„Was passiert, wenn ein Jude ein Gummibärchen isst?“

Was im ersten Moment wie die Einleitung eines scharfsinnigen jüdischen Witzes klingt, ist in diesem Fall eine der über 50 Kinderfragen zu den fünf Weltreligionen aus dem Buch „Wie heißt dein Gott eigentlich mit Nachnamen?“ Ein gewagter Versuch, aber sicherlich bereichernd. Eine Rezension von Tobias Becker
Von PRO
Kinder versuchen, Buddha mit Luftballons nachzustellen

Auf knapp 170 Seiten versuchen die Journalistin Jane Baer-Krause und ihr Team von Experten die fünf Weltreligionen respektvoll und kindgerecht vorzustellen. Die 70 Fragen sind aus dem Internetprojekt für Kinder „religionen-entdecken.de“ entnommen. Auch kritische Fragen werden nicht ausgespart. So hinterfragen die Autoren die ungleiche Rollenverteilung von Mann und Frau in der Katholischen Kirche, ebenso wie das Kastensystem in Indien. Auf die Frage wie heiß es in der Hölle wirklich sei, karikieren die Religionsexperten mittelalterliche Prägungen und verweisen auf das moderne Verständnis von der Hölle als „Ort der Gottesferne“.
„Für viele Christen ist die Hölle ein Ort, an dem Gott nicht ist. Dieser Ort steckt oft in den Menschen selbst. Nämlich dann, wenn sie nicht mehr an die Liebe und an das Gute glauben, sondern wenn Hass, Eifersucht, Neid oder Gier in ihnen wüten, wenn sie sich gegenseitig verletzen, miteinander streiten oder einfach nur an sich selbst denken“, heißt es im Buch.
Zur Frage, ob sich alle nach dem Tod wiedertreffen, formulieren die Religionswissenschaftler vorsichtiger. Laut der „ Mehrheitsmeinung“ von Juden und Christen würden sich alle dort wiedersehen. Tendenzen zur Allversöhnung sind unverkennbar und sind dem diplomatischen Interesse geschuldet. Nur Muslimen wird in dieser Frage Unsicherheit zugestanden, da alles von der Gnade Allahs und dem Lebenswandel des Gläubigen abhängig sei.

Die verschiedenen Weltreligionen sind in ihrem Kern pazifistisch

Weiter sei es das höchste Ziel aller Religionen „Liebe, Glück und Frieden auf der Welt“ zu verbreiten. Das klingt versöhnlich, spart aber schwerwiegende inhaltliche Konflikte aus. Bei manchen Antworten gewinnt der Leser den Eindruck, dass die Religionen in ihrem Ursprung rein pazifistisch orientiert seien und nur an der Praxis scheiterten. Folglich sei Israels Kampf um „das Heilige Land“ nur eine jüdische Ideologie, die den Frieden im Nahen Osten verhindere.
Oftmals sind die Antworten auf schwierige Fragen auch pragmatisch. Folglich sei einer der Gründe, warum wir sterben, dass es nicht genügend Platz auf der Erde gebe. Viele Muslime tränken keinen Alkohol, weil dieser benebele und zum Kontrollverlust führe und die indische Kuh sei heilig, weil sie das von Armut geprägt Land Indien mit lebensnotwendigen Dingen versorge.

Die religiöse Erfahrungsebene als gemeinsame Basis

Bekenntnisse zu christlichen Grundüberzeugungen werden, bis auf die genannten Ausnahmen, nicht relativiert. Der kindliche Glaube an Jesu Auferstehung, an einen Schöpfergott und die Kraft des Gebets sind folglich eine mögliche Option, die andere respektieren sollten. In ähnlicher Weise werden Glaubensansichten von anderen Religionen relativ wertneutral und positiv formuliert.
Bereichernd ist dabei vor allem die Innensicht aus den verschiedenen Religionen. Muslime benutzen demnach ihren Gebetsteppich, weil er sie beim Beten vor wunden Knien schütze und ihnen helfe, rein vor Allah zu treten. Christen könnten durch regelmäßiges Gebet eine freundschaftliche Beziehung zu Gott entwickeln und sich bei schwierigen Entscheidungen auf den „Frieden im Herzen“ verlassen. Juden befolgten Speisegebote, weil sie zutiefst davon überzeugt sind, dass die Vorschriften gut für sie seien. Schweine sind für sie unreine Tiere, insofern sei Gelatine in den Gummibärchen ein Verstoß gegen die Regelung, die aber „unabsichtlich“ verletzt werden dürfe. Hindus beziehungsweise Buddhisten konzentrieren sich beim Gebet auf ein bestimmtes Anliegen um sich von Gedanken des Hasses oder der Gier abzulenken, ihrer Meinung nach Ursachen des Leides schlechthin.

Wie Kinder sich die Religionen vorstellen

Neben den Texten sind die begleitenden Fotos eine große Stärke des Buches. Der Fotograf Jan von Holleben berücksichtigte dabei die Ideen der Schulklasse der Humboldthain-Grundschule aus Berlin-Wedding. So versammeln sich „protestierende Protestanten“ um gegen das Rauchen zu demonstrieren, ein mit Luftballons gefüllter Buddha hinterfragt die „angebliche Fettleibigkeit“ des Religionsstifters, und ein Schwein aus Hunderten von Gummibärchen symbolisiert die „süße Versuchung unkoscherer Lebensmittel“. Oft wirken die Fotos wie ein Kommentar zum Text, teilweise abstrakt, aber größtenteils spielerisch und unverkrampft.

Positives Selbstverständnis als gute Basis für den Dialog

„Wie heißt dein Gott eigentlich mit Nachnamen“ ist ein gutes Buch für den Einstieg in den Religionsdialog. Die Kinderfragen betreffen oft Kerninhalte der jeweiligen Glaubensrichtung und werden in einfachen und nachvollziehbaren Ausführungen formuliert. Vor allem die positiven Eigenbeschreibungen der Weltreligionen und die praktischen Tipps zum Umgang mit religiösen Fragen sind Stärken des Buches. Überzeugend spiegeln sie die Erfahrungsebene der jeweiligen Religion wieder und bieten die Chance zum authentischen Dialog.
Der Versuch, einen harmonischen Konsens zwischen den Religionen zu finden, ist teilweise sehr schematisch, sicherlich auch ideologisch motiviert. Pädagogisch gesehen ist dieser Kompromiss aber nachvollziehbar. So ist eine grundlegend positive und respektvolle Haltung zu anderen Religionen ein wichtiger Baustein für den Dialog. In den kommenden Jahren, vor allem in Anbetracht des Flüchtlingsstromes, werden Kinder mit diesen religiösen Fragen vermehrt konfrontiert werden. Vielleicht trägt dieses Buch dazu bei, dass Vorurteile frühzeitig abgebaut werden. Sowohl bei den Kindern, als auch bei den Eltern, die daraus vorlesen. Wünschenswert wäre es. (pro)

Jane Baer-Krause (Texte) und Jan von Holleben (Fotos): „Wie heißt dein Gott eigentlich mit Nachnamen?“, Gabriel, 184 Seiten, 16,99 Euro, ISBN 9783522304047

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