würden sich die meisten Ego-Shooter um Taktik, Strategie und gemeinsame Strategieentwicklung drehen. Mit "Modern Warfare 2" könnten die Kritiker nun jedoch ein Beispiel dafür nennen, dass es manchmal eben doch so sei. "Meiner Ansicht nach ist das eine vom Hersteller finanziell motivierte PR-Aktion gewesen – auf Kosten aller Spieler und Spiele-Entwickler", so Krätschmer. Deswegen sei innerhalb der Branche derzeit wohl niemand verhasster als die Autoren von "Modern Warfare 2".
Die vier Spiele-Experten der Sendung sind sich einig, dass das Abschießen der Zivilisten für die Spielhandlung nicht notwendig gewesen wäre, sondern lediglich als Grenzüberschreitung dienen sollte, um das Spiel bekannter zu machen. Wer als Anwender das Abschlachten unterlasse, komme im Spiel trotzdem weiter. Co-Moderator Daniel Budimann spricht daher von einer "Farce". In Bezug auf Amokläufe fragte einer der Redakteure: "Was für eine Verantwortung hat so ein Entwickler von so einem Spiel? Er weiß, dass sich sein Spiel millionenfach verkauft, und dass unter den Käufern auch Jugendliche sein können, die sehr einfach zu beeinflussen sind und die unheimlich gerne mit solchen Waffen schießen wollen."
Schon fünf Tage nach der Veröffentlichung erwirtschaftete "Activision Blizzard" den Großteil des Umsatzes, nämlich 550 Millionen US-Dollar. Inzwischen hat "Modern Warfare 2" rund eine Milliarde US-Dollar umgesetzt und ist damit das erfolgreichste Spiel aller Zeiten. (pro)
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