Joachim Kardinal Meisner war genau ein Vierteljahrhundert Erzbischof von Köln, einer der einflussreichsten und reichsten Diozösen der katholischen Kirche weltweit. Berufen wurde er noch als Bürger der DDR. Denn Papst Johannes Paul II. hatte – nach längeren Querelen mit dem Land Nordrhein-Westfalen unter Johannes Rau und dem Kölner Domkapital sowie nach Änderung der Wahlordnung durch den Papst – Meisner nicht nur wegen seiner konservativen Positionen, sondern auch aufgrund seiner Verdienste berufen, die er sich in schwierigen Zeiten als Bischof Berlin 1980-1989 und 1982-1989 als Vorsitzender der Berliner Bischofskonferenz erworben hatte. Das Bistum umfasste nämlich sowohl Ost- als auch Westberlin und galt als politisch wie kirchenpolitsich äußerst heikel.
Meisner, in Breslau geboren und 1945 aus Schlesien vertrieben, studierte, promovierte und wirkte in der DDR in Magdeburg und vor allem in Erfurt, wo er 1975 schließlich zum Bischof geweiht und 1983 zum Kardinal ernannt wurde.
Meisner galt seit der Wende innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz als bedeutendester Repräsentant des konservativen Flügels, sichtbar an seiner Nähe zur katholischen Laienorganisation „Opus Dei“, die er in Köln nach Kräften förderte. Das ließ ihn auch sehr kritisch sein gegenüber ökumenischen Bemühungen, etwa dem Ökumenischen Kirchentag 2003, und gegenüber interreligiösen Bemühungen. Er liebte die drastische Sprache, auch zu Themen wie Abtreibung und Homosexulität, und kreuzte gerne die Klingen mit dem Zentralrat der Katholiken oder der CDU. Seine häufigen Vergleiche zur NS-Zeit sorgten für Aufsehen, beispielsweise wenn er Gedankengänge des Atheisten Richard Dawkins mit den Thesen der Nationalsozialisten verglich.
Kontakte zu Evangelikalen
Das hinderte ihn aber nicht daran, den Bau einer Kölner Großmoschee zu unterstützen und viele ökumenische Kontakte zu unterhalten, namentlich auch zu Evangelikalen. Auf der Evangelisationssynode unter Papst Benedikt 2012 war es Meisner, der mich immer wieder aufforderte, zu berichten, wie denn auf unserer Seite Evangelisation aussähe.
Laut konnte er dort sagen, dass zu oft Fragen des Amtes und des Sakramentes genutzt würden, um Evangelisation zu ersticken. Immer wieder unterstützte er evangelikale Aktivitäten zu Lebensschutz und Sexualethik und lud evangelikale Experten ein, um sich über Mission, Islam und Flüchtlinge zu informieren. Ich traf in ihm über viele Jahre immer einen hochgebildeten Theologen, der aufmerksam zuhörte und gerne die theologischen Klingen kreuzte, wenn man bereit war, Unterschiede nicht vorschnell zu verwischen.
Erkennbar fühlte er sich in seinem Amt am wohlsten während der Amtszeit seines Freundes Papst Benedikt, mit dem er in praktisch allen Fragen theologisch übereinstimmte. Als ich nach einem Auftritt von Papst Benedikt heraushörte, dass der Papst seine Amtszeit beenden wollte und Kardinal Meisner danach fragte, war er empört, das würde der Papst nie tun.
Mit dem Rücktritt von Papst Benedikt fremdelte er dann sehr und kritisierte den Rücktritt sogar öffentlich in den Medien. Da er ein Leben lang die Übereinstimmung mit dem jeweiligen Papst betont hatte, war das mehr als erstaunlich. So richtig konnte er mir nicht erklären, warum denn der Papst, wenn er schon der absolute Herr im Haus ist, nicht auch entscheiden kann, wann er die Kirche nicht mehr führen kann.
Mit Papst Franziskus wurde Meisner dann nie warm, obwohl er dessen Kampf gegen Korruption und für eine Kurienreform unterstützte. Seine zunehmend unverhohlene Kritik – inzwischen schon emeritiert und als Kardinal nicht mehr wahlberechtigt – gipfelte darin, dass er zusammen mit drei anderen nicht mehr wahlberechtigten Kardinälen einen Brandbrief an die Glaubenskongregation des Vatikan schrieb. Hinter den offiziellen Fragen an den Papst kritisierte er darin unverhohlen das Nachsynodale Schreiben des Papstes „Amoris laetitia“, insbesondere deswegen, weil es die Entscheidung der deutschen Bischofskonferenz, in schwierigen Ausnahmefällen die Teilnahme von Katholiken, die kirchlich getraut, dann geschieden und standesamtlich wieder verheiratet sind, für denkbar hält. Der Papst ließ das Schreiben kurzerhand unbeantwortet.
Dass der Papst die Amtszeit des Präfekten der Glaubenskongregation, Georg Kardinal Müller, soeben nicht verlängerte und damit ein weiterer Freund Meisners den Vatikan verlässt, hat auch damit zu tun, dass Müller den Brief guthieß und öffentliche sagte, der Brief müsse auf jeden Fall beantwortet werden.
Meisner und ich hatten interessante Diskussionen darüber, was denn daran noch katholisch sei, wenn man den theologischen Kurs des Papstes einfach als gefährlich ansehen dürfe, und ob denn die katholischen Lehren über den Papst nur im Falle eines konservativen Papstes gelten würden. Bei unserer letzten Begegnung anlässlich des Besuches des Ökumenischen Patriarchs aus Istanbul in Bonn scherzte ich, dass er ja nun doch nicht erlebt habe, dass ich katholisch geworden sei, wobei er für alle hörbar, wenn auch sicher ebenso scherzhaft, sagte: „Dr. Schirrmacher, sie sind doch sowieso ein besserer Katholik als die meisten Katholiken.“ Denn Meisner hatte großen Respekt an der aktiven Frömmigkeit der Evangelikalen und litt daran, dass ein Großteil des Kirchenvolkes in Deutschland seinen Glauben nicht im Alltag umsetzt. (pro)
Thomas Schirrmacher ist Vorsitzender der Theologischen Kommission der Weltweiten Evangelischen Allianz. Über Begegnungen mit Papst Franziskus hat er das Buch „Kaffeepausen mit dem Papst“ verfasst, in dem er auch mehrfach auf Kardinal Meissner eingeht.
Von: Thomas Schirrmacher