„Weichspül-Orgie der Sprache – als wären die Predigten in Lenor gewaschen“

Die deutsche Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat Religionswissenschaft studiert, und der Glaube ist immer wieder Thema auch in ihren Werken. In einem Interview des Deutschlandfunk (DLF) hält sie nicht hinterm Berg mit ihrer Kritik an den Kirchen. Vor allem die „weichgespülten“ Predigten, die nicht mehr vom Jenseits handeln, stoßen ihr übel auf.
Von Jörn Schumacher
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff kritisiert den „Kaugummiton“ in „weichgespülten“ Predigten in den Kirchen, in denen nur noch vom Diesseits die Rede sei

Das Thema Sterblichkeit habe in den vergangenen Monaten zu wenig Raum in der öffentlichen Debatte gefunden, sagt Lewitscharoff, trotz Corona. Auch die Kirchen hätten zum Thema Tod nicht viel gesagt. „Die Kirchen sind ja so was von lendenlahm im Predigen“, sagt Lewitscharoff im Interview von DLF für die Sendung „Tag für Tag“.

Lewitscharoff: „Die verstehen ja vom Tod eigentlich gar nichts mehr. Das ist ja schrecklich. Die sind ja so aufs Diesseits fixiert, die Protestanten noch schärfer als die Katholiken. Aber die Katholiken sind ganz auf diesem Wege auch. Im Grunde hat sich eine areligiöse Gesellschaft in den Kirchen breitgemacht, weil sie vom Jenseits überhaupt keine Vorstellung mehr haben.“ Sie fragt: „Haben Sie mal eine Predigt gehört, die irgendwie von da oben überhaupt handelt? Also, ich wüsste nicht.“

Predigten im „Kaugummiton“ oder „wie Eismasse“

Öfter höre sie Predigten im Radio oder gehe in die Kirche. „Es gibt die Hoffnung auf Erlösung nicht in irgendeiner Form“, sagt die Schriftstellerin. „Das Gottvertrauen wird beschworen. Ja. Aber worauf vertraut man denn, wenn es nicht ein wirkliches Leben und ein erfülltes Leben nach dem Tod gibt? Und was bedeutet überhaupt Erlösung? Das ist doch eine interessante Frage. Darüber kann man doch predigen.“

Allerdings gebe es natürlich auch einzelne gute Prediger, gibt Lewitscharoff zu verstehen. Und die kirchliche Bindung sei ihr wichtig, denn sonst gerate man „in die Fänge einer Privatreligion“. Deswegen sei sie auch nie aus der evangelischen Kirche ausgetreten, sagt Lewitscharoff. „Ich fühle mich eher aufgerufen, mal was zu sagen, aber nicht den Zusammenhalt zu verlassen. Das möchte ich nicht.“

Zu den Predigten sagt sie: „Sie dürften sich nicht immer gedanklich an den Allerdümmsten wenden.“ Natürlich müsse eine Predigt verständlich sein. Aber: „Die Sprache ist auch so verkommen. Und das ist bei den Protestanten ja schlimm, denn die sind ja stärker auf die Predigt angewiesen als die Katholiken. Bei den Protestanten ist es wie Hagelwetter, wenn jemand dumm predigt oder es einfach nicht kann, ja. Und das ist sehr häufig der Fall.“

Sie störe sich zudem am „Kaugummiton“, so Lewitscharoff. Das sei „wie eine verhübschte Eismasse“. So habe auch die Religion selbst „jede Form von Schärfe eingebüßt, also, dass man das Leben auch verwirken kann, dass es Sünde gibt“. Von Sünde rede „kein Mensch mehr“, kritisiert die Schriftstellerin. „Es ist einfach so eine Weichspül-Orgie der Sprache. Als wäre die Predigt in Lenor gewaschen. Das regt mich so auf. Es hat nicht die verbindliche Konkretion mehr. Der Begriff der Sünde ist vollkommen verwaschen, ja. Es gibt aber Mord und Totschlag. Es gibt doch alles nach wie vor.“

Die 1954 in Stuttgart geborene Sibylle Lewitscharoff ist seit rund 20 Jahren als Schriftstellerin tätig. Ihre 1998 veröffentlichte Erzählung „Pong“ wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, 2013 erhielt sie den Georg-Büchner-Preis. Seit 2005 ist sie Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Sie studierte Religionswissenschaft, und Religion, der Tod und das Jenseits spielen immer wieder eine Rolle in ihrem Werk. „Ich war ein sehr frommes Kind“, sagt sie im Interview des DLF. „Ich habe immer sehr gerne zu Jesus und Gott gebetet.“ Dieser Kinderglaube sei ihr abhanden gekommen, aber eine „spekulative Gottsuche“ habe „wieder begonnen“.

Von: Jörn Schumacher

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