In Deutschland zählten Kinder hauptsächlich als Rechenfaktor, zunächst als schreiende Störung, dann als Kostenmacher und später als hoffnungslos überforderte Rentenzahler, beklagt Stürmer. "Kein Wunder", schreibt er, "dass in deutschen Landen Kinder sich rarmachen und die Erkenntnisse der Demografie die Menschen beunruhigen, wenn sie an das Morgen denken." Kinder hätten keine Lobby, auch wenn viel Geld, mehr als je zuvor, in Kinderbetreuung, Ausbildung und Bildung gehe. Stürmer stellt in seinem Beitrag eine "opportunistische, vergreisende Stimmungslage" fest, "auf die sich Politiker und Wähler längst stillschweigend geeinigt haben". Ein Symptom dieser Stimmung: "Es braucht ein Gerichtsurteil, um durchzusetzen, dass das natürliche Lärmen von Kindern in der Nachbarschaft – wir sprechen nicht vom dröhnenden Hämmern fortgeschrittener Gartenpartys – hinzunehmen ist und nicht griesgrämigen Charakteren als Beschwerdegrund dienen kann."
Hinzu komme, "dass für die meisten Frauen – ‚im gebärfähigen Alter‘, wie es abschreckend technokratisch heißt – Kinder und Karriere sich tatsächlich schlecht aufeinander reimen und, wenn eine Frau ‚gesegneten Leibes‘ daherkommt, wie die Altvorderen sagten, die Personalabteilung zuerst einmal die Kosten sieht und nach einer diskreten Form der Vertragsauflösung sucht." Familien mit Kindern hätten es notorisch schwerer als unbeschwerte junge Paare, eine Wohnung zu finden.
"Kinder versprechen emotionalen Reichtum"
Stürmer prognostiziert: "Die einst die 68er waren und keinem über 30 trauten, gehen einem einsamen Herbst entgegen." Vorbei sei die Zeit der Pille, des Rundumflirts und der technischen Unverbindlichkeit. "Die Entscheidung für Kinder bedeutet unweigerlich, Verantwortung zu übernehmen für mehr als das eigene Leben", schreibt er. "Das ist ein ernster Schritt und ohne Kündigungsklausel, und zudem ein Zeichen, dass der süße Vogel Jugend dabei ist, vom Dach zu fallen." Aber er verspreche auch emotionalen Reichtum, bewusstes Leben, erfüllte Zeit – und manchmal mehr von Letzterer, als den Beteiligten lieb sei.
Der Historiker beklagt nicht nur den Status quo, sondern stellt sich auch der Frage: Gibt es Abhilfe? Sie komme nicht aus den haushaltspolitischen Verteilungskämpfen, wo Kinder keine Stimme hätten und Leute mit vielen Kindern eher als Problemfall aufträten denn als Inbegriff neuen Lebens, antwortet er. Und weiter: "Sie kommt aus der Erinnerung, was Lebenserfüllung bedeutet, und an das, was einmal ohne Ironie Kindersegen hieß und jene Zuwendung schafft, die im Verströmen sich vermehrt." Sie käme aber auch aus der unentrinnbaren Gewissheit, dass eines Tages Einsamkeit unter Silberhaar winke, wenn es an Kindern und Enkeln gebräche, die niemals geboren worden seien. "Die Kinder, die vor vielen Jahren weggewünscht wurden, können niemals kommen und dem Alter Trost bringen. Zu spät."
Stürmer appelliert an Bundespräsident Wulff, sich des Themas anzunehmen. Wulff suche bis heute nach einem Leitmotiv, das mit ihm unverwechselbar verbunden wäre. "Dabei ist er doch der Erste, der mit seiner jungen Frau im Schloss Bellevue eine Kinderecke hat einrichten lassen. Das größte aller Themen, ob im Seelenhaushalt der Deutschen oder in der Sozialversicherung, hat er damit, wenn er genug gereist ist, jeden Tag vor Augen." (pro)