Wenn Computerspielen zur Qual wird

Computerspielsucht ist ein bekanntes Problem – doch Ausmaße und Verbreitung sind den wenigsten bewusst. Immer mehr Betroffene oder Angehörige wenden sich hilfesuchend an Beratungsstellen, schreibt der Berliner Sozialpädagoge Jannis Wlachojiannis vom Caritas-Projekt "Lost in Space" in der Tageszeitung "Die Welt".
Von PRO

„World of Warcraft“ (Welt der Kriegskunst) lautet der Titel eines Computerspiels, das einen 19-jährigen Deutschen so fesselte, dass er innerhalb von zwei Jahren zusammengerechnet 300 Tage vor dem Bildschirm verbrachte. Als er sich schließlich an das Hilfsprojekt „Lost in Space“ (Verloren im virtuellen Raum) wandte, sei er völlig blass und bereits deutlich untergewichtig gewesen, schreibt der Sozialpädagoge Wlachojiannis von „Lost in Space“, einem Projekt der Caritas. Das Spiel faszinierte ihn so sehr, dass er vergessen habe zu essen. Er spielte Tag und Nacht Computer, flog von der Schule und lebte dann einige Zeit von Hartz IV. Als er seine Rechnungen nicht mehr zahlen konnte, sei ihm der Strom abgedreht worden. Sein einziger Gedanke sei das Spiel gewesen, das ihm ein Glücksgefühl gab. Für dieses Hochgefühl verbrachte er immer mehr Zeit vor dem Bildschirm.

Spielen bis zum Exzess

Manchmal gehe die Sucht sogar so weit, dass die Spieler den Computer nicht einmal mehr verließen, um auf Toilette zu gehen, so Wlachojiannis. Stattdessen benutzten sie Flaschen, um beim Spielen nichts zu verpassen. „Es droht der totale Realitätsverlust. Süchtige fallen aus der Zeit. Schüler kommen nach den Ferien eine Woche zu spät in die Schule, Angestellte vergessen, nach dem Wochenende wieder zur Arbeit zu gehen.“ Um sich während des Spielens körperlich „fit“ zu halten, rauchten die Süchtigen und nähmen exzessiv Kaffee zu sich. „Irgendwann merken sie, dass es da draußen im ‚Real Life‘, wie sie es nennen, nichts mehr gibt, was ihnen Freude macht. Das Computerspiel ist für sie alternativlos geworden“, erklärt Wlachojiannis. Wertvolle Lebenszeit und wichtige Erfahrungen würden versäumt. Oft seien auch bestimmte kognitive oder motorische Fähigkeiten unterentwickelt.

Faszination Taktik

Doch nicht nur Jugendliche verfielen dem Spielwahn. Zwar bildeten die 16- bis 25-Jährigen die Kerngruppe der Betroffenen, doch gehörten auch 30- bis 50-Jährige zur Beratungsgruppe des Caritas-Projekts. Gerade Männer dieser Altersgruppe seien vermehrt durch den Konsum von Internetpornografie gefährdet. „Wir haben Männer beraten, die durch Internetpornografie ihre Beziehungen, ja ihre Familie gefährdet haben. Einer saß jeden Tag bis zu zehn Stunden vor dem Bildschirm.“ Zudem würden die sexuellen Bedürfnisse der Betroffenen durch die pornografische Bilderflut immer extremer und unrealistischer.

Praktische Hilfestellungen

In den angeleiteten Gruppensitzungen von „Lost in Space“ können sich die Betroffenen gegenseitig Hilfestellungen geben. Oft gehe es darum, den Tagesablauf völlig neu zu strukturieren. Vorsätze wie: „Wenn ich morgens aufstehe, mache ich zuerst die Kaffeemaschine an und kaufe eine Zeitung – und schalte nicht sofort den Rechner an“ sollen die Suchtkranken davor bewahren, ins Spielen und sinnlose Surfen abzudriften. Zudem gebe es Sicherheitsprogramme, mit denen sich bestimmte Seiten blockieren lassen.

„Lost in Space“ ist ein Beratungsangebot, das sich an alle Menschen richtet, die Probleme im Umgang mit den Medien, Internet und Computer haben oder als Angehörige Unterstützung suchen.

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