Warum die Linke sich gerade selbst zerlegt

Den Streit um Antisemitismus in der Partei "Die Linke" wertet der Journalist und Publizist Richard Herzinger in einem Beitrag für die Zeitung "Welt am Sonntag" als ein Indiz für die unvereinbaren Gegensätze in den eigenen Reihen.
Von PRO

Dass die Partei sich derzeit selbst zu zerlegen beginne, sei die Folge eines ihr innewohnenden Konstruktionsfehlers, schreibt Herzinger. Dabei seien die tiefen ideologischen Risse, die sie durchzögen, nicht zufällig durch die Debatte über Antisemitismus in den eigenen Reihen aufgebrochen. "Gehören antijüdische Ressentiments, die unter dem Deckmantel des guten ‚antifaschistischen‘ und ‚antikapitalistischen‘ Gewissens und einer scheinbar unverdächtigen ‚Israelkritik‘ weiter wuchern, doch zu den blinden Flecken linkssozialistischen Denkens." Sich diesem Problem zu stellen, rühre daher am Identitätskern eines sich stets im historischen Recht sehenden linken Welterlösungsbewusstseins.

Herzinger weist darauf hin, dass es zumindest latenten Antisemitismus in der sozialistischen Bewegung vom Beginn ihrer Geschichte an gegeben habe, "wenn auch meist nicht aus offen rassistischen Motiven wie bei der extremen Rechten". Dass antijüdische Ressentiments auch in der heutigen Linkspartei präsent seien, lasse sich nicht nur mit der unverarbeiteten Hinterlassenschaft der SED-Diktatur erklären, die Israel als imperialistischen Feind bekämpft habe. Auch linksradikale westdeutsche Sektierergruppen frönten "dem ‚antizionistischen‘ Furor". Tatsächlich sei Judenfeindlichkeit strukturell in der sozialistischen Ideologiegeschichte angelegt. Die Juden als nicht historisch definierbare Gruppe hätten quer zu den Rollenzuweisungen im Szenario der sozialistischen Heilsgeschichte gestanden. In der ersten Zeit nach der Gründung Israels 1947 habe es in weiten Teilen der Linken gleichwohl noch einige Sympathien für den jüdischen Staat gegeben, das habe sich aber radikal in dem Maße geändert, wie Israel als kapitalistische, proamerikanische Gesellschaft erfolgreich gewesen sei. Nun sei es – nicht zuletzt von der deutschen linken Studentenbewegung – als "imperialistischer" Stachel im Fleisch der "kolonisierten" arabischen Völker denunziert worden. "Antisemitische Klischees vom parasitären, ‚zersetzenden‘ Juden konnten so auf den Staat Israel übertragen werden."

Unvereinbare Tendenzen in der Linkspartei

Herzinger stellt fest, dass die "jetzt mit teilweise hasserfüllter Erbitterung geführten Auseinandersetzungen in der Linkspartei" mehr ausdrückten als nur eine Kontroverse über das ideologisch korrekte Verhältnis der Linken zu Israel und dem Nahost-Konflikt. Dies offenbare "die Unmöglichkeit, eine ‚moderne‘ Linke zu konstruieren, ohne den reaktionären Ballast marxistischen und ‚antiimperialistischen‘ Sektierertums abzuwerfen". Die Linkspartei könne aber den Spagat zwischen den Kräften, die eine demokratisch-pluralistische Domestizierung der "reinen" sozialistischen Lehre anstrebten und denen, die ihre fundamentalistische Restauration betrieben, nicht aufgeben. "Hat sie doch ihre Einheit auf die Koexistenz dieser unvereinbaren Tendenzen gegründet, die sie über kurz oder lang zerreißen müssen."

Dies verdeutlicht der Autor daran, dass, wie er schreibt, "einigen führenden Köpfen der Linken wie Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Petra Pau, die sich gerne als ‚gemäßigte‘ Israelkritiker beziehungsweise kritische Israelfreunde darstellen", fanatische "Antizionisten" in den eigenen Reihen zunehmend peinlich seien. Denn seit Langem bemühten sie sich, den Nachweis staatspolitischer Zuverlässigkeit und damit der Regierungsfähigkeit der SED-Nachfolgepartei zu führen. Doch der Versuch, die Linke an den politisch-moralischen Grundkonsens der Bundesrepublik und damit der westlichen demokratischen Zivilisation insgesamt anschlussfähig zu machen, sei auf Sand gebaut gewesen. Zu diesem Konsens gehöre nämlich die aus dem Holocaust gewonnene Einsicht, dass nur ein wehrhafter eigener Staat den Juden eine solide Rückversicherung gegen das fortwirkende Gift des Antisemitismus bieten könne. "Diese Erkenntnis jedoch läuft dem Weltbild des klassischen linken Antikapitalismus zuwider." Herzinger prognostiziert: "Da aber die ‚Reformer‘ in der Linkspartei weder fähig noch willens sind, sich von diesem, zum Antisemitismus hin weit offenen, ‚Antizionismus‘ konsequent loszusagen, bleiben sie in dessen ideologischer Geiselhaft." Daran werde die geplante Aufnahme eines Bekenntnisses zum Existenzrechts Israels in das Parteiprogramm, mit dem die "Gemäßigten" den weitreichenden Einfluss radikaler "Antiimperialisten" in der Partei übertünchen wollten, nichts Grundsätzliches ändern.

Nicht wählerisch

Warum sich derzeit "Die Linke selbst zerlegt", führt Herzinger auch darauf zurück, dass sie "bei ihrer Konstitution zur gesamtdeutschen Partei nicht wählerisch war, als es um das Einsammeln noch der letzten versprengten Reste der westdeutschen äußersten Linken ging". Oskar Lafontaine habe die West-Radikalen, wie auch die ultradogmatische "Kommunistische Plattform" in der PDS, sogar ausdrücklich hofiert, um seine Hausmacht gegen die etablierte Führung der Ostpartei zu stärken. Gregor Gysi habe ihn gewähren lassen, weil er, "als Stifter einer einheitlichen linken Kraft jenseits der SPD" in die Geschichtsbücher habe eingehen wollen. "Jetzt, da die daraus entstandene ideologische Kakofonie nicht mehr von Lafontaines Demagogie übertönt werden kann, droht Gysi sein vermeintliches Lebenswerk um die Ohren zu fliegen." (pro)

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